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Sugar's Daddy, named Babe


Eine schwule Filmrevue zum 50. Todestag Oliver Norvell Hardys

Sie agierten miteinander in 106 Filmen als recht ungleiches Paar: Stanley, der ungeschickt-schlaksige naive Junge, der Situationen und ihre Folgen nicht überblickt und durchweg an der Tücke des Objekts scheitert, und Oliver, sein väterlich-jovialer Beschützer, der sich als Gentleman um die Wahrung von Etikette, Ordnung und um Schadensbegrenzung so redlich wie meist nutzlos müht. Ein klassisches Sugar-und-Daddy-Verhältnis, bieten viele ihrer Streifen bei genauerer Betrachtung weit mehr als ausgeklügelte Slapstick-Nummern. Da tut sich eine kleine homosexuelle Welt auf, die fast perfekt wäre, geriete sie nicht ständig in Konflikte mit der Außenwelt, deren üblichem Personal und Konventionen.

Als da wären: ausgeprägt heterosexuelle Herren, gemäß ihren jeweiligen Biotopen ausgestattet oder besser uniformiert mit respekteinflößenden Insignien von Kraft und Macht: Arbeiter, Handwerker, Polizisten, Offiziere, Gefängniswärter, Kellner, Verkäufer. Verglichen mit denen wirkt Oliver Hardy, obwohl doch offiziell verheiratet, höchst tuckig. Was sich noch steigert, wenn er, den Freunde, Kollegen und Fans nur „Babe“ riefen, sich (auch Stan gegenüber) in betont maskuline Pose zu werfen sucht. Heute nennt man solch groteskes Gebaren „straight acting“ und führen uns diese Szenen schonungslos die Albernheit des Bemühens um „Normalität“ und dessen gegenteiligen Effekt vor Augen.

Dann sind da noch: Frauen. Sie gehören einfach nicht in diese intime Männerfreundschaft, schon gar nicht in der Erscheinungsform Gattin, sie sind nur Störfaktor. Tauchen sie auf, gibt es unweigerlich Ärger. „Entweder geht er oder ich!“ fordert Ollies Frau Vivian 1929 im Stummfilm That’s My Wife, der unser Titelbild lieferte. „Er schaute rein auf fünf Minuten, jetzt ist er zwei Jahre hier. Außerdem ißt er Weintrauben im Bett!“ Klar, daß sie geht und nicht Stan, der sofort ihren Platz einnimmt – samt dem in ihren Kleidern. Womit ein apartes „straight acting“ als Persiflage auf die Hetero-Ehe seinen Lauf nimmt.

Vor 80 Jahren, am 17. Juli 1927, betrat der Engländer Stan Laurel (eigentlich Stanley Arthur Jefferson) in Why Girls Love Sailors erstmals in Drag die Leinwand: Hardy, ein rauher Seebär, hat Stans Braut entführt. Ihm körperlich nicht gewachsen, becirct der als Vamp Verkleidete seinen Rivalen und inszeniert, daß dessen Frau sie in flagranti erwischt. Es gibt einen Ehekrach – und Stan kann mit seinem Mädchen das Weite suchen.
Bereits sieben Wochen später sieht man Laurel im Stummfilm Sugar Daddies wieder als Frau. Weiche Gesichtszüge prädestinieren ihn geradewegs zum Dienstmädchen (Another Fine Mess, 1930), zur Ballerina (The Dancing Masters, 1943), zur reichen Tante (Jitterbugs, 1943) oder zur treusorgenden Mrs. Hardy wie in Twice Two (1933), worin als Mrs. Laurel zum einzigen Mal auch „Babe“ im Fummel erscheint. Ansonsten sind die Rollen eindeutig zugewiesen: Hardy liegt oben.

Apropos: Kein Paar der Filmhistorie war öfter miteinander im Bett zu sehen als dieses. Beginnend mit Leave ‘Em Laughing und Early To Bed (1928) setzt sich ihre Bettgeschichte fort über Berth Marks, They Go Boom und Angora Love (1929), Brats und The Roque Song (1930), Be Big und Laughing Gravy (1931), Scram (1932), Sons Of The Desert (1933), Oliver The Eighth, The Live Ghost und Babes in Toyland (1934), Bonnie Scotland (1935) und Our Relations (1936) bis hin zu A Chump At Oxford und Saps At Sea (1940). Unter welcher Decke auch immer die beiden zu liegen kommen, gibt es einen homoerotischen Subtext, eine intime Vertrautheit zwischen Nachthemd und Morgenrock.

Und welches Sujet schließlich könnte wohl ein schwuleres sein als der permanente Zwang zur Verteidigung ihrer Beziehung gegen Dritte, sei es im Knast, gegen Menschenaffen oder ihre Ehefrauen? „Sie sagt, ich denke mehr an dich als an sie“, so Ollie 1932 in einer schon legendären Bettszene der Eifersuchtscomedy Their First Mistake. „Aber das tust du doch, oder?“ erwidert Stan, als hätte es je einen Zweifel daran gegeben. „Ach, lassen wir das“, dreht sich Ollie um. Nur löst das nicht das Problem: Wie stellen zwei Kumpels eine hysterische Gattin ruhig, um Zeit füreinander zu haben? Logisch, mit einem Baby! Merkwürdigerweise scheint nichts dem Ehemann und seinem Intimus ferner zu liegen, als eines zu zeugen. Kurzerhand entscheidet Ollie, daß ein Kind adoptiert wird.

„Well, here’s another fine mess you’ve gotten me into!“ Ebenso typisch wie Ollies Vorwurf an Stan liegt des Schlamassels Ursache im Scheitern an den Anforderungen der Männerrolle. Ist Wagemut angesagt, fängt Stan wie ein Kleinkind an zu heulen, droht Gefahr, rennen sie lieber weg, sind technisches Verständnis und handwerkliches Können gefragt, versagen beide auf ganzer Linie. Dabei würden sie ja gern, aber es klappt halt nicht, das Grobe und Praktische ist nicht ihre Welt, dafür haben diese seltsamen und seltsam verbandelten Männer weder Sinn noch Talent.

Bis vor einiger Zeit gab es jeden Donnerstag in der Berliner Schwulenkneipe „Triebwerk“ den Jazzclub. Dann lagen Decken auf den Stehtischen, brannten Kerzen und projizierte der Beamer, begleitet von Jazzmusik, statt Pornovideos Stummfilme im XL-Format an die Wand – darunter mit Laurel & Hardy, Hollywoods treustem schwulen Paar. Wenn sich am 7. August Babes Todestag zum 50. Mal jährt, wäre das ein Anlaß, mal wieder einen zu zeigen. Doch wird’s wohl ein Traum bleiben; der 7. August 2007 ist ein Dienstag.

Eike Stedefeldt

Jonathan Sanders: Another Fine Dress. Role Play in the Films of Laurel and Hardy (1995), 240 Seiten