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Rattenfänger auf Schloß Bellevue


Erst Mitte November sickerte die Information durch, daß Bundespräsident Johannes Rau bereits am 4.Oktober 2002 dem Hormonforscher und emeritiertem Charité-Professor Günter Dörner, bekannt auch als „Ratten-Dörner“, das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen hat. Mit den tieferen Gründen für diese Auszeichnung sowie Dörners Karriere befaßt sich Florian Mildenberger

Günter Dörner hat ein bewegtes Leben hinter sich, vielfach überzeugte er durch Tätigkeiten, für die schon andere vor ihm mit buntem Blech aus Bundespräsidentenhand ausgezeichnet wurden. So zeigte er nie Skrupel, tiermedizinische Untersuchungen via Analogschluß sogleich auf den Menschen zu übertragen. Die hierzu nötigen Theoriemodelle übernahm er von seinen in Tier- wie Menschenversuchen bewanderten Lehrmeistern. Deren und Dörners Forschungen erfolgten mit dem Ziel, das deutsche Volk zu heterosexualisieren und so indirekt „aufzuarten“. Für ähnliche Bestrebungen gab es bis Mitte der 1960er Jahre aus berufenen Händen (Ja-Sager Theodor Heuß, Baumeister Heinrich Lübke) durchaus Orden.

Doch halt: Günter Dörner hatte sich doch der DDR angedient und nicht Hitler. Dafür war er eindeutig zu jung gewesen. Aber immerhin tat er sich nach 1990 damit hervor, die DDR-Universitäten von lästigen Ewiggestrigen zu säubern und durch Dörner-Hörige beziehungsweise bundesrepublikanisch-kompatible DDR-Wissenschaftler zu ersetzen. Damit hatte er gerade noch Anschluß an diejenigen Erben seiner Lehrmeister gefunden, die sich rechtzeitig für den überlegenen Kapitalismus entschieden hatten. Jedoch – solche Dienste wurden gemeinhin schon in der Kohl-Ära mit Orden bezahlt. Außerdem war Dörner eigentlich bereits dadurch entlohnt worden, daß ihm – im Gegensatz zu seinen abgewickelten, vielfach jüngeren Kollegen – gestattet wurde, nun Seite an Seite mit den ehemaligen Klassenfeinden auf Kosten der Deutschen Forschungs-Gemeinschaft (DFG) weiterzuarbeiten.

Warum aber erhielt Dörner erst jetzt einen Orden – und zwar nicht irgendeine billige Stufe des Bundesverdienstkreuzes wie für Hochwasserhelfer, Polizeihundeführer und Opernsänger –, sondern diese hohe Auszeichnung? Die Beantwortung dieser Frage hängt unmittelbar mit einer Untersuchung der Wurzeln des Dörnerschen Forschungskonstruktes zusammen.

Dörner und die Ratten

Günter Dörner startete seine Karriere in den 1950er Jahren bei Walter Hohlweg (1902-1992) am Institut für experimentelle Endokrinologie der Charité in Ostberlin. Von ihm übernahm er offenkundig – und auch nach Eigenangaben – Ansichten, die später für ihn wichtig werden sollten. Hohlweg war kein Geringerer als als der bedeutendste Schüler von Eugen Steinach (1861-1944) und hatte gemeinsam mit diesem im Auftrag der Berliner Schering-Werke an der Entwicklung eines Hormonmedikaments gearbeitet. 1928 gelang dem österreichischen Duo in deutschen Diensten die Entwicklung von Progynon, dem weltweit ersten reinen Hormonpräparat in Tablettenform. Diesem Forschungserfolg waren lange Jahre des Experimentierens an Ratten und Menschen vorangegangen. Wie bereits bei den fehlgegangenen Hodentransplantationen hatten sich Steinach und Hohlweg von scheinbar erfolgreichen Rattenversuchen leiten lassen. Dieses (eine) Mal jedoch verzeichneten sie einen Erfolg, Hohlweg trat in die Dienste des Schering-Konzerns und blieb in Berlin. Nach 1945 zeichnete er verantwortlich für den Aufbau der Hormonforschung in der DDR. Vom Odem einer Täterschaft im Nationalsozialismus unbelastet, durfte er sogleich dort weiterforschen, wo er einst unter der Leitung Steinachs begonnen hatte. Nun selbst Lehrmeister, zog sich Hohlweg in Günter Dörner einen treuen Schüler heran, der ihn 1962 als Institutsleiter beerbte und diese Funktion bis zur Emeritierung 1997 innehatte.

Dörner und Hirschfeld

In Fortsetzung der Überlegungen seines Lehrmeisters – und wahrscheinlich beseelt davon, dessen (sowie indirekt Steinachs/Hirschfelds) Scheitern auf dem Gebiet der Ergründung der Ätiologie respektive Heilbarkeit der Homosexualität auszubügeln – schritt Dörner Ende der 1960er Jahre zur Tat. Die Ähnlichkeiten in seinem methodischen wie praktischen Vorgehen mit den historischen Vorbildern sind geradezu frappierend. Wie Steinach/Hirschfeld stützte er sich auf eine ungenügende Zahl von Probanden, zögerte aber trotzdem nicht mit weitergehenden Schlüssen. Hohlweg/Steinach gleich stützte er sich allein auf Rattenversuche und zog Parallelen zwischen dem tierischen Verhalten und angeblichen homosexuellen Praktiken. Offenbar glaubte er, aufgrund der mittlerweile fortgeschrittenen Kenntnis über die Wirkungskraft der Hormone die „Steinach-Hirschfeldsche-Lehre“ doch noch zu verifizieren. Es wäre daher falsch, Günter Dörner aufgrund seiner Theorien eine Affinität zum Diskurs des „Dritten Reiches“ unterstellen zu wollen. Vielmehr war Dörner auf dem Höhepunkt seines Ansehens Mitte der 1970er Jahre dabei, den bereits totgesagten Überlegungen, Theorien und Zukunftsgedanken der sozialistischen Eugenik alten Stils doch noch zum Durchbruch zu verhelfen. Zwar mißlang Dörners Versuch, sich und seinen Lehrmeistern nachträglich ein Denkmal zu setzen. Aber die Grundüberlegungen Steinachs und Hohlwegs, über die Kenntnis der Hormone tierisches wie menschliches Verhalten deuten beziehungsweise verändern zu können, führt Dörner bis heute fort.

Dörner und seine Traditionslinie: Sozialdemokratische Eugenik

Durch den scheinbaren Dienst am Aufbau des Sozialismus (in der DDR) und die Übertragung seiner Arbeiten in die heutige Bundesrepublik verschaffte er der „sozialdemokratischen“ Eugenik über die Hintertür der Geschichte doch noch Eingang in die etablierte Wissenschaft. Deshalb erhielt Dörner das Große Verdienstkreuz aus den Händen des Sozialdemokraten Johannes Rau. Und aufgrund der offensichtlichen Wurzeln des Dörnerschen Denkens blieb zunächst auch jeglicher Protest gegen die Ordensverleihung seitens der arthritischen Schwulenbewegung und sich linksliberal gerierender Presseorgane aus. Denn gemäß der gängigen Logik hat Dörner nie etwas Negatives getan. Hat er sich etwa auf nationalsozialistisch-rassenhygienische Überlegungen gestützt. Keinesfalls! Hat er sich eventuell fremdenfeindlich geäußert? Niemals. Stehen seine Ansichten vielleicht im Gegensatz zu den Zielen der heutigen Politik oder gar im Widerspruch zu den Vorgaben des Grundgesetzes? Dann hätte er den Orden sicher nicht aus der Hand des Berufsantifaschisten Rau bekommen. Gerade deshalb eröffnet die Ordensverleihung indirekt einen Ausblick darauf, welche eugenischen Überlegungen der Vergangenheit in der neuen Biopolitik Aussicht auf Verwirklichung haben. Der versteinerte Tunnelblick auf eventuelle Kontinuitätslinien vom Nationalsozialismus/ Faschismus bis heute ist offenbar nicht geeignet, die Wurzeln der heutigen biogenetischen Überlegungen und ihre Ziele zu erfassen.