Gehoben
und überkomplex
Im Rathaus Schöneberg,
von dessen Balkon John F. Kennedy sprach, in dem nach dem Mauerfall das
erste Gesamt-Berliner Parlament tagte und wo anläßlich einer CSD-Parade
erstmals die Regenbogenfahne an einem öffentlichen Gebäude gehißt
wurde, fand am 12./13 April der 20. Verbandstag des Lesben- und Schwulenverbandes
in Deutschland statt und zwar in gehobener Atmosphäre,
beobachtete Dirk Ruder
Kein Zweifel: Das Rathaus Schöneberg mit seinen riesigen Dimensionen
ist kein Vergleich zu dem in Seitengassen versteckten Bürgerzentrum Köln-Deutz,
in dem der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) in den vergangenen Jahren seinen
Verbandstag abgehalten hatte. Der am heutigen John-F.-Kennedy-Platz gelegene,
von außen eher unscheinbare Bau atmet auf jedem Meter Historie. Fehlte
nur noch, daß zur Verbandstags-Eröffnung ein leibhaftiger US-Präsident
vorbeigeschaut hätte. War aber nicht. Dafür begrüßte
die lesbische Grünen-Stadträtin Sybill Klotz die Teilnehmerinnen
und Teilnehmer in Schöneberg, der unangefochtenen Homo-Hochburg
mit Unterhaltungsfaktor. Später schaute auch Berlins Regierender
Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) noch vorbei, um die Gäste regelrecht
anzubetteln, doch bitte möglichst viel Geld in Berlin auszugeben, das
wäre direkter als der Umweg über Steuern und Länderfinanzausgleich.
Ein von der gehobenen Atmosphäre im kolossalen Rathaussaal
sichtlich angetaner Günter Dworek, der endlich auch einmal am Rednerpult
eines Parlaments stehen durfte wie sonst nur sein Chef, resümierte für
den Vereinsvorstand aktuelle Politik und Perspektiven des LSVD.
So habe der Verband die Bundesregierung wegen mangelnder Umsetzung beim Gleichstellungsgesetz
bei der EU verpetzt, zudem habe man sich erfolgreich um die Themen
Antidiskriminierung, Homophobie und die rechtliche Gleichstellung eingetragener
Lebenspartnerschaften gekümmert. Familienpolitik sei für den LSVD
zum Erfolgsthema geworden, und das sogar in finanzieller Hinsicht.
Ist doch die einzige Arbeitstelle im Verband, die wir aus eigenen Mitteln
finanzieren können, eine für ein Familienprojekt, wie Dworek
stolz verkündete. (Alle anderen LSVD-Jobs werden bekanntlich von Bundesministerien
bezahlt.) Bei der Eingetragenen Lebenspartnerschaft sei Deutschland auf
dem Weg von 50 Prozent Gleichstellung zu 90 Prozent.
Eine Art Wächteramt habe der Verein mittlerweile in Sachen
Homophobie inne. Wer gegen Lesben und Schwule hetzt, dem kloppen wir
auf die Finger. Das gilt für den Imam genau so wie für den Bischof!
Besonders schlimm für Dworek: Haß-Sänger aus Jamaika,
die kommen jedes Jahr angeflogen und singen hier. Der LSVD wolle erreichen,
daß denen das Singen schwulenfeindlicher Texte nicht nur
auf deutschen Bühnen verwehrt werde, sondern auch in
Jamaika. Den Lesben- und Schwulenverband der Zukunft sieht Dworek als
politischen Dienstleister. Und am Beispiel der Schwulensaunen,
die als Firmen kurioserweise Mitglieder im LSVD sind, machte der langjährige
Vorständler deutlich, wie die politische Bewegung seiner Meinung nach
von der Wirtschaft lernen könne.
Dem ehemaligen Bundesanwalt Manfred Bruns war es als Dworeks Vorstandskollegen
wie jedes Jahr vorbehalten, komplexe juristische Sachverhalte in rheinischen
Singsang zu übersetzen. Der Politik habe der LSVD verklickern
können, daß es bei der Erbschaftsteuer nicht um Gleichstellung
homosexueller Lebenspartnerschaften mit heterosexuellen Ehen geht, sondern
um Vermögen und teuer bezahlte Eigenheime, die nach dem Tod eines
eingetragenen Lebenspartners nach den derzeitigen Regelungen schnell von
der Steuer gefressen würden. Bei den Verfahren um eine Gleichstellung
im Berufsleben erweise sich die Rechtsprechung als handwerklich schlecht,
von idiotischer Logik und Vorurteilen geprägt. Unterm Strich
zog Bruns eine leicht optimistische Bilanz. Wir sind wider Erwarten
gut vorangekommen, weil es den LSVD gibt.
Die Diskussion der Redebeiträge von Bruns und Dworek drehte sich vor
allem um die Frage, was den LSVD eigentlich daran hindere, die Öffnung
der Ehe zu fordern. Antwort Bruns: Dazu müßten politische Mehrheiten
gefunden werden, und die seien derzeit nun mal nicht vorhanden. Ein anderer
Teilnehmer kritisierte die problematische Politik des LSVD, die
Frage der Ehe an das Vorhandensein (oder Entstehen) von Kindern zu koppeln,
schließlich stehe hinter der Ehe kein Liebes-Konzept, sondern gehe es
dabei vorrangig um pekuniäre Interessen. Antwort Dworek:
Man dürfe die Öffentlichkeit nicht mit überkomplexen
Botschaften überfordern.
Wenig Anlaß zu Kontroversen boten die wie immer fast ausschließlich
vom Bundesvorstand eingebrachten Resolutionen. Eine fordert, die Diskriminierung
homosexueller Lebenspartnerschaften bei der Familiengründung zu beenden,
eine wendet sich gegen die Diskriminierung Homosexueller im Beamtenrecht und
die dritte fordert die Erweiterung des Grundgesetzes um das Merkmal sexuelle
Identität. Die Gefahr überkomplexer Botschaften bergen LSVD-Resolutionen
nie. Da eine inhaltliche Arbeit an der Basis nicht stattfindet, sind die zum
abnicken vorgelegten Entwürfe, mit denen der Vorstand Jahr für Jahr
die Mitglieder auf dem Verbandstag überrascht, nicht mehr als PR-Kampagnen
für die kommenden Monate. Im Grunde fordert der LSVD darin stets Dinge,
die die Politik ohnehin gerade vorhat, denn man will ja auf dem kommenden
Verbandstag Erfolge melden können.
Dem Antrag in Sachen Familiengründung mochte nur ein LSVD-Mitglied erklärtermaßen
nicht zustimmen, da das Papier das Sorgerecht immer nur an zwei Personen binde.
Damit gerate der gerade in homosexuellen Familien wichtige Gedanke der Mehrelternschaft
völlig aus dem Blick. Der Antrag falle somit weit hinter die in lesbischen
und schwulen Familien gelebte Realität zurück. Den Anwesenden schwante,
daß da was dran sein könnte. Daraufhin ergriff Vorständler
und Familienvater Bruns das Wort und belegte einmal mehr, daß er sich
ein anderes Beziehungsmodell als das der (Homo-)Ehe einfach nicht vorstellen
kann. Die schwulen Juristen, so Bruns, haben für das Problem keine
stringente Lösung finden können. Eine Mehrelternschaft beim
Sorgerecht nachträglich in die Resolution hereinzuformulieren, sei schlicht
zu kompliziert.
Den ganz offensichtlich nicht von ihm selbst verfaßten Rechenschaftsbericht
des Vorstands durfte diesmal Axel Blumenthal vortragen, der sich zum Dank
prompt mehrmals im Manuskript verhedderte. Ein Thema: Die vom LSVD angeblich
in Auftrag gegebene (aber nicht vom ihm bezahlte) sogenannte Simon-Studie
zu schwulenfeindlichen Haltungen bei deutschen und nicht-deutschen Schülern.
Durch die Art und Weise, wie wir mit der Studie umgegangen sind, konnten
wir verhindern, daß die Migranten gegen die Nicht-Migranten ausgespielt
werden, behauptete Blumenthal. Da war wohl der Wunsch der Vater des
Gedankens, denn die entsprechenden Presseberichte über die Studie lasen
sich wie das genaue Gegenteil. Im übrigen veröffentlichte der LSVD
lediglich eine Zusammenfassung der Studie, die auf eine einzige Din-A4-Seite
paßte. An die Studie selbst war bislang nicht heranzukommen.
Beim Finanzbericht bot anschließend Schatzmeisterin Uta Kehr ihre Rechenkünste auf. Der Verein habe im Berichtszeitraum in keiner Weise über seine Verhältnisse gelebt. Einnahmen in Höhe von etwa 360.000 Euro habe der Verein erzielt, davon 100.000 Euro an Projektgeldern aus dem Familienministerium. 100.000 Euro von knapp 400.000 Euro das sind nach Frau Kehr? Genau 10 Prozent. Zu reichen scheint es trotzdem nicht ganz. Eine Ausgabe des Verbandsmagazins Respekt wurde durch weitere Fremdmittel ermöglicht. Eine Broschüre der Hirschfeld-Eddy-Stiftung des LSVD bezahlte das Auswärtige Amt. In den Vorstand wurden am zweiten Tag des Treffens Axel Blumenthal, Manfred Bruns, Günter Dworek, Uta Kehr, Anette Hecker und Martin Pfarr wiedergewählt, deren Amtszeit abgelaufen war. Nicht wieder im Vorstand vertreten ist der langjährige Schatzmeister Jacques Teyssier, der sich aus persönlichen Gründen eine Auszeit nahm. Aber nicht, daß uns da jetzt die Bilanzen durcheinander geraten!