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Perlen & Säue


Die Initiative „Queer Nations“ hat ihre eigene Zeitschrift, die eigentlich ein Jahrbuch ist und Queer Lectures heißt. Der erste Band vereint die Druckversionen von Vorträgen Dagmar Herzogs, Tatjana Eggelings, Andreas Kraß’ und Martin Danneckers. Die Redaktion aus Jan Feddersen und Frau Eggeling wähnt sich mit diesen 142 Seiten auf den Spuren Hirschfelds und dessen Instituts für Sexualwissenschaft, weil man die Geschichte der Homosexualitäten erforscht. – Leider falsch, Magnus Hirschfeld untersuchte Sexualitäten per se und widmete nur der Homosexualität besondere Aufmerksamkeit.

Wenigstens haben drei der Autoren nicht diesen Tunnelblick. Dagmar Herzogs Beitrag ist mit Abstand der beste. Mit leichter Feder zeichnet sie die sexuelle Evolution der US-amerikanischen Rechten und das ohrenbetäubende Schweigen der Liberalen und Linken nach. Während offizielle Stellen in den USA Statistiken fälschen, medizinische Fakten zur Sexualität unterdrücken und die Regierung Bush die Vergabe von Hilfsgeldern an afrikanische Staaten zur AIDS-Bekämpfung an die faktische Nichtausgabe von Kondomen koppelte, dümpelten die vormals so kämpferischen Befürworter einer sexuellen Libertinage in ihren verbliebenen Reservaten vor sich hin. Das ist nur möglich, weil Konservativismus so sexy ist: Gott vergibt alles, wenn man nur bereut oder wenigstens so tut. Der konservative amerikanische Mann darf auf heterosexueller Ebene alles, was er will, und die Frauen haben das Recht zum multiplen Orgasmus – aber nur in der Ehe. Homosexuelle werden nicht mehr erschossen, sondern dürfen agieren, wenn sie sich mit Heilungsgesülze zutexten lassen. Veranlaßt wurden die Evangelikalen zu diesem radikalen Bruch mit der eigenen Vergangenheit durch eine Reihe von Skandalen. Oder wie Herzog süffisant bemerkt: „Als dann noch in Alabama der baptistische Pastor Gary Aldridge tot im Keller seines eigenen Hauses gefunden wurde, versehentlich erstickt beim autoerotischen Sex, sein Körper in doppelte Gummianzüge gezwängt, an Armen und Beinen gefesselt und mit einem großen schwarzen Dildo im Hintern, war die Pleite der Moralreiterei zu offensichtlich, als daß rechtsreligiöse Kreise irgendeinen Ausweg oder eine Erklärung finden konnten“ (S. 19-20). Der plumpe Rassismus vergangener Tage ist geschwunden, den Liberalen und Linken ist der dumme Gegner abhanden gekommen, nun wissen sie nicht mit den dauergeilen und orgasmusbeglückten Konservativen umzugehen. Etwas zu kurz kommen allein die trotz der Pädophilievorwürfe gegen Priester erstarkende katholische Rechte und die Hinterfragung, ob die Homo-Ehe wirklich ein liberales Ziel sein kann.

Während Herzog fundierte Arbeit bietet, drückt Tatjana Eggeling allein auf die homosexuelle Tränendrüse und offeriert ein erstaunlich verstaubtes Bild des deutschen Fußballs, den sie besonders schwulen- und lesbenfeindlich findet. In ihrem fremdwortgeladenen Potpourri stolpern heterosexuelle Machos über Bolzplätze und bieten maskulinen Körpereinsatz, der Schwule scheinbar abstößt und nicht ins Milieu läßt. Die Ausgrenzung förderten heterosexistische Verbandsfunktionäre, denen nur die Frauen-Nationalmannschaft etwas mehr zusagt. Warum nur? Weil die Weltmeisterin geworden ist? Erfolg macht sexy. Hätte die Autorin jemals ein Bundesligamatch im Stadion verfolgt, wüßte sie, wieviel sich in den letzten Jahren durch „Legionäre“ in hiesigen Clubs verändert hat. Das leichte Spiel eines Ze Roberto, Marcelinhos Eleganz färben auf die deutschen Spieler ab, tangohafte Bewegungen und große, jede Pseudomaskulinität ironisierende Dramen („Schwalben“) könnte Frau Eggeling jedes Wochenende verfolgen. Haarmode, Make-up und theatralischen Schmerz über abgebrochene Fingernägel inklusive. Dazu eine immer noch betonte Männlichkeit – warum sollten Schwule so etwas nicht schätzen? Eggeling aber strebt nach internationalen Antidiskriminierungsgesetzen, um schwule und lesbische Sportler zu schützen. Muß man eigentlich schwul sein, um ein guter Fußballer zu sein oder könnte es eventuell sein, daß niemanden mehr interessiert, wer schwul ist und wer nicht? Außer natürlich einigen Homoverbandsfunktionären, die dringend einen Existenzgrund brauchen? Ähnliches gilt ja in deutschen Universitäten für Geisteswissenschaftler, die nicht immer zufällig auf der Abschußliste ganz oben stehen. Das betrifft auch Gender-Forscher wie Andreas Kraß, der über Metrosexualität und die Schwulitätsgrade des modernen Mannes schreibt. Obwohl er weiß, daß der Begriff Metrosexualität ursprünglich ein Produkt der Konsumkritik war, bedient er sich bei seiner Analyse allein der Konsumwelt und der Presse – ohne Kritik materieller, ökonomischer oder tiefergehender sexistischer Zusammenhänge. Ganz modern ist der Genderforscher von den zentralen Widersprüchen und Reibungspunkten der gegenwärtigen Gesellschaft am weitesten entfernt. Er ist gefügiges Werkzeug der Herrschenden, Dekonstruktion wird auf die schwülstige Sprache beschränkt. So bleibt sein Job sicher.

Immerhin weiß Kraß, wie wissenschaftliche Arbeit formal auszusehen hat. Das kann man von Martin Dannecker nach Studium seines Essays über Sigmund Freuds Dekonstruktion der sexuellen Normalität leider nicht behaupten. Er lobt zwar den revolutionären Charakter der „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ von 1905, zitiert aber stets die 6. Auflage aus der Gesamtausgabe. Darin schwärmt Freud unter anderem vom Sinn der Hodentransplantation! Aber wissenschaftliches Arbeiten ist ja nicht unbedingt eine Stärke von Queer-Forschern, wie vor kurzem Kevin Kopelson (Professor in Iowa) nachwies, der sich in der renommierten London Review of Books als Plagiator bekannte: Das gehöre in seinem Business einfach dazu. Man ahnt, welche Möglichkeiten sich da für künftige Ausgaben der „Queer Lectures“ bieten und steht zugleich vor der Frage, bei welchen Wissenschaftlern man sich bedienen wird. Ökonomische Zusammenhänge zur Sexualität spart auch Dannecker aus. Die Zeiten, als der „gewöhnliche Homosexuelle“ noch Brot-und-Butter-Jobs annehmen mußte, um über die Runden zu kommen, sind offenbar vorbei. So sind die Queer-Lectures im Ganzen weniger queer als vor allem schräg. Mein Vorschlag zur Rettung des ambitionierten Projekts: Die Redaktion übernimmt Detlef Grumbach und Dagmar Herzog wählt Themen und Autoren aus. So könnten ideologieüberfrachtete Herz-Schmerz-Artikel, methodische Stümpereien und persönlich gefärbte Sexualschluckaufs vermieden werden.

Florian Mildenberger