Illusioninnen
So beliebt
der Terminus Autonome ist, so falsch ist er für die gelebte
Realität derer, die sich als solche bezeichnen. Signalisiert er doch
allenfalls ein unerreichbares jugendliches Ideal, den naiven und doch ehrenwerten
Traum, einen eigenen Film auf die Leinwand des inhumanen Systems
zu projizieren. Traum, Film, Leinwand das sind mit Bedacht gewählte
Bilder: Am 21. August lief in deutschen Kinos ein von WDR, SWR und HR koproduzierter
Doku-Spielfilm an, der zurückführt in eine Stadt nahe dem
Ausnahmezustand, so die Verleih-Ankündigung.
Die Ritterinnen nannte Regisseurin Barbara Teufel ihre 2001 gedrehte
Hommage an eine Berliner Frauen-WG. Heldin ist die von Jana Straulino dargestellte
Bonny, die 1987 und nur mit einem Rucksack der Enge eines schwäbischen
Nests entflieht und Unterschlupf im Ritterhof findet, einem besetzten Fabrikbau
an der Kreuzberger Ritterstraße. Der gewachsenen Arroganz der Metropolen-Szene
setzt sie freche Unbeschwertheit und Charme entgegen. Die antipatriarchalisch
geschulten männlichen Bewohner sind so irritiert wie begeistert, einige
der Frauen wittern auch deshalb in ihr eine Konkurrentin und
Verräterin. Doch Bonny bringt neue Ideen und jugendlichen Elan mit, und
ihre Politisierung erfährt noch einen massiven Schub nach der gewaltsamen
Auflösung eines friedlichen Straßenfestes durch die Polizei am
1. Mai 1987, dessen Aktionen im Gegensatz zu den heutigen folkloristischen
revolutionären Krawallen noch inhaltlich begründet und
intellektuell unterfüttert waren. Wir waren sieben, hört
man stets aus dem Off, wenn einer der Brüche im gemeinsamen Leben der
Frauen dargestellt wird, ob der nach Problemen mit Männern und/oder Liebesbeziehungen
beschlossene Umzug in eine eigene Frauen-Etage oder der Ausstieg einer Frau
sei es aus dem Kollektiv-Konto, aus einem Projekt oder letztlich aus
der WG selbst.
Nur rund
vier Jahre überstreicht der Film, wilde politisch-private Zeiten mit
Demos und Aktionen, vor allem im Kontext der Berliner Tagungen von IWF und
Weltbank 1988, mit polizeilicher Verfolgung, medialer Hetze, akuten Geldsorgen,
nervenraubenden Plena, Entdeckungen der eigenen sexuellen Interessen und Möglichkeiten.
Spannend an diesem inzwischen auf diversen Festivals von Los Angeles bis New
York, von San Francisco bis Barcelona, von Emden bis Berlin gezeigten Streifen
ist jenseits der Ereignis-Rückblende, daß die sieben Ritterinnen,
auch ihre männlichen Freunde, nicht nur durch Schauspieler, sondern in
Zwischenschnitten mit ihren heutigen Reflexionen präsent sind. Ganz verschiedene
Ansichten haben sie über diese wichtige Erfahrung, die sie weiter prägt.
Manche lebt noch immer alternativ zum Gutbürgerlichen, während damalige
Freundinnen entgegen allen feministischen Grundüberzeugungen geheiratet
und andere weiterhin den Hang zur Esoterik haben, welche eigenen Aussagen
zufolge nach den kräftezehrenden Aktionen gegen Weltbank und IWF als
Welle in das entstandene Vakuum schwappte. Allesamt wirken die Protagonistinnen
15 Jahre später auf ihre Weise desillusioniert, denn nichts hat
sich verändert am System, aus dem sie Auswege suchten als
sogenannte Autonome. Im Film klingt an, was diese oder jene mit Sicherheit
die Regisseurin selbst, die da ihre eigene Story erzählt begriffen
hat: Daß es diese Autonomie von Herrschaftsverhältnissen nur als
Wunsch gibt, weil auch Autonome tief von ihnen vorgeprägt
sind und objektiv dazu neigen, sie in autonomer Kultur zu reproduzieren
beziehungsweise sie durch autonome Machtspiele zu ersetzen. Und
daß es eine Emanzipation von ihnen nicht geben kann, wenn sich nicht
alle Individuen von ihnen emanzipieren.
Insofern
ist es logisch, daß die WG zerbrach, als sich die Berliner Mauer öffnete.
Da wollte ein ganzes Volk zurück ins Ausbeutungssystem. Die Ritterinnen
hatten es nicht einmal bemerkt und konnten das Geschehen nur lethargisch am
Fernsehgerät verfolgen.
Eike Stedefeldt