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Natürliche Motive


Man müsse, „um im Alter versorgt zu sein, entweder Humankapital oder Realkapital bilden“, meinte Hans-Werner Sinn letzten Dezember in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Das Warum und Wie predigt der Präsident des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung seit Jahren. So rechnete der „Wirtschaftsweise“ am 8. April 2001 in der Welt unter dem Titel „Rentenhöhe nach Kinderzahl“ vor: „Zehn Deutsche haben im Laufe ihres Lebens weniger als zehn Kinder, die Relation von Alten und Jungen wird sich bis zum Jahr 2035 mehr als verdoppeln ... Nicht weniger als 40 Millionen jüngerer Einwanderer wären nötig, um die Relation von Alten und Jungen bis zu diesem Jahr konstant zu halten.“

Mit derlei Un-Sinn qualifiziert sich ein Professor zum Milchmädchen: Der demographische Faktor ist für die Rentenkassen nämlich nur relevant, sofern man ignoriert, wie dramatisch sich in den letzten Dekaden der Abstand zwischen Lohn-, Produktivitäts- und Konzernprofitentwicklung vergrößert hat. Der ifo-Chef indes erklärt in durchschaubarer Absicht: „Die Überalterung ist das Ergebnis einer veränderten Lebensplanung ... Die DINK-Familie (double income, no kids) setzt sich immer mehr durch.“ Darum gelte es „vor allem“, „die Einstellung der jungen Menschen zu Kindern und Familie zu ändern“; die Rentenversicherung sei eine „gegen Kinderlosigkeit, denn sie verschafft einem im Alter Ansprüche gegen die Kinder anderer Leute, wenn man selbst keine hat“. Eine „Staffelung der Renten nach Kinderzahl“, so die biologistische Logik, „würde wenigstens einen Teil der natürlichen Motive für den Kinderwunsch wiederherstellen“.

Beiträge zur Volksverblödung adeln Massenmedien und Dr. Angela Merkel mit Wiederholung, wodurch dieser auch ins Büro des schwulenpolitischen GAL-Sprechers in der Hamburger Bürgerschaft gelangte: Wie so oft konnte jener Farid Müller sein Plappermäulchen nicht halten und ließ seinen gleichgeneigten Adlatus Jörg Ebel einen Pressetext aufsetzen, der nicht weniger ist als Müllers „Ja“ zum Prinzip Rentenklau: „Eine Änderung bei den Renten darf nicht zu einer Strafsteuer für Lesben und Schwule werden. Solange der Staat lesbischen und schwulen Paaren das Adoptionsrecht vorenthält und auch beim Sorgerecht starke Einschränkungen macht, verbietet sich jede Debatte über die Veränderung der Renten kinderloser Paare. Es wäre eine ungerechte Bestrafung lesbischer und schwuler Paare, wenn man ihnen auf der einen Seite das Adoptionsrecht vorenthält und sie dann als kinderlose Paare bei der Rente schlechter stellt. Der Vorschlag des ifo-Chefs macht deutlich, daß die Einführung des Adoptionsrechts für Lesben und Schwule zu den vordringlichen Aufgaben der Koalition gehört.“ – Und nicht etwa, jene Konzerne, unter denen Rot-Grün regiert, endlich wieder zu besteuern, die Löhne und Renten deren Profitwachstum anzupassen und so die Altersarmut zu bekämpfen.

Eike Stedefeldt