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Hochgestellte Klodeckel


Ein neuer Stern am Zeitschriftenhimmel

Die neue Zeitschrift Mate (Nr. 1 erschien im Oktober 2002) kommt ohne Untertitel aus. Es gilt: Nimm und lies, oder besser: Nimm und schau. Das Thema: Identität. Das Schwulsein droht auszusterben, befürchtet Mate, aber: es gibt sie noch, die „Lebensstile“, „die zwar nicht exklusiv homosexuell sein mögen, aber für die Lebensweisen von Schwulen einen bedeutenden Beitrag leisten“.

Raffiniert das Cover: ein Spiegel. Schau hinein – und du siehst dich und deine Identität, sozusagen „all about you“ (wie über dem Spiegel zu lesen ist). Wozu also viele Worte machen. Das ist nicht der Stil dieser Zeitschrift, selbst Seiten mit Text bleiben zu großen Teilen leer. Ein Magazin zum Schauen also. Das Impressum führt nicht weniger als zehn Fotografen auf. Zufällig hat der eine oder andere gerade einen Bildband veröffentlicht. Da läßt sich leicht seitenweise zitieren und werben.

Einen zweiten Zugang zum Thema Identität bieten die Seiten 54 und 59. Zugegeben, sie sind nicht leicht zu finden, denn Seitenzahlen sind rar in dieser Zeitschrift, dafür sind sie leicht zu erkennen: Sie sind weiß und leer. Keine Bleiwüste, nirgends. Sozusagen der postmoderne Zugang zum Thema: „Keine richtige Identität in der falschen“ oder so.

Doch dazwischen wird es konkret: Die „Veröffentlichung des ersten Bildbandes“ war für den Fotografen M. C. „ein guter Start in eine neue Identität“. Für Mate Grund genug, gleich acht Seiten damit zu füllen. Für Georgette Dee genügen fünf; sie gewinnt schließlich auch eine neue Identität beim Abnehmen („ein Kampf“), und zwar eine ganz andere als „diese gemeinsame Identität über Jugendwahn und ficken“. Drag Queen Linda von Tennstedt erlebt höchstes Glück beim „den ganzen Tag Schuhe kaufen“, doch diese Identität will sie für sich behalten: den „Jungschwulen“ rät sie davon ab, Transe zu werden. Dafür sind sechs Seiten wirklich nicht zuviel! Uwe und Thomas möchten ihre Identität gern auf 250-300 qm ausleben. Da sie beide „Minimalismus bevorzugen“, müßte das zu schaffen sein. Mate macht’s vor: Zwölf Bilder auf vier Seiten! Dazu ein minimalistischer Text: sieben Sätze.

Was sonst? Viele Modefotos („Jacke von CORATION“), etwas über die „freie Wahl der Sexualrolle“ als „unverwechselbarer Bestandteil schwuler Identität“, wo Freud, Ferenci und Socarides fröhlich Urständ feiern; ein längliches Grußwort ans „Bisexuelle Netzwerk“ zum Zehnten mit geliehenen Bildern von Wolfgang Joop, der wiederum bei Egon Schiele vorbeigeschaut hat, und sechs Seiten über den „Homo-Heiligen“ Sebastian (vorgeblich „Überlegungen zum Thema Identität und Leid“): die Bilder, die der Text erfordert, gibt’s nicht, dafür haben die, die es gibt, nichts mit dem Text zu tun – raffiniert!

Fazit: Empfehlenswert als Kontrastprogramm zu Gigi. Viele Bilder, wenig Text, noch weniger Inhalt. Und das für 5,95 Euro. Im März 2003 soll schon das nächste Heft kommen. Hoffentlich erinnert sich dann noch jemand an Mate.

Wolfram Setz

P.S.: Das Geheimnis des hochgestellten Klodeckels wird auf S. 41 gelüftet.