Reiben
mit Spiegeln
Männliche
Homosexualität wurde in der chinesischen Gesellschaft lange als Angriff
auf die Kultur gesehen, denn sie schien das Bild des Mannes als Herrscher
zu schwächen. Lesbische Frauen brechen mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
und überkommenen Einordnungsmustern noch in erheblich größerem
Maße. Über die Entwicklung des lesbischen Selbst in China schreibt
als Außenstehender Florian Mildenberger
Wurde in der Vergangenheit
schon die männliche Homosexualität in China weder von in- noch ausländischen
Forschern besonders beachtet, so gibt es zu lesbischen Lebensweisen noch weniger
Quellen (1). Das erstaunt ein wenig, gab es doch in der Literatur des
chinesischen Kaiserreiches immer wieder Hinweise oder Essays über Frauen,
die Frauen begehrten. Hinzu kommen die bildlichen Darstellungen des mojingzhi
(Reiben mit Spiegeln) genannten Geschlechtsverkehrs zwischen Frauen (2).
In der Zeit der Mingdynastie kam es zu einem Individualisierungsprozeß
unter den Intellektuellen des Reiches, wodurch die Beschreibung von Sexualformen
erleichtert wurde (3). Hervorzuheben sind die Gedichte von Li Yu (1611-1680)
über lesbische Liebschaften (4). Diese Tradition setzte sich trotz
verschiedener Bemühungen der Staatsführung zur Kontrolle des Sexualdiskurses
auch in späterer Zeit fort.
Ironischerweise wurde
die Herausbildung lesbischer Sphären durch die Überhöhung des
Mannes im konfuzianischen Moraldiskurs begünstigt. Ein Mann durfte sich
demnach sexuell frei betätigen, Frauen hingegen wurden auf die Mutterrolle
reduziert. Wenn dieser jedoch Genüge getan war, verlor die Frau für
die moralisierenden Philosophen jede Bedeutung und fiel aus dem Diskurs heraus.
Sie konnte sich nun in den jeweiligen sozialen Grenzen entfalten, dem Mann
wurde das inklusive homosexuellen Geschlechtsverkehrs mit Jüngeren (huapu)
sogar offiziell gestattet (5).
Nach dem Kollaps des Kaiserreiches
1911 bildeten sich in den Metropolen des Landes einige Gruppen gutsituierter
Frauen, die sich der traditionellen Mutterrolle verschlossen, das westliche
androgyne Schönheitsideal übernahmen und lesbische Sexualität
offen nach außen trugen (6). Die bekannteste Gruppierung in Hongkong
nannte sich Jinglanhui (Gruppe der goldenen Orchidee) (7).
Da sich der sexologische Diskurs dieser Jahre vorrangig um die Vermeidung
von Geschlechtskrankheiten (Wemming Shuju Schlafzimmermedizin)
drehte, blieben die goldenen Orchideen weitgehend unbehelligt (8).
Doch nach der kommunistischen Machtübernahme wurde nicht nur diesen ersten
Organisationen die ökonomische Grundlage entzogen, sondern die Auflösung
der traditionellen Familienstrukturen in den unteren Schichten nicht konsequent
betrieben. Stattdessen erfolgte die Verlagerung der Kontrolle der Frauen von
der Familie auf den Staat. Die Geburtenkontrollpolitik, die Überwachung
der innerchinesischen Mobilität, die öffentliche Werbung für
die arbeitende und zugleich stillende Frau und nicht zuletzt die Umwälzungen
in der Kulturrevolution verhinderten die Entstehung einer lesbischen Subkultur.
Mit dem Wegfall der Sexualaufklärung in den Schulen seit den 1960er Jahren
fehlte jungen Frauen sogar jede Bezeichnung für ihre intimen Interessen.
Erst als die maoistischen Gesellschaftsnormen unter dem Eindruck der Wirtschaftsliberalisierung
zunehmend brüchig wurden, widmeten sich in der zweiten Hälfte der
1980er Jahre Autoren wieder dem lesbischen Sujet (9). Besonders hervorzuheben
sind die Bücher von Wan Ruixiong und Shui Shui (Pseudonym) (10).
Doch ebenso wie gegen die sich allmählich formierende schwule Subkultur
schritt die Polizei noch immer massiv gegen Lokale ein, in denen sich Lesben
trafen. Erst Mitte bis Ende der 1990er Jahre entspannte sich die Situation
allmählich. Wahrscheinlich hing dies unter anderem mit der Korruption
der Polizei, den zentrifugalen Entwicklungen in der Volksrepublik und der
zunehmend diskursiv geführten Sexualitätsdebatte zusammen.
Die erste Konfrontation
mit ausländischen Lesben, wodurch den chinesischen Offiziellen
durchweg Männer eine Ahnung vermittelt wurde, was in den nächsten
Jahren auf sie zukommen würde, erfolgte im Rahmen der UN-Frauenkonferenz
1995 in Peking (11). Ganze Heerscharen lesbischer Delegierter hielten
einen Workshop nach dem anderen ab, und zum Schrecken der Gastgeber waren
nicht wenige chinesisch sprechende Butches & Femmes aus den Chinatowns
von San Francisco und New York darunter. Zudem nutzten immer mehr Lesben in
den Städten das Internet zur Kontaktaufnahme. Nur so gelang es ihnen,
aus der Isolation auszubrechen und beispielsweise Sexualpartnerinnen oder
Freundinnen zu finden. Denn das traditionelle Frauenbild mit seinen gesellschaftlichen
Zwängen drängte die Frauen in Scheinehen. Westliche Einflüsse
ermöglichten es ihnen jedoch, durch Verwandlung ihres Äußeren
sich gegen traditionelle Ordnungen zu wehren. So erklärte eine lesbische
Künstlerin in einem Interview: Tendenziell ist es schon so, daß
viele Lesben kurze Haare tragen und sich weniger weiblich anziehen." (12)
Dadurch durchbrachen sie die Grenzen ihres verordneten sozialen Geschlechts
(gender), das es im offiziellen Diskurs gar nicht gibt.
Das Zusammenleben mit der Freundin ist in China aber meist nur im rechtsfreien Raum möglich, denn offizielle Erlaubnisscheine für Umzüge (hukou) werden selten erteilt (13). Beratung bei sozialen und psychischen Problemen gibt es kaum, nur in Peking existiert seit 2005 die Arbeitsgruppe Tongyu, wohin sich eine Lala oder Lazi wenden kann. Eine Anerkennung, wie sie die anpassungswilligen Schwulen in den Ostküstenmetropolen anstreben, dürfte den Lesben kaum gelingen. Der Grund ist bevölkerungspolitischer Natur: Wegen der Überhöhung des Mannes gegenüber der Frau und der Einkindpolitik der Vergangenheit und Gegenwart gibt es bereits heute erheblich mehr junge Männer als Frauen. Daher stehen Bevölkerungsplaner selbstbewußten Lesben, die sich durch ihre Emanzipation aus den überkommenen, auf Vermehrung ausgerichteten Familienverhältnissen verabschieden, kritisch bis ablehnend gegenüber. Nur in der Marginalisierung und in versteckten Subkulturen werden Lesben geduldet, bevorzugt dann, wenn sie in Scheinehen ihrer Mutterrolle nachkommen und so das Konstrukt aus kommunistischer Bevölkerungsplanung und konfuzianischer Tradition nicht offen verletzen.
Quellen
1 Fang Fu Ruan/Vern L.
Bullough: Lesbianism in China. In: Archives of Sexual Behaviour 21 (1992),
217-226, 217.
2 R.H. van Gulik: Sexual life in ancient China. A preliminary survey of Chinese
sex and society from ca. 1500 BC till 1644 AD, Leiden: E.J. Brill 1961, 48,
109.
3 Bret Hinsch: Passions of the cut sleeve. The male homosexual tradition in
China, Berkeley: University of California Press 1990, 140.
4 R.H. van Gulik: Sexual life, 163.
5 Chou Wah-Shan: Homosexuality and the cultural politics of Tongzhi in Chinese
Societies. In: Journal of Homosexuality 40 (2001), 27-46, 30.
6 Evelyn Blackwood: Breaking the mirror. The construction of lesbianism and
the anthropological discourse on homosexuality. In: Journal of homosexuality
11 (1985), 1-18, 12.
7 Fang Fu Ruan/Vern L. Bullough: Lesbianism, 219-220.
8 Frank Dikötter: Sex, culture, and modernity in China, Honolulu: Hawai
University Press 1995, 129.
9 Fang Fu Ruan/Vern L. Bullough: Lesbianism, 221.
Siehe auch Y Chen/Y Chen: Lesbians in Chinas mainland. A brief introduction.
In: Journal of lesbian studies 10 (2006), 113-125.
10 Wan Ruixiiong: Xingai da bianzou guanyu zhongguo de tongxinglian went (die
wichtigen Variationen bei Sex und Liebe, das Problem der Homosexualität
in China), Beijing: China Social Sciences Press 1988, 95-98.
Shui Shui: Nu tonxingliana gongsi, Junlu yanging (die lesbische Gruppe, Liebesgeschichten),
Shengyan: Lianoning Mingzu 1989, 66-95.
11 Wan Yanhai: Becoming a gay activist in contemporary China. In: Journal
of Homosexuality 40 (2001), 47-64, 63.
12 Lena Correll: Die neuen Genossen. Langsamer Optimismus. Schwul-lesbisches
Leben in China. In: Freitag 08.02.2007.
13 Ebenda.