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Künstliches Koma


Unter dem auf die EU-Menschenrechtscharta verweisenden Motto „Diskriminierungen wegen der sexuellen Ausrichtung sind verboten“ hielt der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) am Wochenende des 28./29. April im Bürgerzentrum Köln-Deutz seinen 19. Bundesverbandstag ab. Während der LSVD auf internationalem Parkett mit dem erlangten Beraterstatus bei den Vereinten Nationen punkten konnte, blieben nach eigener Einschätzung die politischen Erfolge im Inland bescheiden. Wie der nach wie vor unter Geldmangel leidende Verband mit Hilfe von Kampagnen Homothemen auf die bundespolitische Agenda zurückbringen will, erfuhr Dirk Ruder

Wieder hatte Manfred Bruns schlechte Nachrichten. Traditionell referiert das langjährige LSVD-Vorstandsmitglied auf Bundesverbandstagstagen zur aktuellen politischen Lage. Was Homosexuelle betreffe, sei sie „sehr bescheiden“. Bei den Gerichten erlebe man „eine Abfuhr nach der anderen“. „Ich kenne ja meine Kollegen“, so der Ex-Bundesanwalt. Juristen seien „nicht gerade die Speerspitze des gesellschaftlichen Fortschritts“ und unter Richtern herrsche die Überzeugung vor, Homosexuelle sollten doch froh sein, daß sie nicht mehr bestraft würden. Dies wäre auch aus den jüngsten Urteilen deutlich abzulesen. Mit allen juristischen Tricks und „gegen jede juristische Methodenlehre“ hintertrieben sie die Gleichstellung homosexueller Lebenspartner mit heterosexuellen Ehepartnern. Die LSVD-Argumente würden dabei von den Gerichten wie auch anderen staatlichen Stellen regelrecht „paralysiert“.

Schon in der Eröffnungsrede hatte Axel Hochrein (Lesben und Schwule in der Union/LSU) beklagt, Schwarz-Rot habe homopolitische Themen ins „künstliche Koma“ versetzt. Es sei an der Zeit, so das CSU-Mitglied im LSVD-Vorstand, den „Patienten Lebenspartnerschaft“ aus dem Krankenzimmer herauszuholen. Zur „größten postkommunistischen Demonstration“ stilisierte er den Warschauer CSD 2006 und den nach jahrelangen Bemühungen erlangten UN-Beraterstatus des LSVD zur „Blauhelm-Community-Aktion“. Das schiefe Sprachbild griff Kölns Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes in ihrer Grußrede gedankenlos auf. Weil es in Sachen Homopolitik noch so viel zu tun gebe, müsse der LSVD „als Blauhelm durch Europa und zur Not auch in die Welt hineinziehen“. Fürs erste allerdings stehen lediglich humanitäre Einsätze in Warschau und Moskau an und rief der LSVD zu reger Beteiligung an den dortigen CSD-Paraden auf. Von der Moskwa war zudem Nikolai Alexejew angereist, um über den Stand der Vorbereitungen zum Moscow Pride zu berichten. Er warnte insbesondere vor einer „rechts-klerikalen Diktatur“, die im Begriff sei, in Rußland die Macht zu übernehmen. Die Kirche übernehme dabei nicht nur eine tragende Rolle, sondern sei „treibende Kraft“.

Als Höhepunkt des Verbandstags auf die Mittagszeit terminiert, beließ das Referat der Leiterin der neuen Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS), Martina Köppen, die „Möglichkeiten, Aufgaben und Ziele ihres Amtes“ weitgehend im Ungefähren. Bislang existieren weder Broschüren oder eine Website mit Informationen zum 2006 erlassenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) noch eine Pressestelle, die auf Anfrage wenigstens Pressefotos Frau Köppens zur Verfügung stellen könnte. In den kommenden Wochen wolle die mit 2,7 Mio. Euro ausgestattete Phantombehörde die ersten acht von achtzehn Planstellen besetzen, dann Arbeitsschwerpunkte fixieren und – falls noch Geld übrig ist – ein bißchen Forschung treiben. Zunächst jedoch gelte es herauszufinden, über welche Antidiskriminierungsrichtlinien andere EU-Staaten verfügen und wie sie diese handhaben. Vor Verabschiedung des deutschen Gleichheitsgesetzes war wohl keine Zeit dafür.

Immerhin konnte Köppen recht klar die Grenzen ihrer nicht zuletzt durch einen fehlenden Unterbau auf kommunaler und Landesebene charakterisierten Behörde benennen: So können BürgerInnen mit dem AGG bald möglicherweise den Zugang zu einer Diskothek bei der ADS erzwingen; in ein Wohngebiet oder an eine Wohnung kommt man jedoch nicht damit, wenn Vermieter bestimmte Mietergruppen ablehnen. „Der Vermieter darf diskriminieren“, so Köppen. Die Rechte Betroffener einschränkende „Ausschlußfristen zur Geltendmachung“ sind unter anderem bei der Bewerbung um einen Job wirksam: Wer erst nach dieser Zweimonatsfrist erfährt, warum sie oder er einen Job nicht bekommen hat, dem kann die ADS nicht mehr helfen. Arbeitgeber, die sich gegenüber der ADS zur Nicht-Einstellung eines Mitarbeiters oder einer Mitarbeiterin schriftlich nicht äußern wollen, lassen es eben bleiben – Sanktionsmöglichkeiten hat die ADS nicht. Das Diskriminierungsverbot gilt weiterhin zwar für private Versicherungen, nicht aber für die viel wichtigeren gesetzlichen. Köppen stellte klar: „Die Antidiskriminierungstelle hat beratende Funktion. Bestehende Gesetze werden durch das AGG nicht berührt.“ Es stelle „kein höheres Recht da, das bestehende Gesetze außer Kraft setzen könnte.“

Der Wortmeldung des ehemaligen LSVD-Vorständlers Volker Beck, nach der das AGG im Arbeitsrecht die Grenzen zugunsten von Arbeitnehmern in Kirchenbetrieben „verschoben“ habe, widersprach sogleich Manfred Bruns. Es habe vielmehr die „Sonderrolle der Kirchen“ erst „festgeschrieben“. Folgt man Bruns’ brisantem Einwurf, hätte das AGG die Rechte Berufstätiger im kirchlichen Bereich nicht verbessert, sondern kunstvoll verschlechtert. Ob er so ketzerische Überlegungen auch noch anstellt, wenn der LSVD den heiß begehrten Sitz im ADS-Beirat ergattert hat? Beck jedenfalls ging Köppen nach ihrer Rede sogleich mit dem für ihn typischen Wunsch an, die ADS solle „die Verbände“ (also den LSVD) finanziell unterstützen, damit „die Verbände“ ihre Antidiskriminierungsarbeit „besser machen können“. Das Ansinnen ist verständlich, lebt doch der LSVD weiterhin über seine Verhältnisse und wird laut dem aus Transparenzgründen erstmals den Mitgliedern vorgelegten Haushaltsplan 2007 nach Aussage des alten und neuen Bundesvorstandsmitglieds Martin Pfarr erneut mit einem „kräftigen Minus“ abschließen (vgl. „Rasse statt Klasse“, Gigi Nr. 43, S. 18).

Um den drohenden „Verlust der Kampagnenfähigkeit“ (Bruns) abzuwenden, hob die Versammlung den Mitgliedsbeitrag um 25 Prozent von monatlich acht auf zehn Euro an. Das soll das für die Mitgliederwerbung wichtige Projekt Regenbogenfamilien retten, dessen staatliche Anschubfinanzierung Anfang 2006 endete. Gestrichen hat der LSVD die Vollzeitstelle einer Sekretärin in der Kölner Geschäftsstelle, deren Erhalt zeitweilig insgesamt zur Disposition stand; die Berliner Filiale muß in kleinere Räume umziehen. Probleme bereitet die Krise auch beim Verbandsmagazin Respekt, von dem 2006 nur zwei Ausgaben erschienen. Dieses Jahr soll es drei geben, nachdem der in Köln erstmals in den Bundesvorstand gewählte saarländische Landesvorständler und LSVD-Finanzier Hasso Müller-Kittnau eine Konzertagentur als Anzeigenkunden auftreiben konnte.

Müller-Kittnau kam mit nur zwei Stimmen über der absoluten Mehrheit (35) in den Vorstand – die Quittung des korporativen LSVD-Mitglieds Homosexuelle und Kirche (HuK) für angebliche Kirchenkritik. Andere mögen sich an der Nähe zur Linkspartei gestoßen haben und der politischen Biographie als „Kind der 68er-Generation“: Bis zum Austritt 1987 in der DKP, gründete Müller-Kittnau in den 70ern die erste Stuttgarter Schwulengruppe mit. Als er 1973 für einen einflußreichen Gewerkschaftsposten kandidierte, wurde er nach eigenen Angaben vom Verfassungsschutz als schwul geoutet. „Ich habe dem LSVD immer kritisch gegenübergestanden, den ich zu bürgerlich fand“, erklärte er. Zum Beitritt habe ihn auf dem Kölner CSD – ausgerechnet! – eine Ansprache Volker Becks veranlaßt.

Ebenfalls neu in den auf 13 Köpfe erweiterten Vorstand gewählt wurden die Familienanwältin und LSVD-Rechtsberaterin Simone Huckert (Köln) sowie die laut Selbstauskunft „aus der Business-Ecke“ kommende Übersetzerin Hanna Lea (LSVD Bayern). In ihren Ämtern bei der „Familiengewerkschaft“ (Lea über den LSVD) bestätigt wurden der Berliner Stadtplaner Hartmut Schönknecht, der den LSVD bei den Vereinten Nationen vertritt, das SPD-Mitglied Philipp Braun und Axel Hochrein, der sich als Unternehmer vorstellte. Ein bißchen Pech hatte der Verband mit der im vergangenen Jahr zugewählten Politikberaterin Sabine Gilleßen, verpartnert mit der Europa-Abgeordneten Lissy Gröner (SPD). Gilleßen, Bruns zufolge „eine Person, die nur Wind macht“, hatte sich in Emma (03/07) öffentlich vom LSVD distanziert und war ihrem Rauswurf in Köln durch Rück- und Austritt zuvorgekommen. Per Email hatte sie den Verbandstag wissen lassen, die Strukturen des Lesben- und Schwulenverbandes seien „weder demokratisch noch politisch hilfreich“. Zudem sei Sie im Vorstand von Anfang an gemobbt worden, eine Darstellung, der Bruns heftig widersprach.

Innenpolitisch will der LSVD „die steuerliche Benachteiligung von Lebenspartnerschaften beenden!“ Eine Kampagne nahezu ohne Erfolgsaussichten ob der Stimmung bei den Gerichten. Ebenso glücklos dürfte unter derzeitigen Bedingungen der an sich diskutable Vorstoß enden, das Merkmal sexuelle Identität als Diskriminierungsverbot ins Grundgesetz, Artikel 3 (Gleichheit vor dem Gesetz), aufzunehmen. Typisch für den LSVD: Die Flyer und Postkarten für die Kampagne „Artikel 3“ lagen schon gedruckt vor, obwohl sie in Köln von den Mitgliedern doch erst diskutiert und beschlossen werden sollte.

Das eindeutige Verbot, Homosexuelle zu diskriminieren, wäre eine „Klarstellung“ und „ein Akt der Wiedergutmachung“ für das Skandalurteil, mit dem das Bundesverfassungsgericht am 10. Mai 1957 die Fortgeltung des Schwulenparagraphen 175 in der verschärften NS-Fassung legitimierte, so die Begründung des Bundesvorstandes.

Klarstellung = Wiedergutmachung? Wenn der LSVD da nicht mal wieder was durcheinanderwirft: Diskriminierung ist Benachteiligung, die dem Gesetzgeber nach dem Geist des AGG ja gerade nicht untersagt werden soll. Zudem hatte das BVerfG mehr als Diskriminierung erlaubt: Es erklärte vielmehr die Entrechtung Homosexueller als rechtmäßig und nahm die Zerstörung ihrer bürgerlichen Existenz billigend in Kauf. Es verbot faktisch die politische Betätigung homosexueller Verbände (!) und kriminalisierte deren Publikationen. An der LSVD-Basis scheint das Wissen um die dramatischen Folgen des aus heutiger Sicht zweifellos etwas eigenwillig begründeten und formulierten Urteils verlorengegangen zu sein. Als Günter Dworek sich nicht entblödete, in einer Art Comedy-Einlage die von ihm in der Urteilsbegründung entdeckte „richterlichen Pornographie“ vorzutragen. sorgte für allgemeine Heiterkeit, was Empörung hätte hervorrufen müssen. Und so wird wohl auch das whk auf eine Antwort auf das erneuerte Angebot einer gemeinsamen Aktion zur Entschädigung der Opfer der BRD-Homosexuellenverfolgung lange warten können. Sein traditionelles Grußwort (das einzige an den Verbandstag) wurde nicht verlesen, sondern neben Hinweise auf Seniorentanz und Trommelkurse lieblos an die Pinnwand des Bürgerzentrums gepappt.

Ob es bei einer Kampagne zum Artikel 3 nicht viel dringender wäre, eine Neufassung von dessen zweitem Absatz „Mann und Frau sind gleichberechtigt“ zu fordern, fragte die Vertreterin einer Trans- und Intersexuellenorganisation. Artikel 3 sei nämlich an sich schon rechtswidrig, weil die Vorstellung, es gebe lediglich zwei Geschlechter, alle sexuellen Zwischenstufen ausschließe. Der Gedanke fand ebensowenig Widerhall, wie die Überlegung eines anderen Teilnehmers, ob sich mit den erst kürzlich beschlossenen Maßnahmen der Koalition zur AIDS-Bekämpfung nicht die Wiedereinführung der Kriminalisierung von homosexuellem Sex anbahne. Der Jurist Manfred Bruns fand das nicht. Im Moment seien doch von der Regierung gar keine konkreten Maßnahmen geplant. Sie wolle die Situation vielmehr „nur beobachten“. – Der Herr Bruns ist eben leider kein regelmäßiger Leser von whk-Pressemitteilungen.