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Ohne Feigenblatt


Salzhaltige Luft scheint nicht nur Häuserfassaden arg zuzusetzen, sondern auch die Gehirne ihrer Bewohner zu schädigen. Leicht wird so aus einem scheinbar wertvollen Ansatz eine muffige Veranstaltung. Ein herausragendes Beispiel für die Übereinstimmung von äußerem und innerem Verfall bietet das in der Washington Avenue Nr. 1205 in Miami Beach beheimatete „World Erotic Art Museum“. Außen Schimmel, innen Moder!

Gegründet wurde die angeblich „World’s greatest Collection of Erotic Art“ von der Antiquitätenhändlerin und Selbstdarstellerin Naomi Wilzig, die auf Flachbildschirmen allgegenwärtig hechelnd Dildos, Kunsthandwerk und Bilder präsentiert. Man ist versucht anzunehmen, sie habe alle Exponate höchstselbst auf ihre Praxistauglichkeit getestet. Zwar sind die Ausstellungsgegenstände in reichlicher Form, aber auch in völliger Unordnung vorhanden. Doch Erklärungen zu den Objekten fehlen meistens oder sind ungenau. Insofern ähnelt das Museum dem verstaubten Ensemble im Berliner „Beate Uhse Museum“. Und die weltgrößte Ausstellung ist dieses Sammelsurium sicher nicht, jede bessere Asservatenkammer kann hier quantitativ mühelos mithalten. Qualitativ böte das Museum eine ganze Reihe wirklich herausragender Schätze aus verschiedenen Kulturkreisen und Jahrhunderten. Allein, die Präsentation in schummrigen Glasvitrinen beziehungsweise völlig sinnloser Aneinanderreihung (Japanischer Holzschnitt neben Art-Deco-Bild zu Füßen einer nachgemachten römischen Statue) vermag noch den interessiertesten Betrachter abzuschrecken oder nach wenigen Minuten zu ermüden.

Hinzu kommt, daß der verantwortliche Art Director Julian Murphy offenbar nicht den geringsten kulturhistorischen Sachverstand besitzt. So fehlen alle Hinweise auf Sexualitäten und Geschlechter jenseits des Mann/Frau-Schemas. Hermaphroditen scheint es in der griechischen und römischen Antike nie gegeben zu haben. Und sexuelle Zwischenstufen kann es in einem Museum, das sich stolz als Mitglied der Jeb-Bush-Administration hörigen örtlichen Wirtschaftskammer präsentiert, wohl nicht geben. Homosexualität ist nur in zumeist unästhetischer Form wiedergegeben und allein auf das männliche Geschlecht beschränkt. Lesbische Erotik ist der ansonsten so bewanderten Naomi Wilzig wohl unbekannt. Auch dominante Frauen fehlen in den Darstellungen gänzlich. Nur wenn es sich ob der Herkunft der Exponate nicht anders machen läßt, ist die Hautfarbe der dargestellten Personen einmal nicht so hell wie der Teint des durchschnittlichen Hillbilly-Sektenpredigers.

Die ganze Verklemmtheit dieser Ansammlung von Lustbereitern und Sexdarstellungen offenbart sich im Werbefaltblatt. Da sind Brüste und Schwänze gerastert, auf daß der Betrachter nicht zu unzüchtigen Gedanken verführt werde. Man fragt sich, weshalb in der Ausstellung die männlichen Geschlechtsorgane nicht noch mit Feigenblättern verhüllt sind. Wer zufällig in Miami weilt und 15 US-Dollar übrig hat, sollte sich diesen vorzüglichen Einblick in die Sexualangst der „weißen“ nordamerikanischen Mittelklasse nicht entgehen lassen. Geöffnet ist täglich von 12 bis 24 Uhr, der in unsäglichem Layout gehaltene Katalog kostet läppische 53 Dollar und ist ein echter Geheimtip für Visualmasochisten.

Florian Mildenberger