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Von Kebabgehege bis Türkenghetto


Im November titelte das Berliner Homo-Magazin Siegessäule mit dem Slogan „Türken raus!“ – unterlegt mit der türkischen Staatsflagge. Nach Protesten aus der Szene erschien am 19. November in der Tageszeitung junge Welt ein Gespräch mit Hakan Tas von den „Gays & Lesbians aus der Türkei“ (GLADT) über den wachsenden Rassismus in der hauptstädtischen Szene. Eine der Fragen verwies auch auf den Siegessäule- Aufmacher, woraufhin die Chefredaktion des Blattes verlangte, ebenfalls befragt zu werden. Die junge Welt veröffentlichte das stark gekürzte Interview am 25. November 2003. Wir bringen eine längere Fassung des den ganz alltäglichen Rassismus illustrierenden Gesprächs mit Manuela Kay und Peter Polzer. Für die Überlassung der Aufzeichnung danken wir Markus Bernhardt

Gibt es rassistische Meinungsbilder bei Lesben und Schwulen?

Polzer: Die gibt es durchaus. Jedoch nicht auf unserem Titelbild, auf dem wir unter der provokanten Überschrift „Türken raus!“ einen Artikel „vom Coming out in zwei Kulturen“ angekündigt haben. Kann man darüber streiten, ob das auch so ankommt bei den Lesern?

Kay: Ja, aber wenn wir „Schwule raus!“ schreiben würden auf dem Titel, würden die auch nicht sagen: Oh Gott, die sind jetzt gegen Schwule.

Das ist ein Unterschied. Neonazis rufen „Türken raus!“ auf ihren Demonstrationen, und die Polizei schreitet ein.

Kay: Sie rufen aber auch „Schwule raus!“

Auf Demonstrationen? Das ist durchaus umstritten.

Kay: Das kommt drauf an, wie man das meint. Das so platt eins zu eins zu übersetzen, ist sehr gewollt. Selbst wenn wir rassistisch wären, wären wir doch nicht so blöd, das so vorne draufzuschreiben.

Der Leitartikel ist jedoch auch nicht unumstritten, selbst das bürgerliche Internetportal queer.de sagt: Das war eine Provokation und kein Ausrutscher.

Polzer: Zu dem Artikel selbst wird uns überall bescheinigt, gut recherchiert zu haben.

Darin ist von einem „Kebabgehege“ die Rede. Was soll das sein?

Polzer: Das ist ein flapsiger Ausdruck für ein bestimmtes Gebiet, aber doch kein rassistischer. Die Autorin sollte vielleicht noch hier sitzen. Wir sind nur die verantwortliche Redaktion.

Kay: Wir können das vielleicht alles abkürzen, indem wir sagen, daß es bisher nicht einen einzigen aus der Türkei stammenden Menschen gab, der sich bei uns gemeldet hat und den Artikel oder unser Cover rassistisch fand.

Polzer: Wenn man diese Unterzeile sieht, blickt man sofort: Es ist eindeutig Ironie im Sinne von „Wir nehmen diesen bösen Spruch und kehren ihn mal um“, so wie „schwul“ auch mal ein Schimpfwort war, und zeigen, daß man das auch positiv besetzen kann, als ermutigende Herausforderung: Kommt aus dem Schrank raus, wenn ihr in einer Kultur aufgewachsen seid, die Homosexualität nicht gutheißt. Wir haben auch lange darüber diskutiert, ob wir damit zu weit gehen oder nicht. Aber uns Rassismus dadurch zu unterstellen ist einfach lächerlich.

Der Artikel arbeitet mit weiteren rassistischen Stereotypen. Zitat: „Am öffentlichen Leben im türkischen Kiez nimmt hauptsächlich der Mann teil. Die Frau steht unter Hausarrest, ist von der Außenwelt abgeschnitten, für jeden Fremden unerreichbar. Die Töchter dürfen in der Schule weder am Sportunterricht noch an Klassenfahrten teilnehmen und werden auf ihre Rolle als Ehefrau vorbereitet. Wer auf der Straße Kaugummi kaut oder gar raucht, gilt als Schlampe. Dagegen kratzen sich die vor Kraft strotzenden Söhne ostentativ an den Eiern und stellen ihre Potenz unter Beweis.“ Auf deutsche Verhältnisse übertragen könnte der Umkehrschluß lauten: Der Mann kommt von der Arbeit nach Hause, schlingt eine Currywurst hinunter, schlägt seine Frau, weil sein Bier nicht lang genug im Kühlschrank stand und nimmt sich anschließend, was er sexuell braucht.

Kay: Da muß es ja keinen Umkehrschluß geben. Ich komme zum Beispiel aus Kreuzberg, und die türkische Lebenswelt sieht dort mit Sicherheit nicht so aus, wie wir uns das als aufgeklärte Deutsche immer wünschen. Nur weil man bestimmte Realitäten beschreibt, ist man noch lange nicht rassistisch. Wir bemühen uns, Klischees nicht zu verstärken.

Der Artikel liest sich jedoch ganz anders.

Kay: Das sehe ich überhaupt nicht so, und außer von dieser einen Gruppe und ihren Sympathisanten hat es überhaupt keinen Rassismusvorwurf gegeben. Es ist nur diese eine ...

Sie meinen das wissenschaftlich-humanitäre komitee (whk)?

Polzer: Ja, genau.

Es gab ja angeblich Anrufe beim whk ...

Kay: Das glaub ich nicht. Die rufen sich doch nur selbst an. Wer ruft denn beim whk an? Das ist doch lächerlich.

Das whk wirft Ihnen vor, „dem rassistischen Mob die Parole zu liefern“.

Kay: Das whk ist eine kleine, total stalinistisch-dogmatische Gruppe einiger übrigens deutscher Schwuler und Lesben, die jeden, der nicht ihrer Meinung ist, immer schon als rechts, als rassistisch, antisemitisch und fremdenfeindlich bezeichnet. Und die haben ein, zwei Sympathisanten. Einer davon sitzt bei queer.de und einer davon sitzt im AStA der FU.

Den Stalinismusvorwurf kenne ich aus ganz anderen politischen Ecken. Ich bin verwundert, daß ein linkes Homo-Magazin das auch so verwendet.

Polzer: Wir wehren uns dagegen, bürgerlich zu sein, aber aus whk-Perspektive sind alle rechts von ihnen bürgerlich, und deshalb sind wir seit Jahren Anfeindungen des whk ausgesetzt.

Kay: Das whk ist für mich vollkommen indiskutabel. Bei solchen Vorwürfen müßte man die Leute wegen Rufschädigung verklagen.

Norbert Blech von queer.de wirft Ihnen „Effekthascherei“ mit einem „Nazispruch“ vor ...

Kay: Blech hat sich an die Kampagne des whk gehangen. Daß in unserer Wortwahl mitunter ungewollt rassistische Klischees bedient werden, wie in manchen anderen Sätzen Frauen- oder Schwulenfeindlichkeit bedient wird, ohne daß wir das bemerkt haben, kann ja sein. Darüber kann man dann aber diskutieren, schließlich haben wir keinerlei rassistische Absichten.

„Kebabgehege“ ist kein Wort, welches einem mal eben unbewußt aus der Feder fließt.

Kay: Warum? Ich selber sage auch, daß ich in einem Türken- und Lesbenghetto lebe. So ist das nun mal. Das ist eine Realität.

Norbert Blech ist whk-Sympathisant?

Polzer: Ja.

Kay: Ganz klar.

Und woher kommt diese Information?

Kay: Weil er uns um ein Statement gebeten hat, der einzige Journalist. Das haben wir ihm geschickt und er hat es ans whk weitergeleitet.

Das stand im Internet. Sein Kommentar auch.

Kay: Nein.

Ich habe den Kommentar am 5. 11. aus dem Internet gezogen, bei queer.de.

Polzer: Das glaube ich nicht.

Der AStA der Freien Universität Berlin hat die Auslage der November-Ausgabe der „Siegessäule“ untersagt, antirassistische Gruppen haben große Teile des Magazins wieder eingesammelt. Sind Sie von „dogmatischen Stalinisten“ umgeben?

Polzer: Wir haben einen gut funktionierenden Vertrieb, dem nichts davon bekannt ist, daß nennenswerte Mengen der Siegessäule verschwunden wären.

Fördert es nicht andere politische Strömungen, wenn man sich an Nazivokabular angleicht?

Kay: Meine Meinung ist, man entschärft es. Vor allen Dingen ist mir hier das Empfinden der Betroffenen wichtiger als das von ausgesprochen deutschen Menschen, die sich ohne Mandat zum Anwalt einer Gruppe machen, die sich darüber letztendlich gar nicht aufregt.

Polzer: Natürlich gibt es Rassismus in der Schwulen/Lesbenszene, so wie im ganzen Land. Auch wir sind nicht besser als der Rest des Landes und auch deswegen haben wir uns für die Provokation entschieden, um mal aufzurütteln.

Es war ein Tabubruch.

Polzer: Das war ein Tabubruch. Es wurde selten zuvor so über eine Titelgeschichte so diskutiert in der Szene, auch von nicht Betroffenen. Deshalb ist so eine Provokation offensichtlich ganz effizient gewesen.

Sie würden also alles wieder genauso machen?

Polzer: Ja.

Kay: Ja. Solange das whk sich aufregt, weiß ich, daß wir das Richtige getan haben.

Polzer: Wenn ein kleines Grüppchen, das als einziges einen Emailverteiler betreibt und ...

... und eine Zeitung herausgibt ...

Polzer: und eine Zeitung herausgibt ...

... und einiges mehr macht.

Polzer: Ja, aber kein Mandat in irgendeiner Weise hat, das seine Weltanschauung probiert zu publizieren. Das ist nicht relevant.

Sie präsentieren nicht Ihre Weltanschauung in Ihrer Zeitung?

Kay: Nee, wir sind Journalisten. Bei uns geht’s nicht um Weltanschauung, im Gegensatz zum whk. Wir sind kein Propagandablatt wie die Gigi. Man hat eine gewisse Richtung, aber es wird auch journalistisch recherchiert und werden nicht einfach plumpe Feindbilder wiederholt wie in der Gigi auf jeder Seite.

Warum kriegt dann „Gigi“ den Felix-Rexhausen-Preis als beste Zeitung aus dem schwul-lesbischen Bereich?

Kay: Das ist doch lächerlich! Diesen Verband [Bund Lesbischer und Schwuler JournalistInnen – M.B.] habe ich mitgegründet, und das war in einer Phase, als der total in Auflösung begriffen war, was er nunmehr ist. [Siehe dazu den Beitrag „Meisterwerke“ auf Seite 27 dieses Heftes – Gigi] Er vergibt den Preis immer noch, ohne jedes Mandat im Grunde, und es gab eine riesige Austrittswelle nach der Vergabe dieses Preises.

Damit begründet?

Kay: Auch damit begründet. Das hat aber keinerlei Bedeutung. Wir reden von zehn Leuten im whk und zehn anderen, die das gut finden. Wir reden wirklich von Einzelkämpfern.

Professor Meyer-Hanno ist unbedeutend in dieser Homosexuellenszene? Herbert Rusche auch?

Kay: Mit Ausnahme der beiden geht’s für mich vor allem um politische Hampelmänner.

Die „Siegessäule“ steht nicht zum ersten Mal in der Kritik. Erinnert sei an die rassistischen Opferberichte des „Schwulen Überfalltelefons Berlin“.

Polzer: Wir haben bis vor fünf Jahren den „Kriminalreport“ veröffentlicht, in dem unser Autor Jens Dobler die Opferberichte zusammengefaßt hat. Diese wurden jedoch eingestellt, weil es in ihnen immer öfter zu einer Einteilung der Täter nach ihrer Herkunft kam.

Ich habe noch nie einen Titel „Nazis raus!“ gesehen, zum Beispiel auf der „Siegessäule“.

Polzer: Hatten wir. Wie hieß das, was wir mit der taz zusammen gemacht haben?

Kay: Ich glaube, „Gesicht zeigen“ war das oder „Zivilcourage zeigen“. „Nazis raus!“, das ist uns dann auf eine Art zu abgegriffen. Wenn wir sagen wollen „Nazis raus!“, schreiben wir nicht „Nazis raus!“ Das hieße ja, daß wir „Türken raus!“ auch so meinen.