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Sehr geehrter Herr Polizeipräsident!


Unbeantwortet: Offener Brief eines schwulen Gewaltopfers

Als an den Hauptverantwortlichen für die gesamte Berliner Polizei wende ich mich an Sie in einer Angelegenheit, die mich ganz unmittelbar betroffen hat.

Am Freitag den 17. 11. gegen 22 Uhr hielt ich mich im „City-Men-Shop“ in der Fuggerstraße 26, einem schwulen Videoladen und Sexkino, auf. Ich befand mich im Eingangsbereich des Kinos, als plötzlich lautes Gebrüll und der Lärm umgestürzter Möbel aus dem Ladenbereich drang. Sofort danach wurde die Tür zum Kino aufgestoßen und mehrere vermummte Personen in Kampfmontur stürzten sich auf mich und rissen mich zu Boden. Weil ich mich nicht gleich flach hinlegte, begannen sie lange auf mich einzuprügeln und einzutreten, auch mehrfach auf den Kopf. Sie drückten mir den Kopf mit dem Stiefel so fest auf den Boden, daß ich nach Luft ringen mußte und meine Brille stark verbogen wurde. Dann verdrehten sie mir die Arme auf dem Rücken und legten mir Handschellen an. Zu keiner Zeit habe ich auch nur das geringste Anzeichen von Widerstand gezeigt. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, daß inzwischen auch ein anderer Kinogast reglos mit dem Gesicht am Boden lag.

Während dies geschah, wurde zu keiner Zeit bekanntgegeben, daß es sich um einen Polizeieinsatz handelt und Gäste, die unbehelligt geblieben waren, fragten mich, wer die Maskierten denn seien. Nach einer Weile beruhigte sich die Situation etwas und ich war in der Lage zu schreien, was denn hier los sei. Die Maskierten sagten, es komme gleich jemand, der alles erklären werde. Es erschien dann jemand, der sich als Polizeieinsatzleiter zu erkennen gab und kundtat, man habe eine Drogenrazzia im benachbarten Bordellbetrieb geplant und sich in der Tür geirrt!
Zu erwähnen ist in diesen Zusammenhang, daß der „City-Men-Shop“ im Unterschied zum benachbarten Eingang mit drei großen Regenbogenfahnen klar erkennbar als schwuler Betrieb gekennzeichnet ist.

Erst auf meine Aufforderung hin nahm er mir schließlich die Handschellen ab, entschuldigte sich pauschal und gab mir auf mein Verlangen hin seine Dienstnummer, die ich Ihnen auf Nachfrage jederzeit mitteilen kann. Als ich nach vorne in den Laden ging, traf ich dort auf einen Gast, der ebenfalls sichtbar unter Schock stand und bei dem sich schnell herausstellte, daß er noch brutaler behandelt worden war als ich. Da ich das Angebot, einen Krankenwagen zu rufen, von den gleichen Beamten, die mich eben zusammengeschlagen hatten, nicht annehmen konnte, habe ich den Laden verlassen und bin zuerst nach Hause gegangen. Nach kurzer Zeit fühlte ich eine dicke Beule im Nacken und entschloß mich, die Notaufnahme der Elisabeth-Klinik aufzusuchen. Dort wurde mir neben mehreren Blutergüssen und Prellungen ein Schock attestiert.

Hiermit möchte ich bei Ihnen als dem obersten Dienstherrn der Berliner Polizei schärfsten Protest gegen eine solche Behandlung und Körperverletzung durch Ihre Beamten einlegen und verlange von Ihnen neben einer vollständigen Untersuchung und Aufklärung dieses Vorfalls eine Öffentliche Entschuldigung und eine Zusicherung, daß sich ein solcher nicht wiederholen wird. Ich bin entsetzt über die Brutalität dieses Einsatzes und frage Sie, welche grundsätzlichen Überlegungen der Polizeiführung, welche Ausbildungs- und Einsatzrichtlinien dafür der Hintergrund sind. Ist, wie es derzeit international Mode ist, eine Art Präventivstrategie in Kraft, die an vorbestimmten Orten ohne genau hinzusehen sofort mit aller Härte zuschlägt und auch Kollateralschäden einkalkuliert, wenn nur jegliche Gefahr für die eigenen Kräfte ausgeschaltet ist? War das Verhalten der Beamten nicht doch von der Tatsache bestimmt, daß ein schwuler Sexshop automatisch dem Rotlichtbereich zugerechnet wird, in dem die Polizei nach solch besonderen Regeln verfährt?

Ich möchte betonen, daß auch für Verdächtige aus dem Drogenmilieu eine solche menschenunwürdige Vorgehensweise der Polizei in keinem Fall akzeptabel ist. Im übrigen würde ja ein Umdenken in der Drogenpolitik und eine weitgehende Drogenfreigabe dem damit verbundenen Kartell den Boden entziehen und die ganze auf diesen Bereich konzentrierte Fahndungsenergie könnte auf das viel wichtigere Feld der Wirtschaftskriminalität umgelenkt werden. Ich habe gehört, daß bis in höhere Polizeikreise und Gefängnisdirektorien hinein der harte Kurs der derzeitigen Drogenpolitik kritisiert und als gescheitert angesehen wird. Wie stehen Sie selbst dazu?

In jedem Falle ist eine Vorgehensweise, in der die Polizei dem Bürger in solch anonymer und aggressiver Fratze gegenübertritt und ihn gleichsam präventiv zusammenschlägt, in keiner Weise hinzunehmen.

In Erwartung Ihrer Antwort verbleibe ich hochachtungsvoll,

Gottfried Ensslin