War
schön mit Dir, Ralf
Statt eines Nachrufs
ein Abschiedsbrief an Ralf Leppin von Ortwin Passon
Renate Schultze,
die Leiterin unserer Sozialkommission, der Soko 2 C des Bezirksamts
Tempelhof-Schöneberg von Berlin, klang mir noch im Ohr. Sie erreiche
Dich am frühen Vormittag immer am besten, meinte sie. Na gut, dachte
ich mir am 5. August kurz nach neun Uhr und erwischte mal wieder nur
Deinen Anrufbeantworter. Du wünschtest doch meine Hilfe bei Deinem Erschwernisantrag
auf Anerkennung Deiner Schwerbehinderung durch das Versorgungsamt, erinnerte
ich Dich, und über Deinen Rückruf würde ich mich sehr freuen,
sprach ich aufs Band. Der Einfachheit halber hinterließ ich noch meine
Rufnummer, damit Du gar nicht erst lange nach ihr suchen mußtest. Doch
es war zu spät.
Gegen Mittag
klingelte mich Deine Schwester Susanne an. Sie habe Dein Aufzeichnungsgerät
abgehört und müsse mir mitteilen, daß Du, erst 45jährig,
in der Nacht vom 3. auf den 4. August verstorben bist. Du warst
bei zwei guten Freunden in Frechen bei Köln, die sich wirklich sehr liebevoll
um Dich gekümmert haben, sagte sie. Eigentlich sei es Dir wieder deutlich
besser gegangen. Doch kurz vor Mitternacht mußt Du nochmals wach geworden
und aufgestanden sein. Dir sei schlecht, sagtest Du. Und dann bist Du einfach
zusammengebrochen.
Ach, Ralf!
Vieles, das uns verband, geht mir durch den Kopf. Reisen waren für Dich
immer sehr wichtig. Genauso wie für mich. Vom 11. Januar bis zum
3. Februar 2005 begaben wir uns gemeinsam auf die Spuren deutscher Kolonialgeschichte
auf den Nördlichen Marianen, in Palau und in Mikronesien. Was wir dabei
alles über das vorbildliche Wirken des höchstwahrscheinlich ebenfalls
homosexuellen Bezirksamtmanns Georg Fritz aus Hessen erfahren hatten, haben
wir gemeinsam mit Rita Stadlhuber aus München in einem Abschlußbericht
für Karl-Heinz Grundmann, den dienstältesten Historiker bei der
Ständigen Historischen Ausstellung des Deutschen Bundestages, zusammengetragen.
Die Gigi-Redaktion hat ihn im Heft 45 sogar veröffentlicht. So
wurdest Du plötzlich auch noch Autor einer Fachzeitschrift für Sexualpolitik.
Du hast darüber zunächst herzlich gelacht, Dich dann aber über
diese Wertschätzung doch sehr gefreut.
Wie es jetzt
wohl Martin gehe, Deinem Lebenspartner, fragte ich unseren gemeinsamen Freund
Rolf, meinen Nachbarn. Wir wußten es nicht.
Inzwischen
erfuhr ich von Rainer Paulsen, einem der drei Vorstände von posAktiv
Nord in Flensburg, dem Selbsthilfe-Verein HIV-Positiver und an
AIDS erkrankter Menschen in Norddeutschland e.V., wie wichtig Dir Deine Freunde
und Dein ehrenamtliches Engagement dort waren. Obwohl Du immer wieder von
Deinen Fahrten dorthin erzählt hast, war mir nicht bewußt, was
Du dort seit 2005 alles geleistet hast: In bis zu 20 Einsätzen pro Jahr
in etwa vierstündigen Informationsveranstaltungen und Workshops an Haupt-
und Realschulen und Gymnasien hattest Du jeweils 22 bis 28 Jugendliche
zwischen 14 und 17 Jahren darüber unterrichtet, was ein Leben
mit HIV und AIDS heute in Deutschland bedeutet. Ja, so warst Du und so werde
ich Dich in Erinnerung behalten: als einen fürsorglichen, hilfsbereiten
Mann, sich selbst stets in den Hintergrund stellend, immer solidarisch gegenüber
anderen bedrängten Menschen.
Unsere gemeinsamen
kolonialhistorischen Recherchen in der Südsee wurden für Dich zu
Deiner wichtigsten Auslandsreise, wie Du mir immer wieder versichert hast.
Bis dahin war Dir gar nicht klar gewesen, wie skurril sich deutsche Fremdherrschaft
auf der anderen Seite unseres Planeten mitunter gestaltet hat. Am 21. August,
dem Tag Deiner Beisetzung, und am Folgetag wurde Dein Bericht
über Deine bedeutungsvollste Fernreise in zwei Teilen von der Tageszeitung
junge Welt nachgedruckt. Nein, Du sollst nicht vergessen werden.
Es war schön mit Dir, Ralf. Du wirst mir und vielen anderen sehr fehlen. Vielen Dank nochmals für alles.