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Auf Wiedersehen in Sommerland


„Frauenfeindlich? Antisemitisch? Wir doch nicht! Von Hexen und anderen Märchen – eine Kritik am esoterischen Feminismus von Birgit Schmidt

Sind Sie eine Frau? Eine, die so langsam in die Jahre kommt? Dann hätten Sie vielleicht gerne Informationen von kompetenten Menschen und greifen in Ihrer Bibliothek ins Regal mit den medizinischen Ratgebern. Dort findet sich beispielsweise der, den der Orlanda Frauenverlag zum Thema Wechseljahre herausgegeben hat. Aber: „Vergeßt nicht:“, muß frau dort lesen, „Ihr kommt jetzt in das Alter der alten Hexen.“ Und einige Seiten weiter vorne hatte sie bereits zur Kenntnis nehmen müssen: „Im vorchristlichen Europa wurden älteren Frauen Machtpositionen und große Verantwortungen übertragen. Diese Frauen waren in der Heilkunst tätig und arbeiteten als Hebammen. Sie leiteten Zeremonien bei unterschiedlichen Anlässen – von der Geburt bis zum Tod. Mit dem aufkommenden Christentum wurden sie entehrt, zu Verbrecherinnen abgestempelt und bei lebendigem Leibe verbrannt.“

Dadurch, daß auch der Orlanda Verlag diesen Blödsinn unter die Leute bringt, wird er nicht wahrer. Die Autorin des Ratgebers, Rina Nissim, mag eine hervorragende Krankenschwester sein, was aber ihre historischen Kenntnisse anbelangt, da hat sie einfach bei einer oder einem von denen abgeschrieben, die nicht müde werden zu behaupten, daß wir Frauen einst in paradiesischen Zeiten gelebt hätten und daß wir wichtig und mächtig gewesen seien. Bei Orlanda träumt frau in Verbindung mit dem Germanentum von mächtigen und verantwortlichen Frauen; recht beliebt ist auch die Zeit der Kelten, und sehr en vogue ist es seit einigen Jahren, nicht nur germanische Zeiten, sondern generell jede Epoche, über die man wenig bis gar nichts gesichert weiß, einfach deshalb, weil sie schon zu lange her ist, als Matriarchat zu bezeichnen. Das hat den Vorteil, daß man gesellschaftliche Verhältnisse, wie man sie sich erträumt, zur Realität erklären, daß man projizieren kann.

Unbeleckt von jeder wissenschaftlichen Erkenntnis schwadroniert beispielsweise die US-Amerikanerin Miriam Simons von 35.000 Jahren Feenzeit und von der Großen Göttin. Frau Simons nennt sich albernerweise Starhawk, also Sternenfalke, bezeichnet sich als Ökofeministin und Wicca und gehört somit einer Bewegung an, die seit einiger Zeit auch in der BRD von sich reden macht.

Was hat man sich darunter vorzustellen? Der Begriff Wicca geht auf das englische Wort witchcraft, Hexenkraft, zurück. Ursprünglich in den angelsächsischen Ländern angesiedelt, ist die Wicca-Bewegung nicht zuletzt durch Starhawks Bemühungen nach Europa gekommen. Die AnhängerInnen dieser Bewegung verstehen sich selbst als HeidInnen beziehungsweise PaganistInnen. Also ziehen sie zu den heidnischen Feiertagen einen magischen Kreis und zelebrieren einen Kult, in dessen Mittelpunkt die sogenannte Große Göttin steht, der als männlicher Widerpart der sogenannte Gehörnte Gott gegenübergestellt ist. Starhawk und andere Wicca glauben beziehungsweise sie geben vor zu glauben, daß unsere Seele nach unserem Tod ins Sommerland eingeht, wo sie sich verjüngt und entscheidet, in welcher Inkarnation sie zurückkehren wird. Wie andere Esoterikerinnen sind Wicca Anhängerinnen von Reinkarnations- und Karmaglauben, und eine andere US-amerikanische Wicca respektive Neo-Hexe, die unter dem Namen Silver Raven Wolf auftritt, erklärt, was genau man sich darunter vorzustellen hat. Sie schreibt: „Im Sommerland wird auch entschieden, was man als nächstes tun wird, zum Beispiel, ob man als Helfer zurückkehrt, um etwas in Ordnung zu bringen, oder in weiterführende Astralwelten eingeht. Es gibt keine Opfer, nur Täter – jedenfalls in dieser Hinsicht. Ich glaube, daß Sie sich Ihre Eltern vor der Geburt aussuchen, ebenso wie die Gesellschaftsschicht, in der Sie sich inkarnieren, Ihren Arbeitsbereich, [...] und daß Sie im Voraus entscheiden, wann und wie Sie sterben werden. Zudem suchen Sie sich Ihre genetischen Strukturen und Ihre physische Verfassung aus – weshalb manche von uns Weltraumforscher werden und andere Künstler oder Sportler.“

La deutsche Wicca

Krank oder behindert zur Welt gekommen? Selbst schuld! Man hätte sich halt eine andere genetische Struktur aussuchen müssen. In eine ausgebeutete Klasse ohne Aufstiegs- oder Ausbruchschancen hineingeboren worden? Das wollte man dann sicher selber so. Oder Opfer eines Verbrechens, eines Massakers geworden? Das ist Karma! Wicca weisen – das ist in der Esoterik so üblich – den Opfern die Verantwortung für ihre Leiden zu und entlasten die Täter. Dazu kommt ein weiterer Zug, der eher unsympathisch ist: Sie identifizieren sich mit den in der frühen Neuzeit als Hexen verfolgten und ermordeten Menschen ohne sehen zu wollen, daß diese selbstverständlich keine Hexen waren, sondern als solche stigmatisiert worden sind. Es ist bequem, sich aus der Sicherheit eines Mittelstandslebens im 20. und 21. Jahrhundert an Menschen anzubiedern, die wirklich Opfer gewesen sind und sich gegen diese Vereinnahmung nicht zur Wehr setzen können.

Gleichermaßen ärgerlich und gefährlich ist die Problematik der Naturanbetung der Wicca und Ökofeministinnen, die auf den ersten Blick zwar positiv wirken mag, neben dem Karmaglauben aber die zweite offene Flanke nach Rechtsaußen ist. Auch der rechtsextreme Rechtsanwalt Jürgen Rieger ist Heide und der Meinung: „Bei den Germanen gab es heilige Berge, Quellen, Flüsse, Bäume und Haine, der Raubbau an der Natur, wie er heute getrieben wird, wäre im Heidentum undenkbar gewesen.“ Wicca und ähnlich gestrickte Frauen sehen das auch so; ihre Ideologie weist Parallelen zu der von anderen auf, die gleichfalls die Anbetung der Natur und ihrer vorgeblichen Gesetze über alles gestellt haben: Die rechtsextreme Artgemeinschaft beispielsweise und ihre Nordische Zeitung, die sie ins Netz gestellt hat. „Der Einklang von Mensch und Natur ist uns wichtig“, heißt es dort, „nicht der raffgierige alles zerstörende Materialismus.“ Und man beklagt, daß die Heidenverfolgung in diesem Lande Tradition habe, und zwar „[...] von der ‘Hexenverfolgung’ bis zum Verbot des Gebrauches unserer heiligen Runen!“ Die Artgemeinschaft richtet sich in ihren Verlautbarungen und in ihrem Internetauftritt gegen sogenannte Artfremde, sie ist ausgewiesen rassistisch und antisemitisch ...

Den vollständigen Beitrag finden Sie in der Print- und PDF-Ausgabe. Von der Autorin erschien 2007 im Alibri-Verlag Aschaffenburg das Buch „Freundliche Frauen. Eine Kritik an der Juden- und Frauenfeindlichkeit des esoterischen Feminismus“. Das 132-Seiten-Buch kostet 12,00 Euro.