Lawrence,
Texas
Am 26.
Juni erklärte der US-Supreme Court mit sechs zu drei Stimmen ein texanisches
Gesetz für ungültig, das gleichgeschlechtlichen Anal- und Oralsex
für illegal deklariert (Lawrence vs. Texas). Das hebt auch
ein 1986er Urteil (Bowers vs. Hardwick) auf, das auf einem analogen
Gesetz fußte. In der 18-seitigen Begründung führt das Gericht
aus, das Verbot habe das von der Verfassung garantierte Recht auf Privatsphäre
verletzt, womit ähnliche Gesetze in Kansas, Missouri und Oklahoma ungültig
sind, ebenso jene Sodomie-Gesetze, die solche Praktiken auch Heterosexuellen
verbieten: in Alabama, Florida, Idaho, Louisiana, Mississippi, North Carolina,
South Carolina, Virginia und Utah.
Nach 17
Jahren der Auseinandersetzung mit diversen US-Regierungen dürfte das
Urteil weitreichende Folgen bei Diskriminierungen am Arbeitsplatz, Adoptionen,
Vormundschaften, beim Erbrecht und der rechtlichen Behandlung gleichgeschlechtlicher
Partnerschaften haben. Als Bausteine der Sexualunterdrückung wurden diese
Gesetze in einer ganzen Reihe straf- und familienrechtlicher Verfahren gegen
Lesben und Schwule eingesetzt. Es verwundert kaum, daß die US-Rechte
zum weiteren Kampf bläst. So sagte Tom Minnery, Vizepräsident von
Focus on the Family: Während es manche gut finden mögen,
daß ein Stigma von einer besonderen Gruppe genommen wird, ist auch etwas
anderes genommen worden die Grenzen, die sexuelles Chaos in unserer
Kultur verhindern. Der ultrareaktionäre Richter Antonio Scalia
(er stimmte gegen die Entscheidung) prophezeite gar einen Kulturkrieg
um die soziale Wahrnehmung von sexueller and anderer Moral, den Vertreter
der Exekutive in den Bundesstaaten Idaho und Texas bereits mit der Drohung
erklärten, gleichgeschlechtlichen Sex künftig mittels anderer Gesetze
bestrafen zu wollen. Derweil läßt eine Reaktion der Bush-Administration
auf sich warten. Schwer von ihren Anhängern bedrängt, gegen das
Urteil Front zu machen, traue sie sich noch nicht so recht, so das Massenblatt
USA Today. The Nation mahnte auf seiner Website, nicht zu vergessen,
wo der Ausgangspunkt dieses Krieges ist. Er liegt in den Schlafzimmern
und Straßen, in Bars und auf Parkplätzen. Hier, an diesen privaten
wie öffentlichen Orten, finden wir die Leute auf verschiedene Art und
Weise mit dem Streben nach sexueller Befreiung befaßt, etwas, was das
Lawrence-Urteil mit seiner Bestätigung sexueller Freiheit schützt,
aber nicht durch sich selbst und von selbst durchsetzt. Mit anderen
Worten: Auch nach dem Urteil muß man sich seine Rechte erst nehmen.
In einer
Email an den Autor kritisiert ein US-Aktivist, die Schlüsselfrage
dieser Gesetze liege in der Tatsache, daß sie das First Amendment
verletzen, den ersten Verfassungszusatz, der u.a. die Trennung von Staat und
Religion fordert. Direkt von den Lippen des Hl. Thomas von Aquino (,unnatürlich)
genommen, repräsentierten sie eine direkte Linie zwischen Religion
und Staat. Mit dieser Kernfrage befaßt sich das Urteil nicht.
Im Texas-Prozeß spielte lediglich das Recht auf Privatsphäre eine
Rolle, welche die Supremes ausdehnen auf gleichen Schutz durch das Gesetz.
Beides gute Punkte, aber unglücklicherweise lassen sie das Religionsargument
unberührt.
Michael Hespen