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Dann such' ich mir halt 'ne andere

Als die junge Istanbuler Filmemacherin Pelin Esmer in ihrem zweiten Dokumentarfilm eine Frauentheatergruppe auf einem anatolischen Dorf porträtiert, ahnt sie noch nicht, daß sie zugleich Zeugin eines einzigartigen Experiments wird. Ihr Film „Oyun – The Play“ begleitet die Darstellerinnen der Laien-Truppe einfühlsam und unaufdringlich auf ihrem Weg bis zur Aufführung und gibt dabei tiefe Einblicke in ihre Lebensrealitäten. Dabei wird der Arbeitsalltag und der damit ver-bundene Umgang mit der traditionellen Frauenrolle – zumindest im Spiel – für einige Augenblicke aufgelöst. Auch wenn die Ehemänner ihre Frauen bezüglich des Bühnenprojekts un-terstützen, sind sie doch nicht immer begeistert von dem Rollenwechsel. Am Rande des diesjährigen Medienfestes „One World Berlin“ zum Thema Menschenrechte unterhielt sich mit der Regisseurin Lizzie Pricken

Du hast an sich Soziologie an der Bosporus-Universität in Istanbul studiert. Was hat dich dann zum Film gebracht?
Filme zu drehen machte mir mehr Spaß, als die akademische Anthropologin zu spielen, die ich beinah geworden wäre. Ich war schon immer sehr an Menschen interessiert und auch am Kino. Dann bekam ich im dritten Semester die Gelegenheit, mit einer amerikanischen Filmemacherin zu arbeiten, die nach Istanbul gekommen war, um einen Dokumentarfilm über Frauen im Islam zu machen. Das war 1995 und für beide Seiten eine tolle Erfahrung. Darauf beschloß ich, nach meinem Studium zum Kino zu wechseln. Ich habe anschließend in einem Seminar über ein Jahr mehrere Filmemacher in Istanbul kennengelernt. Dann habe ich im Spielfilmbereich als Regieassistentin gearbeitet. 2002 habe ich meinen ersten eigenen Film „The Collector“ gedreht, eine Dokumentation über meinen sammelwütigen Onkel in Istanbul.

Wie ist der Film „The Play“ angekommen?
Die Premiere war im April 2004 in eben jenem anatolischen Dorf und dann auf dem Istanbuler Filmfestival. Das besondere daran war für mich, daß meine Hauptdarstellerinnen dabei waren. Die Weltpremiere war auf dem Filmfestival in San Sebastian, auch dort habe ich ein sehr gutes Feedback erhalten.

Wie kam der Kontakt zu den Protagonistinnen überhaupt zustande?
Das erste Mal habe ich über sie in der Zeitung gelesen. Sie hatten bereits ein Theaterstück aufgeführt. Ich fand die Idee so spannend, daß ich sie unbedingt kennenlernen wollte, wenigstens, um ihnen zu gratulieren. Vom ersten Augenblick an fühlten wir uns wie alte Freunde und ich erzählte ihnen von meiner Idee. Allerdings sollte der Film über ihr neues Projekt sein, denn das erste Stück war von einem anderen Autor geschrieben worden. Es handelte von zwei verfeindeten Dörfern. Damit konnten sie sich nicht identifizieren. Sie wollten vielmehr sich selbst und ihr Leben darstellen. An dem Punkt habe auch ich verstanden, daß dies ein wirklich interessanter Film werden kann. Dieses Wechselspiel zwischen Realität und Spiel eignet sich hervorragend auch in kinematographischer Hinsicht. Ich bat die Frauen, keinesfalls irgendeine besondere Verhaltensweise mir gegenüber an den Tag zu legen. Ich wollte einfach nur ein Teil der Gruppe sein und sie mit der Kamera begleiten. Deshalb wurde auch vermieden, mit großem Equipment im Dorf aufzutauchen.

Wie wurde „Oyun“ finanziert?
Ich konnte in der kurzen Zeit zwischen Planung und Drehbeginn natürlich keinen Sponsoren finden, also lieh ich mir ein paar Kameras von der Uni aus und fand einen Freund, der mir die Soundtechnik und einen Tonmeister zur Verfügung stellte. Wir waren dann schließlich ein Team von drei Leuten, und das war genau die richtige Anzahl, um den Dorfbewohnern zu vermitteln, daß ihr Theaterstück im Vordergrund stand und nicht das Filmprojekt.

Ist es üblich, daß Frauen in der Türkei ihr eigenes Theater machen?
Es ist an einigen Orten möglich, doch Theater wird in der Regel eher mit der Stadt in Verbindung gebracht, als mit der Dorfkultur. Dabei gab es gerade in den 40er und 50er Jahren innerhalb der Türkei viele ländliche Theatergruppen. Sie waren durchaus ein Bestandteil der Alltagskultur. Das war noch vor dem Fernsehen und dem Auseinanderklaffen von urbanen und bäuerlichen Lebensrealitäten. Zu der Zeit blickte die Gesellschaft – allen voran die Politiker – noch auf die Dörfer. Mittlerweile ist die Aufmerksamkeit in Richtung Stadtleben gewandert, zusammen mit Tausenden von Migranten.
In dem Dorf, in dem der Film spielt, gab es schon früher eine Theatergruppe, die nur aus Männern bestand, und eine gemischte Gruppe. Doch die Gruppe, mit der ich zu tun hatte, wollte reines Frauentheater machen. – Das allerdings weniger aus ideologischen Gründen, als vielmehr, um den üblichen Klatsch und Tratsch zu vermeiden, der sich in der Regel erhebt, wenn Männer und Frauen außerhalb der Familie zusammen sind. Zumindest anfänglich wollten die Frauen das Theaterspielen für sich behalten. So ist es nicht verwunderlich, daß nun auch die Ehemänner in die Gruppe eingetreten sind und einige der Söhne.

Hat das vielleicht auch etwas mit der Möglichkeit ihrer Kontrolle zu tun?
Nein, vielmehr damit, daß die Männer gesehen haben, wie viel Spaß das Theaterspielen macht. Sie haben ihre Frauen wirklich unglaublich unterstützt während des Films, gerade weil sie aus einem unterprivilegierten Umfeld kommen und es dementsprechend Ängste gab bezüglich der Frauen. Eine Frage zum Beispiel war: „Was machst du, wenn deine Frau nach Istanbul geht, um ein Filmstar zu werden? (Die lapidare Antwort des Befragten darauf lautete im Film: „Dann such’ ich mir halt ‘ne andere!“ – L. P.)

Das komplette Interview finden Sie nur in der Printausgabe.