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Jenseits von Denver

„Berlin Bohème“ ist der Titel einer Drama-Serie, deren vierte Staffel un-längst anlief. Ihr 1968 in Wolfenbüttel geborener Autor Andreas Weiß drehte seit 1990 in Berlin verschiedene Seifenopern mit schwulem und les-bischem Inhalt. Ausgestrahlt in der Regel in regionalen und lokalen Offenen Kanälen, vertreibt Weiß die Folgen – nicht zuletzt zur Refinanzierung – mittlerweile aber auch auf DVD. Über Homosexuelle jenseits der „Lindenstraße“, über angebliche Zuschauerbeschwerden und Jugendgefährdung sprach mit ihm Lizzie Pricken

Wie kamst du dazu, Serien zu drehen?
Ich mache das quasi seit fünfzehn Jahren. Bereits 1991 habe ich die erste größere Soap produziert. Die Idee entstand im Rahmen einer Theatergruppe, mit der ich ein Jahr lang für ein Stück probte, doch da fast alle Laiendarsteller waren, kam nicht viel dabei heraus. Wir haben dann mit einigen aus der Truppe überlegt, wie es doch noch zu einem greifbaren Ergebnis kommen könnte. So entstand die Idee, eine Serie zu drehen, auch weil es bis auf einen verkorksten Homo in der Serie „Denver Clan“ damals keine schwulen Figuren in einer Soap gab. Da beschlossen wir eine Serie über das Leben von Schwulen und Lesben zu machen. Heraus kam „Licht und Schatten“, bei der es allerdings kein Drehbuch gab, sondern nur grobe Handlungsanweisungen und der Rest improvisiert wurde. Wir haben über zwei Jahre insgesamt 61 Folgen gedreht. Daraus ergaben sich weitere Serien, als erstes „Die Traumtänzer“, die ziemlich trashig war, und 1995 „Montagskinder“, die mittlerweile eine meiner bekanntesten Soaps ist, weil jede Folge ein bis zwei schwule Nackt- und Erotikszenen enthielt, die damals sehr provokant waren, im Vergleich zu heute jedoch eher harmlos wirken.

Warst du damit nicht einer der ersten, der die Homoerotik fürs Fernsehen umgesetzt hat?
Genau. Die Folgen liefen im Offenen Kanal. In Flensburg, Essen und Hannover sind die aus dem Programm geflogen, angeblich aufgrund von Zuschauerbeschwerden. Aus unerfindlichen Gründen, wohl weil der politische Wind aus einer anderen Richtung wehte, wollte man eben keine schwule Produktion mehr haben, und da wurden immer solche Beschwerden sowie die angebliche Jugendgefährdung vorgeschoben. 1997 rief ich die „Montagsgeschichten“ ins Leben, in denen es bis auf eine Frau nur schwule Hauptfiguren gab. Bei den „Montagskindern“ gab es noch Lesben, Heteros und Heteras. Es folgte „Von Mann zu Mann“, bei dem der Erotikanteil noch ein bißchen größer war. Das war die erste „Erotiksoap“ im deutschen Fernsehen. So vom Typ Softporno, den man im Nachtprogramm sieht, nur eben für ein schwules Publikum. 1999 fing ich mit „Berlin Bohème“ an. Für die erste Staffel nahm ich den Roman „La vie de la Bohème“ als Vorbild und versuchte Szenen aus alternativen Künstlerkreisen darzustellen und diese mit der schwul-lesbischen Szene zu verbinden. Das lief auch ganz gut. Darauf habe ich dann aufgebaut und in den letzten sechs Jahren 53 Folgen abgedreht. Die letzte Staffel mit 16 Folgen hat jetzt Premiere.

Wie unterscheiden sich deine schwulen Protagonisten von denen in der „Lindenstraße“?
Der wesentliche Unterschied ist, daß es einfach mehr schwule und auch lesbische Figuren gibt, als in der Vorabendserie, wo maximal zwei oder drei Schwule und ebenso wenige Lesben auftauchen. Die sind eher bürgerlich und werden allesamt als relativ „normal“ dargestellt. Bei meinen Produktionen erlaubt die größere Anzahl mehr unterschiedliche Charaktere. Da sind neben den „Normalos“ die absoluten Spießer, die Prolls, und es gibt die Tunten. In den üblichen Fernsehserien kommen zwar mitunter auch schräge Typen vor, die sind aber in der Regel heterosexuell.

Wobei gerade bei deiner aktuellen Produktion die Lesben fast alle von Heteras gespielt wurden ...
Das ist ein Problem, das ich bei allen Produktionen hatte. Viele Lesben sind mit dem Argument gekommen, wenn da ein Mann die Regie führe, machten sie nicht mit, eine wollte gar nur dabei sein, wenn es keinen nackten Kontext gäbe. Ich habe volles Verständnis dafür, wenn sich jemand vor der Kamera nicht ausziehen möchte, aber daß sich in der ganzen Folge deshalb überhaupt niemand mehr ausziehen darf, halte ich gelinde gesagt für leicht übertrieben. Das lief dann auf so eine Ebene hinaus, daß alle Männer Vergewaltiger seien, und da hatte auch ich wenig Interesse an einer Zusammenarbeit. Und dann kamen tatsächlich heterosexuelle Schauspielerinnen, die es witzig fanden, eine lesbische Rolle zu spielen. Und die haben sie dann auch bekommen.

Offenbar steht bei deinen Produktionen der Humor im Vordergrund ...
Ja, und es ist auch mittlerweile so konzipiert, denn im Laufe der Jahre sind immer mehr professionelle Schauspieler dazugekommen, die ohne Gage mitspielen. Sie erhalten lediglich ihr Demomaterial und können Erfahrungen vor der Kamera sammeln. Für viele ist es einfach wichtig, in einem Projekt mitzuarbeiten, das ihnen Spaß macht und in dem sie sich ausprobieren können.

Schreibst du die Drehbücher und führst auch Regie?
Ja, wobei das in den letzten Jahren nicht mehr ausschließlich der Fall war. Es gab für ein paar Folgen GastautorInnen, sowie RegisseurInnen, die einzelne Episoden realisiert haben. Ich bin nichtsdestotrotz noch als Produzent für einen Großteil der Folgen verantwortlich und achte darauf, daß einzelne Folgen nicht völlig gegen den Stil der Serie verstoßen. Es gibt auch einige Darsteller und Darstellerinnen, die sich gerade in der letzten Staffel als AutorInnen versucht haben, und dabei sind einige gute Ergebnisse herausgekommen.

Heißt das, es gibt immer einen gewissen Freiraum für alle Beteiligten, die Serie mitzugestalten?
Auf jeden Fall. Das ist für mich nicht zuletzt auch eine Arbeitserleichterung. Die letzte Staffel hatte insgesamt sechzehn Folgen; hätte ich alle Drehbücher selbst geschrieben, wäre ich monatelang nur damit beschäftigt gewesen. Und so ist etwa die Hälfte der Bücher von anderen AutorInnen geschrieben worden. Außerdem ist es viel interessanter, wenn mehrere Autoren den einzelnen Charakteren ihre Worte in den Mund legen, denn wenn das alles von einer einzelnen Person kommt, läuft man immer Gefahr, daß die Figuren sich zu ähnlich werden. Die Staffel hatte immerhin alleine fünfzehn Hauptfiguren und an die fünfzig Nebendarsteller.

Schneidest du das Material auch selbst?
Ja. Um diese Arbeit von einem professionellen Studio machen zu lassen, reicht leider das Budget nicht. Ich habe daher alleine an den letzten sechzehn Folgen á 24 Minuten fast drei Monate geschnitten.

Woher kommt das Geld für solch ein Riesenprojekt?
Das ist eine gute Frage. Es kommt halt von irgendwo her. Meistens finanziere ich die Produktionskosten wie Videomaterial, Catering und Aufnahmetechnik vor, entweder mit Ersparnissen oder durch Leihgaben von Freunden, und versuche anschließend, über den Vertrieb von DVDs die Kosten wieder einzufahren und wenn möglich noch einen kleinen Gewinn zu machen. Das hat bislang funktioniert, reich werden kann ich damit nicht, aber wenn ich am Ende bei plusminus Null ankomme, bin ich zufrieden.

Um noch mal auf „Berlin Bohème“ zurückzukommen: Was soll die Serie bewirken?
Es ist mir wichtig, Thematiken aufzugreifen, die nicht das Leben eines Durchschnittsbürgers darstellen. Beispielsweise in der aktuellen vierten Staffel weiß man bei einigen Leuten gar nicht, was die eigentlich für einen Beruf haben. Es geht vielmehr um das Leben derjenigen, die nicht nach dem Büro den Fernseher einschalten, sondern um diese Art von Lebenskünstlern, von denen es ja gerade in Berlin nicht wenige gibt. Die Verbindung zwischen den Personen entsteht durch ein gemeinsames Theaterprojekt, und dann geht es in erster Linie um das Privatleben, ihre Liebesdramen und dergleichen. Die üblichen Soapthemen eben. Aber auch um andere Aspekte aus schwuler- oder lesbischer Perspektive, die man so in den handelsüblichen Soaps nicht vorfindet. Einerseits werden sehr ernste und realistische Themen bearbeitet, und auf der anderen Seite gibt es auch Geschichten, wo man schmunzeln muß oder sich auch halb totlachen kann über einzelne Szenen. Es ist also weder eine Sitcom, wo alle zwanzig Sekunden ein Lacher kommen muß, noch ist es so eine tragische Seifenoper wie die „Lindenstraße“, wo alles immer ziemlich ernst ist. Deshalb heißt es auch Drama-Serie, weil sie mit Mitteln des klassischen Dramas vor allem an die Gefühle des Zuschauers appelliert. Man wird beim Zuschauen in ein Wechselbad der Gefühle getaucht. Das vermisse ich übrigens bei den meisten anderen Produktionen. Man legt sich da entweder auf die Sitcom fest, wie bei „Bewegte Männer“, die glaube ich auf Sat1 läuft und mit billigsten Schenkelklopfern arbeitet unter dem Motto: Kommt liebe Heteros und guckt euch an, wie die Schwulen so sind. Oder diese bierernste Herangehensweise wie in der „Lindenstraße“, wo man unweigerlich denkt: Schon wieder dieser Spießerdoktor mit seinen Problemchen, was soll das Ganze eigentlich? Dabei kommt doch gerade diese Mischung aus ernsten Thematiken, wo es aber auch viel zu lachen gibt, dem Leben am nächsten.

Die Serie läuft nicht im Offenen Kanal Berlin ...
In Berlin sende ich nicht mehr im Offenen Kanal, da hatte ich 2002/2003 ziemlichen Streß und habe mich entschieden, dort nicht mehr zu senden. Aber sie läuft in anderen Städten, zur Zeit in Magdeburg, in Wien und Salzwedel, und darüber hinaus versuche ich noch andere Offene Kanäle zu finden, bei Filmfestivals teilzunehmen oder Vorführungen in schwulen Kulturzentren zu organisieren.

Wie reagiert die Szene auf deine Produktionen?
In Berlin sind die meisten Leute ziemlich satt. Es gibt so viele Angebote und ich habe das Gefühl, belächelt zu werden. Es gibt ein paar Fans, die die Sachen auch auf DVD kaufen, aber die meisten begeisterten Anhänger kommen aus der Provinz oder ländlichen Gebieten, erstaunlicherweise hauptsächlich aus Süddeutschland. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, daß es in Bayern und Baden-Württemberg keine Offenen Kanäle gibt.

Träumst du davon, es eines Tages in die öffentlich- rechtlichen Sender zu schaffen?
Es wäre natürlich ein schönes Ziel, aber ich habe keine Lust, mich dafür zu verbiegen. Ich weiß von einem Filmemacher, der hat ein Fernsehspiel fürs ZDF gemacht. Da sollte eine der Nebenfiguren eine Tunte sein. Und dann hat die Redaktion ihm gesagt, er könne das Fernsehspiel nur machen, wenn er die Tunte aus dem Stück herausnimmt. Die Figur war dann keine Tunte mehr im klassisch politischen Sinne, sondern irgend so eine Schwuppe. Ich kann mir nicht vorstellen, daß mir so eine Redaktion vorschreibt, was ich wie darzustellen habe. Oder wie bei der ARD, die nur einige pseudoschwule Filmemacher permanent unterstützen, die mal vor dreißig Jahren einen Erfolg hatten, und wo für neue Leute und Ideen einfach kein Platz ist.

Welches ist dein nächstes Projekt?
Ich arbeite an der Biographie meines Freundes. Er ist jetzt 57 und hat ein bewegtes Leben hinter sich. Ich möchte seine Lebensgeschichte aufschreiben und weiß noch nicht, ob es ein Buch wird oder ein Dokumentarfilm. Das ist jedenfalls mein nächstes größeres Langzeitprojekt. Ich habe fünfzehn Jahre lang Drama-Serien gemacht und möchte nun etwas anderes tun. Es gab zwar bei der aktuellen Serie eine deutliche Steigerung zu den letzten Staffeln, auch weil viel mehr Profis dabei waren. Ich bin mit dem Ergebnis mehr als zufrieden. Aber die wahre Lebensgeschichte von jemandem aufzuzeichnen, der das wilde schwule Leben der 70er und 80er Jahre in Berlin miterlebt hat, an das sich heute kaum noch jemand erinnert, finde ich schon sehr reizvoll.

Mehr Informationen
zu den Soaps von Andreas Weiß sowie zu deren Bestellung auf DVD finden Sie auf der Website www.schwulfernsehen.de