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Althans und die Attrappen


Holocaust-Leugner auf der Berlinale

"Das ist das Ende der Berlinale“, schreit ein Zuschauer in den Saal. Was ist passiert? Ist ein Meteorit auf den Potsdamer Platz gefallen? Hat sich Festivalleiter Kosslick an einer Fischgräte verschluckt? Oder gab es gar die Invasion der gierigen, Filmrollen fressenden Killer-Marder? Nichts davon. Rosa von Praunheim, immer für eine Provokation gut, hat gerade seinen Film Männer, Helden und schwule Nazis gezeigt und im Anschluß – nach einigem Zögern – Bela Ewald Althans auf die Bühne geholt, der vor zehn Jahren als Neonazi und Holocaust-Leugner Schlagzeilen machte und in Praunheims Film zu Wort kommt. Den Zuschauer im Colosseum-Kino, für den Althans’ Erscheinen Althans auf der Bühne das moralische Ende der Berlinale bedeutet, hält es nicht mehr auf seinem Sitz: „Der Praunheim duzt sich mit dem Althans, Leute, vergeßt das nicht. Der Praunheim duzt sich mit dem Althans!“ Bei allen drei Vorstellungen kam es zu solchen Szenen. Einer der im Film interviewten, Jörg Fischer (Ex-NPD- und DVU-Mitglied, jetzt beim Bund der Antifaschisten) weigerte sich, mit Neonazis gemeinsam auf einer Bühne zu stehen.

Praunheim stellt schwule Männer vor, die sich in rechtsradikalen Parteien und Organisationen engagieren. Nach eigener Aussage ging es ihm vor allem um den Widerspruch, den es darstellt, wenn man als Schwuler Mitglied einer Bewegung ist, die Schwule eigentlich haßt und sie außerhalb und innerhalb der eigenen Reihen immer wieder mit körperlicher Gewalt verfolgt. Trotzdem gab und gibt es bei den Rechten bis zu den Führungsebenen viele Schwule. Ernst Röhm und Michael Kühnen, der 1991 an AIDS starb, sind nur die prominentesten Beispiele. Praunheim spricht unter anderem mit einem Skin, der der NPD nahesteht, und mit einem heute einer ungenannten Rechts-Partei angehörenden Ex-PDS-Mann. Auch die „Green Barretts International“ stellt er vor: Schwule, die gern Uniformen anziehen und bescheuerte militärisch-sexuell angehauchte Übungen im Wald machen, ansonsten aber (angeblich) keine rechte Gesinnung haben, sondern nur einen Fetisch leben.

Ob man diese Personen mag oder nicht (darum geht es nicht): Praunheims Film ist ganz gut gelungen, auch wenn historische und aktuelle Passagen teils recht unvermittelt und bezuglos nebeneinander stehen. Der Lösung des eingangs erwähnten Widerspruchs ist man hinterher allerdings nicht näher, auch wenn ein Interviewter zu verstehen gibt, daß die Rechten Schwule nicht verachten, weil sie mit Männern ins Bett gehen, sondern wenn sie in ihren Augen effeminiert und verweichlicht sind. Vielleicht löst sich der Widerspruch, wenn man aufhört, Schwulsein als Eigenschaft so wichtig zu nehmen: Überall gibt es Schwule, am Theater genauso wie in Behörden, Parteien und Sportvereinen, bei Linken – und eben auch bei Rechten. Wenn einem etwas wichtig ist (und sei es eine verbrecherische Ideologie), dann ist man eben ein Arschloch und sucht sich andere Arschlöcher als Freunde – ob schwul oder nicht ist erstmal zweitrangig.

Einwände gegen Praunheims Film gab es reichlich: Er sei zu brav mit den Interviewten umgegangen, habe ihnen Raum zur Selbstdarstellung gegeben und sie kommentarlos einfach in eine Vitrine gestellt. Praunheim antwortete mit einer Offensive: Er habe, jawohl, genau das getan: weil er die Leute reden lassen wollte, ohne eine Diskussion vor der Kamera zu führen, bei der wichtige Äußerungen von ihnen möglicherweise unterdrückt worden wären. Außerdem hätten wir uns, sinngemäß, viel zu sehr daran gewöhnt, uns mit Neonazis nicht mehr selbst auseinanderzusetzen, sondern das Thema sofort mit einem didaktischen, kritischen Rahmen zu umgeben und damit zu Tode zu würgen. Unterstützt wurde er darin von Panorama-Leiter Wieland Speck: „Wir müssen Bewegung reinbringen in die Köpfe der Leute, die sich schon auf der guten Seite positioniert haben“. Beifall aus dem Publikum.

Und Althans? Er, der Hitler als perfekten Menschen bezeichnet und in einer der Gaskammern von Auschwitz laut ausgerufen hat, er wolle verhindern, daß der Welt Attrappen vorgeführt werden – 1993 festgehalten in Winfried Bonengels Film Beruf Neonazi –, beteuerte auf der Berlinale 2005, er habe sich bereits vor zwölf Jahren vom rechten Gedankengut losgesagt, aber seine Vergangenheit hänge ihm immer noch an. Dann jedoch sagte er etwas, dessen Ungeheuerlichkeit im allgemeinen Tumult unterging: Ausgestiegen sei er, weil er schwul ist. Sein Schwulsein habe ihm bewußt gemacht, daß er bei den Rechten schlecht aufgehoben sei. Was soll das? Nur sein Schwulsein? Im Grunde sagt Althans damit, daß sich an seiner Einstellung gegenüber Juden und Ausländern nichts geändert hat, sondern er einfach nur mit den falschen Kumpels abgehangen habe. Wäre er hetero, er würde weiter munter den Holocaust leugnen. Wenigstens gab ihm ein anderer Besucher noch den richtigen Rat mit auf den Weg: „Du weißt, was du zu tun hast: Zu verbreiten, daß die Nazi-Scheiße der letzte Dreck ist.“ Althans sagte dazu nichts. Nach der Vorführung diskutierte Praunheim noch mit anderen Zuschauern im Foyer weiter.

Udo Badelt