Papa
Massimo
Der Vater
der italienischen Schwulenbewegung ist tot. Eine Erinnerung an Massimo Consoli
von Wolfram Setz
Jede Bewegung hat ihre
prägenden Gestalten. Hierzulande heißt eine Rosa von Praunheim,
den das Schwule Museum in Berlin gerade in Rente geschickt hat
und mit einer umfangreichen Ausstellung mitsamt Rahmenprogramm ehrt. In Italien
hatte Massimo Consoli nicht die Chance, das klassische Rentenalter zu erreichen.
Vor Jahren mit der Diagnose Krebs konfrontiert, hat er zwar der Krankheit
statt der von seinen Ärzten zugestandenen Monate noch ein paar Jahre
abgerungen, angefüllt mit bewundernswerter Aktivität wie eh und
je, aber am 4. November 2007 mußte er sich geschlagen geben.
In den zahlreichen Nachrufen
in italienischen Medien wird er immer wieder als Vater der italienischen
Schwulenbewegung gefeiert, jetzt ist er wie die Bewegung selbst ein
Stück Geschichte geworden. 1963 gründete er als 18-Jähriger
ein erstes Diskussionsforum zu Fragen sexueller Diskriminierung und sozialer
Ungerechtigkeit. 1971 wurde sein Manifesto per la Rivoluzione Morale:
lOmosessualità Revoluzionaria zur Geburtsurkunde der Schwulenbewegung
in Italien.
Der Schritt in die Politik
war für ihn nie eine Option auch bei uns sitzt ja nicht Rosa im
Parlament , sein Medium war das Wort. In einer Vielzahl von Flugschriften,
Broschüren und Büchern hat er die internationale schwule Bewegung
und ihre Geschichte in die italienische (schwule) Öffentlichkeit getragen.
Eine Offenbarung war für ihn seinerzeit die auch auf Deutsch erschienene
Studie Die frühe Homosexuellenbewegung von John Lauritsen
und David Thorstadt (1974, dt. 1984). Consoli ging für einige Jahre
nach Amerika, knüpfte persönliche Kontakte und kaufte an die
zweitausend Bücher, insbesondere zur Geschichte und Kultur
der Homosexuellen. Im Laufe der Jahre baute er ein umfangreiches Archiv
auf, das vor einiger Zeit vom italienischen Staat in Obhut genommen wurde.
Über die englische
Sprache wurde Consoli auch bekannt mit der frühen Emanzipationsbewegung
in Deutschland: Ich hätte mir nie vorstellen können, daß
die erste Bewegung im Kampf um die Rechte der Homosexuellen gerade dort entstanden
war, in dem Land, in dem später die Nazis Homosexuelle nicht nur verfolgten,
sondern auch vernichteten. (Auch darüber hat er ein Buch geschrieben
mit dem aus heutiger Sicht fragwürdigen Titel Homocaust.)
Prägendes Vorbild wurde für ihn Karl Heinrich Ulrichs, an dem ihn
der einzigartige Mut bei der Verteidigung der Urninge
faszinierte. Zurück in Italien, blieb er Ulrichs auf der Spur, suchte
und fand erneut dessen Grab in Aquila und zelebrierte dort seitdem jedes Jahr
dessen Geburtstag, zunächst allein, allmählich im Rahmen einer Pilgerfahrt,
im Jahre 2000, zu Ulrichs symbolträchtigem 175. Geburtstag,
mit großer internationaler Beteiligung. Im August 2007 hatte er wegen
Krankheit seine Teilnahme schon abgesagt, war aber dann doch dabei
zum letztenmal.
Die Verlebendigung von
Geschichte, für die er rastlos tätig war, hatte in Aquila Erfolg:
Dort gibt es seit einem Jahr eine Piazzale Karl Heinrich Ulrichs
(siehe Gigi Nr. 48); den Boden dafür hat Massimo Consoli
bereitet.
Er, der Anarchist und
Antiklerikale, arbeitete an einem Heiligenkalender eigener Art: Das Gedenken
an die großen Vorkämpfer sollte sich nicht nur an Daten, sondern
möglichst auch an Orten festmachen und in Büchern manifestieren.
Zu den großen Leistungen seiner letzten Jahre gehört die italienische
Übersetzung der Ulrichs-Biographie von Hubert Kennedy (2005). Aber auch
weniger bedeutenden Vorkämpfern hat er Studien gewidmet, etwa Karl Maria
Kertbeny, dem Erfinder des Wortes homosexuell. Und da es zuerst 1868 in einem
Brief an Ulrichs auftaucht, gibt es von Consoli eine kleine Monographie zum
Jahr 1868 und zur Geburtsstunde der Homosexualität (Nasce
lomosessualità. 1868).
Doch Consoli war nicht nur mit führenden Köpfen der Schwulenbewegung wie Mario Mieli bekannt und an der Gründung so mancher Gruppe und Einrichtung beteiligt, er durfte sich auch als Freund von Pier Paolo Pasolini und Dario Bellezza bezeichnen.