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Sex im Volkstheater


Im Juli verschärfte der Bundestag das Sexualstrafrecht. Zwar liegt den Volksvertretern das Protokoll der Expertenanhörung im Rechtsausschuß vom Februar immer noch nicht vor und ging eine kritische Kommentierung der DGfS vom Mai im Ausschußbüro leider verloren, aber zum Glück gibt‘s Gigi, wo Abgeordnete und Sie nachlesen können, welches „Tollhaus“ Ihre Lebensumstände oder die Ihres Umfelds bedroht. Aus dem Komödienstadl unter der Reichstagskuppel reportiert Ortwin Passon

Statt der Frage nachzugehen, wie denn der 13. Abschnitt des Strafgesetzbuchs
(StGB) reformiert – vulgo: abgeschafft – werden kann, um – wie postuliert – die „sexuelle Selbstbestimmung“ Heranwachsender sicherzustellen, wenn ihnen zugleich durch selbsternannte „Kinderschützer“ die Fähigkeit zu selbiger unisono abgesprochen wird, doktern die schwarz-rot-grünen Volksvertreter lieber an Details zur weiteren Überwachung, Disziplinierung und Ausbeutung der Sexualitäten herum. Das ist ökonomisch lukrativer und bedient das „gesunde Volksempfinden“ der sie Wählenden noch am ehesten.

Damit die zu diesem Zweck von der Großen Koalition ins Gesetzgebungsverfahren eingebrachten Verschärfungen nicht leichtfertig der Lächerlichkeit preisgegeben werden, die ihre jüngsten Fremdbestimmungsinitiativen (Bundestags-Drucksache 15/29, 15/31 und 15/350) womöglich verdienen (vgl. Gigi Nr. 25, S. 6 ff.), gab’s zwischenzeitlich „friendly fire“ aus der Länderkammer: Seit April (kein Scherz !) belästigt auch der „Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor schweren Wiederholungstaten durch nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung“ des Bundesrates (BT-Drs. 15/899) sowohl die gesetzgeberischen „Wiederholungstäter“ als auch die politisch zunehmend verblödete Allgemeinheit. Zwar handelt es sich um einen altbekannten, aber immerhin neu numerierten Text.

Heißer Einlauf für Zypries

Die Ministerpräsidenten der Länder stellten damit parteiübergreifend klar, daß sie ebenfalls nicht nur die deutschen Kindlein vor frühzeitigen Erfahrungen mit Sexualität zu bewahren trachten, sondern zudem keine Warmduscher sind. Dazu schickten sie auf der 74. Justizministerkonferenz im Juni 2003 in Glücksburg ihre Ressortkollegen in die Bütt. Wobei Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) mit der Forderung scheiterte, durch Verschärfung des § 138 StGB das Denunzieren „Verdächtiger“ durch Mutmaßende zu erzwingen: „Nach Auffassung der Justizministerinnen und -minister sind die im Entwurf enthaltenen Regelungen zu strafbewehrten Anzeigepflichten sowie die in dem Zusammenhang außerdem diskutierten Meldepflichten abzulehnen.“ In sieben weiteren Punkten hingegen hätten es die ländlichen Volljuristen lieber noch etwas drastischer.

Chaotische Fettbraterei

Gern hätte Gigi hier den einen oder anderen O-Ton aus der Expertenanhörung im Bundestagsrechtsausschuß vom Februar 2003 wiedergegeben, der sich so in den schriftlichen Stellungnahmen der „Sexprofis“ vielleicht nicht findet. Aber ein Protokoll liegt auch ein halbes Jahr danach noch nicht vor. Begründung: keine Zeit, zu wenig Personal.

Grinsen Sie nicht zu früh! Am 23. Mai 2003 sandte die zur Anhörung nicht geladene Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung (DGfS) trotzdem eine kritische Stellungnahme an den Ausschußvorsitzenden, MdB Andreas Schmidt (CDU). Nur leider ist die in den Unterlagen zur „Reform“ unauffindbar. Und da „Kinderschützer“ auch mal Ferien machen müssen, war weder der Vorsitzende zu erreichen, noch sein Sekretariat in der Lage, die verschollene DGfS-Position wieder aufzutreiben. Unprofessionelle Postverteilung und fehlende Urlaubsregelung im Hohen Haus also ein banales, folgenschweres Organisationsproblem?

„Die schwere Last aus Unglück und Not, die die Menschen sowohl als Einzelwesen als auch als Mitglieder der organisierten Gesellschaft mit sich schleppen müssen, ist im Kern das Ergebnis der völlig unbegreiflichen – und ich wage die Feststellung: dummen – Art und Weise, wie das Leben von allem Anfang an organisiert wurde“, stellte bereits der Philosoph Carlo M. Cipolla zu Beginn seiner Theorie der menschlichen Dummheit fest. Schlimmer Verdacht: Jede Pommesbude wird anscheinend besser gemanagt als dieses für die Normierung der Gesellschaft so wichtige Gremium.

Wissen ist Macht

Nur welchen Mandatsträger interessiert schon, ob und was eine DGfS zur Regelung sexueller Beziehungen meint? „Nichts wissen macht nichts“, werden sich einige Abgeordnete vielleicht gedacht haben, beschlossen im Juni im federführenden Ausschuß einige Textänderungen und ließen den so nur teil-entschärften Regierungsentwurf einen Monat später in zweiter und dritter Lesung vom Plenum absegnen.

Wer übrigens mal wieder herzhaft lachen möchte, sich aber keine Kino- oder Theaterkarte leisten kann und auch im Fernsehen nichts Unterhaltsames entdeckt, darf sich kostenlose Besucherkarten für den Bundesrat besorgen. Dort wird am 26. September 2003 die BT-Drucksache 15/899 gegeben. Vielleicht beschließen ja die Landesfürsten nach mehr oder weniger qualifizierten Redebeiträgen, den Vermittlungsausschuß daran herumfummeln zu lassen. Doch Obacht! Vernehmliche Zustimmungs- oder Unmutsbekundungen sind Ihnen in diesem ehrenwerten Kreis nicht erlaubt, denn die dort Versammelten ließen sich ebenfalls für vier Jahre mit der Wahrnehmung Ihrer Interessen beauftragen und möchten dabei vom Souverän nicht so gern gestört werden. Karten-Hotline für Hedonisten, die ihre Stimme bereits abgegeben haben: 018889100-179.