Pimmelparade
Was hat der seit Männer in der Werbung (1998) und Männer-Models pur (1999) anerkannt ahnungslose Bücherverursacher Dietmar Kreutzer zu sagen, wenn er sich den nackten Mann im Film vorknöpft? Starstrip! will dem Wandel des Mannes als erotisches Objekt auf der Leinwand nachspüren, erklärt der Querverlag. Ein Muß für alle, denen nacktes Männerfleisch im Kino nicht nur die Herzen höher schlagen läßt.
Daß
es Kreutzers Schwanz höher schlagen läßt, unterscheidet
den Stadtplaner von Filmjournalisten, die im Kino für gewöhnlich
beide Hände frei und einen Notizblock im Schoß haben. Es nützt
nichts, daß der Verlag den Autor gleich im Klappentext als triebgesteuert
entschuldigt: Für knapp 25 Euro bietet Starstrip! nicht mehr
als einen Quickie aus grisseligen Screenshots und meist briefmarkengroßen
Unten-ohne-Bildchen diverser Leinwandpromis. Wirklich enthüllend sind
nicht Abbildungen wie die des im Geäst onanierenden James Dean beim Freiluftsport
mit Eichhörnchen (das unscharfe Pikantje ist längst aus Paul
Alexanders hierzulande 1995 erschienener Skandalbiographie bekannt), sondern
vielmehr der Versuch, die Pimmelparade auch noch mit einem ganzen Kapitel
filmtheoretisch aufzupeppen. Dabei kriegt Kreutzer auf mehr als fünfzig
Seiten keinen hoch. Nichts als Paraphrase und Phrasendrescherei: Im
sinnenfrohen Frankreich war die Filmzensur jahrzehntelang eine Domäne
ministerieller Willkür, steht da, aber nichts zu Pariser Pornoproduktionen
aus der Stummfilmzeit, die schon homosexuelles Begehren zeigten. Daß
der 1934 in den USA ratifizierte Hays Code gegen Unmoral im Film
maßgeblich auf Druck des Klerus hin zustande kam, der das Medium
als das Propagandainstrument des 20. Jahrhunderts erkannt hatte, ahnt Kreutzer
nicht einmal. Dabei ist die Verbotsliste des Hays Code identisch mit den (Sexual-)
Tabus des Katholizismus. Während in Hollywood die Scheren immer
lauter klapperten (!), wurde laut Kreutzer 1933 in Deutschland als
wichtigste Errungenschaft (!!)
eine reichseinheitliche Zensur in Berlin
etabliert. Auch ungewollt komische Formulierungen wie die, US-Regisseur
Gerard Damiano habe mit seinem Pornoklassiker Deep Throat von
1972 das Ei des Kolumbus gefunden, hat das Lektorat nicht verhindert.
Daß sich in den 70ern dank der (weniger für seine Eier bekannten)
Hollywoodgröße Jack Nicholson die eher belächelte Selbstbefriedigung
mittels Zelluloid zum Volkssport entwickelte, scheint für Kreutzer
ebenso sicher wie der Plot des Streifens Baby (BRD 1984): Die
Aktivitäten eines Berliners lassen den Traum vom eigenen Sportstudio
platzen: Masturbation eines jungen Unbekannten in der Badewanne. Mit
Verlaub: Der Unbekannte ist der Hauptdarsteller, heißt Udo Seidler und
seine Aktivitäten sind vor allem kriminelle.
Also:
Im modernen Antiquariat wird gerade Amos Vogels Standardwerk Film als
subversive Kunst verramscht, eine materialistische Analyse über
das Kino wider die Tabus von Eisenstein bis Kubrick. Die
Anschaffung lohnt, am Beispiel von Pasolinis Decameron von 1970
sagt Vogel sogar etwas zum Hoden des Mannes im kommerziellen Film.
Hoden und Pasolini sind in Dietmar Kreutzers freizügigem Werk nämlich
ebenfalls strictly taboo.
Dirk Ruder