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Was Kiddy Fiddler bekommen

Der „Fall Landslide“ in den USA gilt nach wie vor als „größter Kinderpornographie-Skandal aller Zeiten“ (vgl. Gigi Nr. 55), obwohl die Firma Landslide nur ein gewöhnlicher Anbieter zur Bezahlung pornografischer Web-Inhalte und selbst kein Porno-Anbieter war. Trotzdem gaben die US-Behörden die Kundendaten an Interpol weiter und behaupteten, alle 250000 Personen hätten Kinderpornographie bezogen. Dies wiederum führte zur „Operation Ore“. Über einen der größten Ermittlungsfälle in der Geschichte Großbritanniens und die britische Sexualhysterie berichtet im zweiten Teil seines Reports Sebastian Anders

Die Kreditkarteninformationen von 7275 britischen Bürgern, die angeblich auf den Verweis „Click Here For Child Porn“ geklickt haben sollten, befanden sich unter den in den USA sichergestellten Daten von Landslide. Anfang 2003 begannen die britischen Verfolgungsbehörden unter großer medialer Beteiligung mit ersten Hausdurchsuchungen und Festnahmen. Bei vielen Razzien waren die Medien anwesend, die vorher von der Polizei mit Listen der Namen der Verdächtigen versorgt worden waren. Es kam im Laufe der Zeit zu Verurteilungen, teilweise nur aufgrund der Kreditkarteninformationen, teilweise, weil auf den Computern der Verdächtigen „unanständige“ Bilder von Kindern oder Jugendlichen gefunden wurden.

Erste Risse bekam die „Operation Ore“, als der Investigationsjournalist und Computerforensiker Duncan Campbell im Juni 2006 aufdeckte, daß die aus den USA stammenden Beweise falsch und das Hauptbeweismittel, der besagte Verweis, gefälscht war. Im April 2007 legte er noch einmal nach (1) und enthüllte, daß über die gefälschten „Beweise“ hinaus viele der Kreditkartenabrechnungen bei Landslide auf Kreditkartenbetrug zurückzuführen waren. Mafiöse Netzwerke hatten die zur Abrechnung benötigten Kreditkartendaten wie Nummer, Name des Inhabers, Auslaufdatum und Passwort durch Scheinangebote oder durch Einbruch in Computersysteme von Online Versandhändlern erlangt. Die Daten waren dann in Bündeln weiterverkauft und bei Kreditkartenbetrug über das Internet verwendet worden. So auch bei Landslide als Abrechnungsdienst. Duncan Campbell schätzt, daß etwa 50 Prozent der Umsätze Landslides auf Kreditkartenbetrug von Webmastern zurückzuführen waren. Sie hatten gestohlene Kreditkarteninformationen gekauft und zur Bezahlung des Zugangs zu ihren eigenen Webseiten eingesetzt, um ihren Anteil von Landslide zu erhalten. Kreditkartenbetrug war kein Novum für die britischen Verfolgungsbehörden, als die „Operation Ore“ ins Leben gerufen wurde. Die Ermittler zogen jedoch nicht in Betracht, daß Kreditkartenbetrug die Ursache vieler Kundendatensätze bei Landslide war.

Jim Bates, einer der bekanntesten Forensiker Großbritanniens, der in mehreren Dutzend Fällen Opfer der „Operation Ore“ vertrat, warf den britischen Verfolgungsbehörden schwerwiegende Versäumnisse vor. Das Ausmaß des Kreditkartenbetrugs bei Landslide sei ihm schon bei der ersten Sichtung der Daten ins Auge gefallen. Der Verteidigung sei oftmals der Zugriff auf die Kopien der Originaldaten verwehrt worden, so daß eine angemessene Verteidigung erschwert worden sei und die Rechte der Angeklagten oft erst per Gerichtsbeschluß hätten erwirkt werden müssen, was es ihnen deutlich erschwerte, ihre Unschuld zu beweisen.

Die von den Verfolgungsbehörden losgetretene und den Medien inszenierte Erfolgsstory der „größten jemals stattgefundenen Polizeijagd auf Internet-Pädophile“ (2) , wie es in Großbritannien auch im Jargon der BBC heißt, bekam weitere Risse. Bei Hunderten von Razzien gegen britische Bürger, deren Kreditkarteninformationen bei Landslide aufgetaucht waren, wurden keine anstößigen Bilder von Jugendlichen oder Kindern gefunden, meint Campbell. Jedoch fuhren die britischen Verfolgungsbehörden entgegen dieser Erkenntnisse fort, gegen Unschuldige zu ermitteln und Anklage aufgrund ihrer Kreditkartendaten bei einem herkömmlichen Porno-Bezahldienst gegen sie zu erheben.

Die unbequemen Ergebnisse der Forensiker störten den Fall, der zum Politikum geworden war, weil das angebliche Ausmaß an „Internet-Pädophilie“ dazu diente, das Strafrecht und andere Sanktionen gegen Pädophile (!), wie es in Großbritannien heißt, auszuweiten. Das Child „Exploitation And Online Protection Centre“ (CEOP) begann, Nachforschungen über Duncan Campbell anzustellen. Ein Team von CEOP-Mitarbeitern sammelte 18 Monate lang alle möglichen Informationen über Campbell, darunter dreißig Jahre alte Studentenbriefe und Veröffentlichungen in Internet-Foren, und legte ein 50seitiges Dossier an. Es hielt die Vertreter der Strafverfolgung an, Falschanklagen gegen Campbell vor Gericht zu erheben, um seine Galubwürdigkeit als Gutachter zu erschüttern. Das CEOP versuchte durchzusetzen, daß die Verteidigung in Fällen der „Operation Ore“ nur auf Experten zurückgreifen kann, die dem CEOP genehm waren und daß jene Experten nur in solche Beweismittel Einsicht nehmen können, die vom CEOP ausgewählt wurden (3).

Gegen Campbell konnte das CEOP jedoch kein belastendes Material vorlegen. Anders sah dies bei Jim Bates aus. CEOP-Mitarbeiter fanden Gerichtsunterlagen vom September 1998, in denen Bates fälschlicherweise angab, einen Bachelor-Abschluß in Elektronik zu haben. Die BBC berichtete am 9. November unter dem Titel „Kinderporno-Zeuge droht Untersuchung“ (4). Über Bates sollten „Nachforschungen wegen Bedenken über seine Glaubwürdigkeit angestellt“ worden sein. Seine Kompetenz sei „in Zweifel geraten, nachdem herauskam, daß er ein Gericht bezüglich seiner Qualifikation in die Irre geführt“ habe. „Herr Bates sollte nicht erlaubt werden, als Gerichtssachverständiger zu arbeiten, während gegen ihn ermittelt wird. Seine Beteiligung in solchen Angelegenheiten sollte ausgesetzt werden, bis zumindest die ernsten Fragen, die seine behauptete Qualifikation und seinen Experten-Status betreffen, öffentlich bearbeitet wurden. Diese Angelegenheit könnte möglicherweise zu einer Überprüfung aller beteiligten Fälle sowie zu weiteren Verfahren führen“, ließ die BBC eine Sprecherin der „Phoenix Survivors“ (dt: Phoenix-Überlebende) sagen, einer Unterstützungsgruppe für Mißbrauchsopfer. Bates seinerseits warf dem CEOP vor, ihn zu bedrohen und daß es Informationen an die Medien weitergegeben habe, um ihn zu diskreditieren (5). Entgegen der Behauptungen der BBC und der Kinderschutzgruppe ging es in der Untersuchung jedoch gar nicht um Bates (6) Kompetenz, der in Großbritannien als einer der Väter der Computerforensik gilt und dem andere Experten sehr sorgfältige und klare Arbeit attestierten. Die Frage, was eine nationale Kinderschutzbehörde veranlaßt, Forensik-Experten zu durchleuchten, wurde in den Medien nicht erörtert. Genauso wenig wie die Frage, was eine Organisation von Mißbrauchsopfern, die sich „Überlebende“ nennt, zu Fällen von unschuldig Verurteilten in Verfahren sogenannter „Hands Off“-Delikte verbal beizutragen hat. Am 6. März 2008 wurde er wegen fünf zwischen 1995 und 1997 begangener Falschaussagen und eines Meineides zu drei Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt (7). Das Signal, das von diesem Fall ausging, war und solte sein: Es ist gefährlich, wenn Forensiker in Fällen von unanständigen Bildern auf Seiten der Verteidigung arbeiten. Insbesondere bei der „Operation Ore“.

Das plötzliche Verstummen der Fleet Street

Politische Brisanz erhielt die „Operation Ore“ in einem anderen Zusammenhang. Im Jahr 2002 wurde noch von 7275 Namen auf der Liste der britischen Landslide-Kunden berichtet. Doch am 13. Januar 2003, inmitten der Kriegsvorbereitungen gegen den Irak, berichteten mehrere britische Zeitungen (8) nach einem Artikel des Sunday Herald, es befänden sich zwei Parlamentsmitglieder auf der Liste von „Operation Ore“. Dabei solle es sich um ehemalige Minister von Premier Tony Blairs Labour-Partei gehandelt haben. Die Namen der Politiker seien den Redaktionen bekannt, doch könnten sie aus rechtlichen Gründen (!) nicht veröffentlicht werden. Mit Spannung wurde die Auflösung dieser Meldungen erwartet. Und es folgte – nichts. Weder Berichte über einen Irrtum noch ein Dementi. Presse, Fernsehen und Rundfunk hüllten sich plötzlich in auffälliges Schweigen. Gerüchten zufolge hatte die Regierung die Medien mit einer „D Notice“, einer nicht bindenden Regierungsanweisung an Medien, im Interesse der nationalen Sicherheit über bestimmte Dinge nicht zu berichten, zum Schweigen gebracht. Mike James von Counterpuch (9) recherchierte und stieß auf eine Mauer des Schweigens. Redakteure und Journalisten der Times, des Daily Telegraph, des Guardian, des Independent, von Sunday Times, Observer, Sunday Telegraph, Daily Mail, The Daily Express, Mirror und Sun, von BBC, Independent Television News und sogar des Sunday Herald wollten die Angelegenheit nicht einmal mit ihm diskutieren. Ein freier Journalist erklärte ihm: „Ob eine D Notice herausgegeben wurde, ist nicht klar. Aber Angesichts der Rückmeldungen, die ich erhalten habe, ist es offensichtlich, daß Redakteure und Medienbesitzer freiwillig zugestimmt haben, zu diesem Zeitpunkt nicht über diese Story zu berichten.“ Seit dem Auftauchen und Verschwinden der Berichte über zwei mutmaßlich beteiligte Kabinellts- beziehungsweise Parlamentsmitglieder verringerte sich in den Medien die Anzahl der britischen angeblichen Landslide-Kunden von 7275 auf 7272.

Schicksale: die Opfer

Auf solche Rückendeckung der Regierung konnten gewöhnliche unter der „Operation Ore“ Verfolgte nicht hoffen. In der größten Verhaftungswelle der britischen Nachkriegsgeschichte wurden bis heute 4283 Wohnungen durchsucht und 3744 Personen festgenommen. Gegen 1848 Personen erhob man Anklage, 1451 Personen wurden verurteilt, 493 verwarnt. 879 Untersuchungen laufen noch. Wieviele der verurteilten Personen tatsächlich unanständige Bilder von Jugendlichen oder Kindern besaßen, ist bislang ungeklärt. Die britischen Verfolgungsbehörden geben nach wie vor keine Auskunft darüber.

Im Gegensatz zu anderen Ermittlungsverfahren haben solche wegen unanständiger Bilder von Jugendlichen oder Kindern in Großbritannien tiefgreifende soziale und finanzielle Auswirkungen, zumal die Verfolgungsbehörden Ermittlungen regelmäßig an die Medien durchsickern lassen. Ein Opfer der „Operation Ore“ war David White, Kommandierender der britischen Streitkräfte auf Gibraltar, der wegen einer Kreditkartenabrechnung bei Landslide ins Visier der Ermittler geriet. Sein Dienstcomputer wurde beschlagnahmt. Daraufhin wurde er vom Dienst suspendiert. Am Tag darauf, dem 6. Januar 2005, nahm er sich das Leben. Die weiteren Ermittlungen erbrachten, daß sich keine unanständigen Bilder auf seinem Computer befanden (10).

Eine Kreditkartentransaktion eines anderen Offiziers der britischen Armee war Anlaß für eine Inspektion auch seines Dienstcomputers im Jahre 2005 (11). Nachdem die Ermittler ein Bild auf seinem Rechner fanden, das „die Vergewaltigung eines minderjährigen Mädchens“ zeigte, wurde er angeklagt. Sein Verteidiger Lewis Cherry machte das angebliche Mißbrauchsopfer ausfindig: Melissa Ashley, eine Pornodarstellerin aus Los Angeles, die vor allem wegen ihrer kindlichen Figur und kaum vorhandenen Brüste beliebt ist. Zum Zeitpunkt der Aufnahme war sie 20 Jahre alt. Von einer Vergewaltigung war nichts zu sehen. Cherry gab an, daß Ashleys Bild auch in einem anderen Fall, den er vertrat, bedeutsam gewesen war und die Fotos von einer gewöhnlichen Pornoseite heruntergeladen worden waren, die keine Kinderpornographie enthielt.

Nach einem kritischen Artikel über die „Operation Ore“ schrieben Betroffene ins Web-Blog des liberalen Guardian: „Als Familie, die schrecklich unter den an die Öffentlichkeit lancierten Lügen gelitten hat, sind wir Ihnen dankbar, daß sie mehr über die Wahrheit berichtet haben. Wir haben unser Haus verloren (davor gab es Leute, die Eier auf das Haus warfen und Pädo daraufgesprayt haben; als ich mich bei der Polizei beschwerte, wurde mir gesagt, ‘das ist nicht unser Problem – das ist das, was man als Kiddy Fiddler bekommt’); wir haben unsere Berufe verloren (es ist für eine Lehrerin nicht angebracht, mit einem Mann zu leben, der möglicherweise für das Ansehen unanständiger Bilder bezahlt haben könnte) und fast alle unserer Freunde und viele unserer Familie haben uns verstoßen. Selbst wenn man beweisen konnte, daß man niemals von Landslide gehört hatte, hielt das die lokale Presse nicht davon ab, über einen ‘abscheulichen Perversen’ zu berichten“. (12)

Am 3. April 2008 berichtete die BBC von einem weiteren Opfer der „Operation Ore“ unter dem Titel „Ich wurde fälschlicherweise als Pädophiler gebrandmarkt“ (13). Simon Bunce nutzte häufig das Internet zu Bestellungen. Im Jahr 2004 wurde er verdächtigt, unanständige Bilder von Jugendlichen oder Kindern besessen, heruntergeladen oder verbreitet zu haben. Sein Haus sowie sein Computer am Arbeitsplatz wurden durchsucht und sein Rechner beschlagnahmt. Durch die Polizeiaktion am Arbeitsplatz verlor er seine Stelle und lief Gefahr, sein Haus verkaufen zu müssen. Er berichtete seinem Vater von dem Verdacht und wurde von ihm verstoßen. Sein Vater denunzierte ihn sogar bei anderen Familienmitgliedern, wodurch er auch deren Rückhalt verlor. Da die Polizei sich nach wie vor auf gefälschtes Beweismaterial stützte und die Möglichkeit von Kreditkartenbetrug immer noch ignorierte, sah sich Bunce gezwungen, seine Unschuld zu beweisen. Letzlich konnte er nachweisen, daß die Kreditkartenabrechnung bei Landslide von Jakarta aus durchgeführt wurde, während er in einem Restaurant in London persönlich mit seiner Karte bezahlte. Das Verfahren wurde im September 2004 eingestellt, seine Arbeitsstelle erhielt er dennoch nicht zurück.

Im Zuge von „Operation Ore“ wurden bislang 140 Kinder von Amts wegen ihren Familien entzogen und in „staatliche Obhut“ gegeben. Zu den zerstörten Familien kam hinzu, daß allein nach offiziellen Angaben bisher 39 Verdächtige Selbstmord begangen haben. Inoffizielle Schätzungen gehen von 200 Todesopfern aus.

Sexualpolitische Dimension

Daß Menschen, die zum Ziel von Ermittlungsverfahren geworden sind, sich selbst das Leben nehmen, erklärt sich nur vor dem Hintergrund des sexualhysterischen Klimas in Großbritannien. Die in nahezu allen westlichen Gesellschaften vorkommende „Kinderschänder“-Hysterie hat sich im Vereinigten Königreich zu etwas entwickelt, auf das am ehesten der Begriff Hexenjagd paßt. Traurige Berühmtheit erlangten jene Vorgänge im Jahr 2000, als das Boulevardmagazin News of the World begann, Sexualstraftäter zu „benennen und anzuprangern“, so das Blatt ganz offen. „Jeder in Großbritannien hat einen Kinder-Sexualstraftäter, der innerhalb einer Meile von seinem Zuhause lebt“, wurde da allgemeine Panik geschürt. Bürgerwehren zogen durch die Straßen, Häuserwände wurden beschmiert, Menschen angegriffen. Eine Familie entkam mit ihren drei Kindern nur knapp einem Brandanschlag, weil unter ihrer Adresse vormals ein Sexualstraftäter wohnte. Kritisiert wurde das Blatt jedoch nur dafür, daß seine Aktion die öffentliche Ordnung störe und nicht etwa, weil es, nur notdürftig verklausuliert, dazu aufforderte, Pogrome durchzuführen. Weniger bekannt und von Medien außerhalb Großbritanniens kaum thematisiert worden ist bislang, daß Ausschreitungen und Morde wegen Sexualdelikten auf der Insel erschreckend häufig vorkommen. So wurde am 16. Oktober 2003 das Haus eines Mannes niedergebrannt, der 1993 eine zwölfmonatige Haftstrafe wegen eines „unanständigen Übergriffs“ auf zwei Jungen verbüßt hatte. Zwei Familienmitglieder des Mannes wurden dabei verletzt. Der Brandstifter wollte ihm klarmachen, daß „seine mutmaßlichen pädophilen Instinkte falsch“ seien. (14) Im September 2003 zerschlugen Unbekannte ein Fenster im Wohnhaus des Jazz-Musikers Timothy Colwell, nachdem das Gerücht in Umlauf gesetzt worden war, er sei ein Pädophiler. Kurz darauf wurde er wegen des Gerüchts von zwei Männern zusammengeschlagen und starb an einer Herzattacke. Vermutlich kam das Gerücht in Umlauf, weil er sich mehrfach bei der Polizei über schulschwänzende Kinder auf einem Spielplatz nahe seinem Haus beschwert hatte (15). Im Juli 2004 wurde Mathew Murray in einem Dorf in Derbyshire von drei Männern zu Tode geprügelt, weil sie glaubten, er habe ein Kind mißbraucht (16). Alf Wilkins starb im Februar 2001, nachdem seine Wohnung von einer selbsternannten Bürgerwehr in Brand gesetzt worden war. Davor hatte er sich monatelang Bedrohungen ausgesetzt gesehen, und das, obwohl er vom Verdacht des sexuellen Mißbrauchs eines Mädchens freigesprochen worden war. (17)

Eher unfreiwillig dokumentierte die offiziöse BBC die britische Sexualhysterie mit den aus der „Operation Ore“ resultierenden Toten und zerstörten Familien, indem sie Simon Bunce zum Abschluß ihres Berichts sagen ließ: „Verhaftet und angeklagt zu werden für etwas, was wahrscheinlich eines der schlimmsten Menschen bekannten Verbrechen ist, seine Arbeit zu verlieren, sein Ansehen durch den Dreck gezogen zu sehen, ist ein leibhaftiger Alptraum.“ Das Verbrechen, das Bunce für schlimm hält, besteht im Betrachten sogenannter unanständiger Bilder von Jugendlichen oder Kindern (die in Großbritannien unterschiedslos „Kinder“ genannt werden), mithin einer Handlung, in der kein ethisches Unrecht liegt. Der aufgedeckte mutmaßliche Betrachter wird „als Pädophiler gebrandmarkt“; auf Beweise wird verzichtet. Sein Verbrechen besteht nicht etwa in sexueller Interaktion mit Kindern oder Jugendlichen, sondern in seiner sexuellen Gesinnung. Bestraft wird keine Handlung, sondern eine „Perversion“. Der „Pädophile“ wird dabei nicht mehr als Mensch begriffen, sondern als Tier. „Keine Atempause auf der Jagd nach Online-Pädophilen“, „Paedophiles are beeing hunted down“ bedeutet sowohl „Pädophile werden zur Strecke gebracht“ als auch – in der Jägersprache – sie werden “erlegt“. Berichte von einer „weltweiten Jagd nach Online-Perversen“ verbreiten Medien bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Sie geben so ihre Aufgabe als gesellschaftliches Korrektiv auf und werden zu den Mitverursachern einer Hexenjagd im 21. Jahrhundert. Eine Hexenjagd auf eine sexuelle Minderheit – und Menschen, die man lediglich für zugehörig hält. Tatsachen spielen keine Rolle mehr.

 

Quellen/Anmerkungen

1 Duncan Campbell in PC Pro: „Another Nail In The Coffin Of Operation Ore” / „Sex, lies and the missing videotape”
2 BBC News vom 13. Januar 2003
3 Duncan Cambell in einem Brief vom 18. April 2007 an Chris Johnson, Regierungsassistent des Wissenschafts- und Technologiekomitees
4 BBC News vom 9. November 2006: „Child porn witness faces inquiry”
5 ebd.
6 Ein abgeschlossenes Elektronik-Studium befähigt nicht zur Kompetenz in der Computertechnik (Software)
7 http://www.vnunet.com/vnunet/news/2214115/convicted-forensics-expert
8 The Guardian vom 13. Januar 2003: „Two Labour MPs join rock star Townshend in child porn inquiry”
9 http://www.counterpunch.org/james01292003.html
10 http://www.independent.co.uk/news/uk/crime/no-evidence-against-man-in-child-porn-inquiry-who-killed-himself-509120.html
11 Sunday Times vom 29. Mai 2005: „‘Child’ porn star backs army major“
12 http://www.guardian.co.uk/technology/2007/apr/26/comment.comment1
13 BBC News vom 3. April 2008: „I was falsely branded a paedophile”
14 BBC News vom 6. Februar 2004: „Paedophile attacker jailed”
15 BBC News vom 11. Februar 2005: „Two guilty over musician’s death”
16 BBC News vom 10. Mai 2004: „’Bürgerwehr’ zu Haft wegen Totschlags verurteilt”
17 BBC News vom 21. Februar 2002, „’Bürgerwehr’ droht Lebenslänglich“