Start

Sünden? Böcke?

In Reaktion auf die angesichts zunehmender HIV-Infektionen bei schwulen und bisexuellen Männern vermehrt schuldzuweisende Berichterstattung unter anderem im ARD-Fernsehmagazin Kontraste vom 20. Oktober 2005 – O-Ton: „Sex ohne Kondom gibt ihnen (den Schwulen – Gigi) einen besonderen Kick ... Diese Haltung läßt sich (im Gesundheitswesen – Gigi) nicht mehr finanzieren“ – bezogen die TeilnehmerInnen des landesweiten Positiventreffens in Nordrhein-Westfalen am 10. November unter dem Titel „Die HIV Positiven sind nicht die Sündenböcke der Nation!“ wie folgt Stellung:

„Aufgrund der Veröffentlichung der Neuinfektionszahlen ... findet eine Diskussion statt, die ein verzerrtes Bild über das Leben von Menschen mit HIV und AIDS entstehen läßt. HIV-Positive leben verantwortlich sich selbst und anderen gegenüber. Wir fordern, daß unsere unterschiedlichen Lebensstile und unsere Infektion akzeptiert statt stigmatisiert werden. HIV-positive Menschen haben ein Recht auf selbstbestimmte eigenverantwortliche Sexualität, so wie sie der Großteil der Gesamtbevölkerung praktiziert. Unsafer Sex unter Positiven ist epidemiologisch unbedeutend, weil hierdurch keine Neuinfektionen entstehen. Deshalb fordern wir ein Umdenken entgegen der aktuellen Diskriminierung, wie wir sie derzeit durch unsere Gesellschaft, nicht zuletzt durch reißerische Medienmacher provoziert, erleben. Besonders von unseren Interessenvertretungen erwarten wir hier klarere Stellungnahmen und Unterstützung. Forderungen, daß Neuinfizierte aus der Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausgeschlossen werden sollen, lehnen wir ab, sonst müßten ebenfalls Betroffene sämtlicher anderen Zivilisationskrankheiten entstehende Behandlungskosten selber zahlen. Von den Medien fordern wir eine seriöse Recherche und Darstellung anstelle ausgrenzender Schuldzuweisungen, verzerrenden Zahlenspielen und klischeebehafteten Bildern.“

Lediglich das whk unterstützte die Forderungen (vgl. „Lustmord & Sündenböcke 1“ S. 36), anderswo setzten die vom Mainstream erhofften Entsolidarisierungsreflexe ein. Marc Kersten, Chefredakteur des NRW-Szeneblatts Exit wähnte bereits Bareback überall: „Beziehung“ sei „uncool. Cool dagegen ist Barebacking, meinen jedenfalls erstaunlich viele Idioten“. Zum Büttel homophober Berichterstattung machte sich der auch vom Stern befragte Chefredakteur des Schwulenmagazins Du & Ich im ARD-Report Mainz vom 28. November: „Bareback-Kultur“, so Dirk Ludigs, „halte ich für verantwortungslos ... für unmoralisch und ... für etwas, was entweder von der Szene selbst oder, wenn die Szene nicht in der Lage ist, hier selbst reinigend (sic! – Gigi) einzugreifen, auch von außen eine deutliche Grenze gesetzt werden muß.“

Die „Reinigung“ der Schwulenszene echote zwei Tage später auch aus der CDU-Homoabteilung LSU: „HIV-Virus vorsätzlich ... verbreitet“, „Belastung der Gesundheitssysteme“, „gesetzliche Schritte“ Aber welche? „In Österreich etwa stelle der §178 des Strafgesetzbuches die vorsätzliche Gefährdung (nicht Ansteckung! – Gigi) von Menschen durch übertragbare Krankheiten unter Strafe“ – Erstmals in der Geschichte der Schwulenbewegung wollen demnach Teile der Homoszene Schwulenclubs dichtmachen und HIV-Infizierte bestrafen.

Martin Lentzen