Salzgebers Erbe
Als Manfred Salzgeber, der Jahre zuvor das Internationale Forum des Jungen
Films im Zorn Richtung Amsterdam verlassen hatte, 1980 vom damaligen Festivalleiter
Moritz de Hadeln nach Berlin zurückgeholt wurde, um die vor dahindümpelnde
Infoschau neu zu beleben, ahnte wohl niemand, daß das Panorama, wie
es ab 1986 hieß, zu einer der profiliertesten, publikumsträchtigsten
Sektionen werden würde. Mit dem Credo Man muß das zeigen,
was es gibt brachte Salzgeber genauso eine schräge Dokumentation
über Eva Peron wie Filme abseits der Hollywood-Trampelpfade auf Berliner
Leinwände. Sein besonderes Interesse galt dabei stets den Bedrohten,
Unterdrückten und Verfolgten, wo auch immer sie in der Welt zu finden
sind sowie Untersuchungen von Sexualitäten, besonders der schwulen,
die lange Zeit fast ausschließlich aus Nordamerika kamen. So dürfte
es auch ihm zu verdanken sein, daß zunehmend EuropäerInnen sich
aufrafften, Filme lesbischer/schwuler Thematik zu drehen und MacherInnen mit
experimentellerem Ansatz an Publikum kamen. Monika Treuts, Gus van Sants,
Chantal Akermans, Pedro Almodovars, Kathryn Bigelows und Derek Jarmans Filme
fanden zuerst in Berlin Beachtung. Er begnügte sich jedoch nie mit Offensichtlichem,
bohrte geduldig weiter, bis auch Filme aus Osteuropa kamen und asiatische
Filmemacher wie Stanley Kwan schwule Sexualität und Frauenleben gleichermaßen
untersuchten. Jahrelang hing (vermutlich nicht nur) ich ihm in den Ohren,
er solle doch auch Lesbenfilme zeigen. Einige der lesbischen und schwulen
Filme, die damals nur im Filmmarkt zu sehen waren, zeigten wir später
auf Wochenend-Festivals, denn nach seiner Überzeugung kann ein Film in
acht Minuten mehr leisten als diese ganzen Seminare in Wochen. Heute
gibt es lesbisch-schwule Festivals quer durch Europa, Nordamerika und sogar
in Asien, und alle schicken sie ihre Vertreter zur Berlinale, die vom Panorama
hilfreich erstellte Queer-Liste durchzugucken und Entdeckungen im Filmmarkt
zu machen.
Auch der
Teddy ging aus dem Panorama (auch Pornodrama genannt) hervor.
Zwei schwule Festivalmacher beschlossen spontan, die an sich für ihre
Lover gekauften Berliner Plüschbären beim gemütlichen Berlinale-Ausklang
im Buchladen Prinz Eisenherz Pedro Almodovar für Das Gesetz der Begierde
und Gus van Sant für 5 Ways to Kill Yourself zu überreichen.
Ein oft kopiertes Modell, ist der Teddy nach wie vor der einzige Homo-Filmpreis
bei einem A-Festival. Ohne die Pflege Manfreds und seines Assistenten Wieland
Speck wie auch die Unterstützung Moritz de Hadelns und Dieter Kosslick
hätte er nie so wachsen können.
Die 90er
Jahre waren durch herbe Verluste infolge AIDS gekennzeichnet. Nicht nur Filmemacher
wie Derek Jarman, Marlon Riggs und Phil Zwickler, auch Manfreds engagiert-kantige
Art vermissen wir nun schon seit über zehn Jahren. Das hieß für
Wieland Speck im wesentlichen Abschied vom Filmemachen, für das keine
Zeit blieb. Unter seiner Leitung blieben die Panorama-Kinos Lesben- und Schwulentreffs,
zugleich baute er das Programm zur Modenschau der kommenden Arthaus-Saison
(Kieler Nachrichten) aus. Während Manfred seinen eigenen Verleih aufbaute,
hat Wieland Speck guten Erfolg im Vermitteln seiner Filme an Verleiher
rund fünfzig Prozent eines Jahrgangs laufen weiter.
Das Panorama
ist vielleicht die breiteste Berlinale-Sektion mit eigener Dokfilm-Schiene
wie den von Margaret von Schiller liebevoll betreuten Kurzfilmen. Daß
diese nun nicht mehr komplett in zwei großen Programmen in den ersten
beiden Festivaltagen zu sehen sind, sondern wie auch das Wettbewerbs-Kurzfilmprogramm
in einem zwar eigenen, aber viel zu kleinen Kino präsentiert werden,
harrt noch der Verbesserung.
Ira Kormannshaus