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Jenseits von Osama

Am 15. Januar lief in vielen deutschen Kinos ein Drama an, das von der Kritik beste Noten bekam: Siddiq Barmaks „Osama“. Daß sich der erste Spielfilm, der in Afghanistan seit Beginn der Taliban-Herrschaft produziert wurde, Frauen widmet, ist kein Zufall. Man muß jedoch schon sehr genau wegschauen, um zu übersehen, welch zynischer Streifen einem da entgegenflimmert und daß er nichts sagt über die heutige Situation von Frauen in Afghanistan. Eine ergänzende Recherche von Eike Stedefeldt

Kabul nach dem Machtantritt der Taliban. Frauen dürfen nur in männlicher Begleitung in die Öffentlichkeit, und selbst dann nur ganz verhüllt. Nicht arbeiten gehen zu dürfen trifft am schwersten Witwen ohne Väter, Brüder und Söhne. Eine solche Familie sehen wir: Großmutter, Mutter, Tochter. Um nicht zu verhungern, muß letztere, als Junge verkleidet, die Mutter nach draußen begleiten. Als die Ärztin auch privat nicht mehr arbeiten kann, muß das Kind den Lebensunterhalt verdienen und kommt bei einem Krämer unter – bis der „Junge“ auf eine Koranschule gezwungen wird. Ein Freund, Espandi, versucht vergeblich, das Mädchen vor der Enttarnung zu bewahren. Durch ihn erhält es überhaupt erst einen Namen. „Osama“ entgeht der Todesstrafe dank des Koran-Lehrers, der dem Kadi verspricht, sie zu heiraten. Linear und langweilig, endet die Story in des Mullahs Haus – mit der „Hochzeitsnacht“. So weiß die „zivilisierte“ Welt aus erster Hand, was sie vom Land am Hindukusch wissen soll. Siddiq Barmak, der Regisseur, ist schließlich Afghane.

Wer das Geld gibt, bestimmt über die Bilder

Geld und Technik für „Osama“ kamen aus Irland und Japan, Koalitionären im Anti-Terror-Krieg, sowie: Iran. Gezeigt wird nichts, was CNN nicht längst geliefert hätte: Ruinen, bittere Not, große Kinderaugen, eingesperrte Frauen, Burkhas, Gotteskrieger mit Turban und MG, bärtige Mullahs. Daß in den ersten Minuten zwanzig Mal das Wort „Taliban“ fällt, ist lästig, führt aber zu weiteren Fragen: Warum tauft Espandi die Freundin Osama? Weshalb nicht Ahmad oder Babrak? Wieso kein weiblicher Name als Titel, da es doch um ein Mädchenschicksal geht? Warum ist die Bildsprache die des europäischen Kinos? Findet sie deshalb ihr Pendant in der Synchronisation? „Okay“, sagt Espandi auf dem Schulhof zu „Osama“. Ist das Persisch, Paschtu oder eine andere der vielen regionalen Sprachen? Dari, Urdu oder Farsi? Im Abspann finden Unkundige dazu keine Auskunft, er enthält keine lateinischen Buchstaben. So bleibt unklar, wer bei dem Film noch so alles „mitgespielt“ hat.

„Mein Mann ist als Märtyrer im Kampf um Kabul gefallen“, sagt die Mutter im Film. Nur: Wogegen hat er gekämpft und auf wessen Seite? Welchen Feind besiegten die Taliban und welches Regime beseitigte jener Feind zuvor in Kabul? Woher hatten die einen Sieger wie die anderen ihre Waffen? Und was bedeuteten ihre Siege für Frauen und Mädchen?

„Osama“ beantwortet keine dieser Fragen, weil es nicht sein Anliegen ist. Die Frauen des Streifens sind namenlose Opfer, Objekte für den westlichen Blick. Degradiert zu passiven, ihr Leid geduldig ertragenden Geschöpfen, sind sie letztlich abermals nur das, wofür die „zivilisierte Welt“ sie vor allem nach dem 11. September 2001 brauchte: die nachträgliche Legitimation für einen ganz anderen Interessen dienenden „Krieg gegen den Terror“.

Lügende Wahrheiten

Vom Alltagsleben im Land sieht man nichts, alles ist stark vergröbert und zweckmäßig reduziert aufs politische Ziel. Entsprechend stereotyp und ohne eigenen Charakter sind die Figuren, ihnen jenseits der Haupthelden mittels Namen zumindest den Hauch einer Individualität zu verleihen, wurde offenkundig als unnötig erachtet. Da gibt es keine starken, mutigen Frauen; sie reagieren auch nicht logisch. Hunderte protestierende Witwen in der Eingangsszene etwa haben nichts zu verlieren, geben aber sofort auf, als zwei Jeeps mit Bewaffneten auftauchen. Eine verbotene Hochzeit (der Bräutigam ist im Iran und nur als Foto anwesend) wird gestört. Die Gäste verwandeln sie blitzschnell in eine Trauerfeier, doch aus dem subversiven Akt – eine Funktion von Kunst ist es, das Denkbare als machbar darzustellen – erwächst kein Widerstand. Es gibt nur Gut und Böse, Täter und Opfer, keinerlei Abstufungen, keine Zwischentöne. Taliban sind Verbrecher, bar jeder menschlichen Regung: Die westliche Ärztin, der westliche Reporter werden nach kurzem Prozeß öffentlich hingerichtet, Jungen den Eltern ohne Begründung entrissen, „um sie zu Taliban-Kämpfern auszubilden“, und auch von dem Mullah, der die zwölfjährige Heldin vor der Steinigung rettet und zunächst als Gebildeter dargestellt wird, der „Nymphen“ als heilig verehrt, bleibt am Ende nur ein geiler, alter Sack, der sich eine Jungfrau kauft, um sie einzusperren und zu vergewaltigen. Und seine anderen Ehefrauen? Sie hassen ihn, haben nichts zu verlieren, sind ihm zahlenmäßig und körperlich weit überlegen, aber wehren sich nicht. Und der gute alte Krämer, der sich mit seinem Geschäft eben erst eine Existenz gesichert hat, geht nach Pakistan, ohne daß seine Motive ersichtlich würden.

Zweifellos hat es ähnliche Szenen zuhauf gegeben in Afghanistan. Barmaks Kunst besteht jedoch nicht in den von der Kritik so gelobten, gequält wirkenden „poetischen Bildern“, sondern in der Fähigkeit, mittels vieler kleiner Wahrheiten eine große Lüge zu verbreiten. Sie besteht darin, die historischen Geschehnisse, die zum afghanischen Desaster führten, sowie die weltpolitische Interessenlage völlig auszublenden. „Osama“ ist ein Film gegen die Realität, weil er suggeriert, nach dem Sieg der edlen „Freiheitskämpfer“ von der Nordallianz und der US-geführten westlichen Alliierten über die Taliban sei das Gezeigte Vergangenheit und den Frauen gehe es heute viel besser. Nur warum sind dann zum Beispiel Witwen wie die im Film gezeigte in vielen Teilen des Landes auch zwei Jahre nach Vertreibung der Taliban und trotz Präsenz der Internationalen Afghanistan-Schutztruppe (ISAF) weiter ans Haus gebunden und überleben nur dank der Lebensmittelhilfe ausländischer Organisationen?

Regierende Warlords

„Viele führende Politiker, darunter US-Präsident Bush und Außenminister Powell, hatten versprochen, daß der Krieg in Afghanistan den Frauen die Befreiung bringe. Doch noch immer sind Gewalt, Diskriminierung und Unsicherheit im Leben der Frauen an der Tagesordnung“, faßte Barbara Lochbihler, die Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland, am 6. Oktober 2003 einen detaillierten Bericht ihrer Organisation zusammen. Er zeige auch „die Unfähigkeit und Unwilligkeit der geltenden Strafgerichtsbarkeit, mit der Gewalt gegen Frauen angemessen umzugehen“. „Die Strafgerichte verletzen die Rechte der Frauen mehr als daß sie sie schützen. Die Afghaninnen brauchen einen funktionierenden Rechtsstaat, der ihre Rechte wirklich garantiert.“

Den Hauptteil dieses Beitrages finden Sie nur in der Printausgabe.