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Hohenschönhausen!

Die Zahlen seien „gleichbleibend hoch“, faßt das Berliner schwule Antigewaltprojekt Maneo die Ergebnisse seines Jahresreports 2008 zusammen. Dies bleibe, so steht auf Seite 10, „für das soziale Klima in unserer Gesellschaft nicht ohne Folgen“. Den Bericht gelesen, nachgerechnet und sich gewundert hat einmal mehr Dirk Ruder

Da die gut 124 dem Antigewaltprojekt direkt gemeldeten Fälle, die Maneo im vergangenen Jahr eindeutig als solche mit schwulenfeindlichem Hintergrund einstufte, keine wirklich beiendrucktende Hausnummer sind, mit der sich bei Medien und Politik viel erreichen ließe, drehen die Verfasser des Jahresreports 2008 erst einmal richtig auf, bevor sie zum Kleingedruckten mit den Überfallstatistiken kommen. Genaugenommen nämlich sei jeder homosexuelle Mann ein Opfer antischwuler Gewalt. Für derlei Unfug genügt Maneo inzwischen schon ein ganz allgemeiner Hinweis auf „unsere Dunkelfelduntersuchungen“ und die eigene unprofessionelle Statistik. „Statistisch gesehen müssen wir davon ausgehen, daß jeder homosexuelle Mann bereits Diskriminierungserfahrungen oder auch Erfahrungen mit vorurteilsmotovierter Gewalt gegen Homosexuelle gemacht hat – als unmittelbarer Zeuge, Angehöriger Freund oder Bekannter. Derartige Erfahrungen bringen den Effekt mit sich, daß weite Teile der schwulen Szene hinsichtlich der Einschätzung der eigenen Sicherheit verunsichert bleiben, damit auf jeden weiteren Vorfall, der sich im eigenen Nahbereich ereignet, alarmiert reagieren. Nur so ist es zu verstehen, daß nach wiederholten Übergriffen gegen Homosexuelle in Berlin im Sommer 2008 mehrere Demonstrationen und Mahnwachen ... stattfanden, daß mit diesen Aktionen die schwulen und schwullesbischen Communities die Politik zum Handeln, vor allem zu mehr Schutzmaßnahmen vor homophoben Übergriffen aufgefordert haben.“

Die Forderung nach „mehr Schutzmaßnahmen“ darf nicht mißverstanden werden. Sie heißt nämlich bei Maneo immer nur eines: mehr Geld für Maneo. Dies wird direkt im Anschluß an den eben zitierten Passus im Jahresreport erneut deutlich. „Unser Projekt Maneo ist das Projekt in Berlin, das für Gewaltschutz und Präventionsarbeit in der schwulen Szene gefördert wird. In der Vergangenheit haben wir wiederholt beklagt, daß diese Förderung nicht ausreicht. Unsere bisherigen Bemühungen werden von der Berliner Polizei geschätzt. Es ist uns bisher verborgen geblieben, warum die Senatsverwaltung in bewährte Präventionsarbeit in den letzten Jahren nicht mehr investiert hat.“ (S. 10 f) Für diese „bewährte Präventionsarbeit“ läßt der Berliner Senat jährlich immerhin 60.000 Euro springen – mehr als für jedes andere Homoprojekt in der Hauptstadt. Doch dem Maneo-Leiter Bastian Finke entgeht nur selten eine Gelegenheit, diesen Betrag als lächerliche Summe zu geißeln, die im Prinzip keine vernünftige Arbeit ermögliche.

So heißt es beispielsweise in einer (möglicherweise von Finke selbst verfaßten) Maneo-Pressemitteilung vom 23. November des vergangenen Jahres über eine an den Tagen davor von der grünen Bundestagsfraktion veranstaltete Fachtagung zur Homophobie, der Maneo-Vertreter (d. h. Bastian Finke selbst) habe auf der Tagung „seiner Forderung nach deutlich verbesserten finanziellen Rahmenbedingungen“ Nachdruck verliehen. „Der Hinweis auf die bisherige Senatsförderung von Maneo durch die Berliner Verwaltung in Höhe von 60.000 Euro rief bei den Kongreßteilnehmern nur Kopfschütteln hervor, ist der genannte Betrag doch kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts der tatsächlichen Herausforderungen.“ Schließlich hätten doch, so zitiert Finke sich in der Pressemitteilung eventuell selbst, „in den vergangenen Monaten schwere homophobe Übergriffe vermehrt für Schlagzeilen gesorgt.“ Ein in die Pressemitteilung einmontiertes Foto von den Referenten der Konferenz zeigt Finke einträchtig neben Wolfgang Wieland, dem Sprecher für innere Sicherheit der grünen Bundesfraktion und dem Parlamentarischen Geschäftsführer Volker Beck sitzend. Beck und Finke kennen sich ohnehin von den Verbandstagen des Lesben und Schwulenverbands (LSVD), der soeben das in der Szene nicht ganz unumstrittene Bündnis gegen Homophobie gegründet hat und der das Thema immer wieder mit offener oder unterschwelliger Fremdenfeindlichkeit mit Staatsgeldern medial am kochen hält (Vgl. Pressemitteilung der Berliner Lesbenberatung; „Politik der Polarisierung“ auf Seite 25 dieses Gigi-Hefts).

Doch zurück zum dem knapp zwanzigseitigen Jahresreport, der, wie in bisher jedem Jahr, schon mit einem ausgiebigen Lamento über den Geldmangel beginnt: „Leider waren uns finanzielle Mittel, die wir aufgrund des gestiegenen Mehrbedarfs erneut Ende 2007 beantragt hatten, 2008 nicht bewilligt worden. Die Nachfrage an unser Projekt hat in den letzten Jahren konstant zugenommen ... Um den Erhalt und die Wirkungsbereiche unseres Projektes sicherzustellen, haben wir Einschnitte in allen unseren Projektbereichen vorgenommen.“ (S. 2) Dazu gehörte etwa „die Reduzierung unserer Arbeit ... Ziel war es, erst einmal unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter zu entlasten.“ – Um Geld zu sparen, schickte Maneo also die neun ehrenamtlichen Mitarbeiter nach Hause, die gar nicht bezahlt werden müssen? Richtig nachvollziehbar ist das nicht.

„Die Erreichbarkeit des Schwulen Überfalltelefons ... haben wir an Wochenenden auf eine rein telefonische Erreichbarkeit reduziert. Wir hatten auch erwogen, unsere Erreichbarkeit an Wochenenden völlig zu streichen. Die Reduzierung hat dazu beigetragen, daß ehrenamtliche Mitarbeiter stärker in die Fallbearbeitung eingezogen werden konnten.“ – Zwar sitzt jetzt am Wochenende niemand mehr im Büro, wenn zusammengedroschene Gewaltopfer vor der Türe stehen, dafür kann das Projekt nun „mehr Fälle“ bearbeiten.

Insgesamt wurden 2008 laut Bericht 887 Personen „beraten oder unterstützt“. Mit dieser Zahl nicht zu verwechseln sind die für das gleiche Jahr „fast ausschließlich durch Betroffene“ gemeldten insgesamt 386 Vorfälle antischwuler Gewalt. Von diesen konnten von Maneo – wegen Arbeitsüberbelastung? – nur 288 Fälle „bearbeitet und ausgewertet“ werden. (S  5) Von diesen 288 Fällen stufte das Projekt 154 Fälle (54 Prozent) in die Kategorie antischwule Gewalt (ASG) ein, davon 124 aus Berlin. Bei weiteren 67 Fällen (davon 61 aus Berlin), die statt der Betroffenen die Polizei an Maneo meldete, kann ein antischwuler Bezug weder bewiesen noch ausgeschlossen werden. Das heißt: bei knapp als einem Viertel aller Meldungen. „Die wenigen uns (von der Polizei – Gigi) weitergegebenen Eckinformationen lassen einen ASG-Bezug erkennen, reichen jedoch für eine eigene Bewertung nicht aus.“ (S. 12) Weitere Fälle betreffen häusliche Gewalt, vermutlich in schwulen Beziehungen (knapp für vier Prozent mit und ohne Berlin). Gut zehn Prozent aller 288 Meldungen betreffen Gewalt innerhalb der Homoszene ohne ASG-Bezug. Das heißt, bei diesen kam es zu Übergriffen durch Schwule auf Schwule, weshalb diese Fälle, wie auch schon diejenigen mit häuslicher Gewalt, nach der Logik von Maneo keine antischwule Gewalt darstellen. Weitere neun Prozent aller knapp dreihundert gemeldeten Fälle sind im Report nicht näher charakterisiert und tauchen in späteren Unterstatistiken nicht mehr auf.

Mit jeweils etwa einem Viertel machen die drei Bereiche Körperverletzung/gefährliche Körperverletzung, Nötigung/Bedrohung sowie einfache Beleidigung den Hauptteil der Deliktarten aus. Danach folgen mit um die 20 Prozent Raub und Diebstahl auf der Straße sowie Raub und Diebstahl in der Wohnung – Delikte, die Maneo nach wie vor zum Bereich antischwuler Gewalt zählt, auch dann wenn, wie meistens, kein entsprechender Bezug erkennbar ist. Aus der Statistik für 2008 ergibt sich erneut, daß mit die meisten Übergriffe (59 Fälle bzw. 31 Prozent) auf der Straße stattfanden. 20 Fälle (zehn Prozent) trugen sich in (!) einer schwulen Location zu oder richteten sich gegen eine solche. In knappem Abstand folgen als Tatorte jene vor der eigenen Wohnung oder in der Nachbarschaft (19 Fälle), in der eigenen Wohnung (16), in Parks, Waldgebieten oder Klappen (15) sowie in öffentlichen Verkehrsmitteln.

Nach Stadtteilen sortiert, ergibt sich demnach folgendes Bild: Rund 38 Prozent aller Übergriffe ereigneten ich am Maneo-Standort Schöneberg (71 Fälle), das als traditionelles Zentrum der Homoszene einen überragenden Spitzenwert aufweist. Weit dahinter aber etwa gleichauf mit jeweils um die 15 Prozent folgen Tiergarten (21 Fälle), Prenzlauer Berg (19) und Kreuzberg (17). Schon im hinteren Mittelfeld liegen Mitte (8) und Charlottenburg (7) sowie Neukölln mit 4 Fällen, bzw. zwei Prozent. In dieser Statistik hat Maneo allerdings die 124 Berliner Fälle mit definitivem und die von der Polizei gemeldeten 61 Berliner Fälle mit wahrscheinlich antischwulem Bezug zusammengerührt, woraus zumindest im Mittelfeld ein leicht verzerrtes Bild bei den Stadtteilen resultieren könnte. Dennoch: Es erweist sich erneut, daß antischwule Übergriffe nicht etwa mit dem Migrantenanteil des jeweiligen Stadtbezirks in Zusammenhang stehen, sondern vielmehr mit dem Vorhandensein einer schwulen Szene, einschließlich Cruisinggebieten. Am sichersten scheinen Schwule in Zehlendorf, Hohenschönhausen, Tempelhof und Wilmersdorf zu leben, wo sich überhaupt keine Übergriffe ereigneten.

Inzwischen hat Maneo kapiert, daß zumindest in den Jahresreports statistisch verbrämte Spekulationen über die mutmaßliche Herkunft von Tätern nicht mehr gelitten sind. Darum fragt das Projekt neuerdings die Opfer nach ihrer Herkunft – allerdings ohne diese dann genauer aufzuschlüsseln. So, als sei es gar kein Unterschied, ob jemand gebürtig aus Nordamerika, Afrika oder vielleicht Asien kommt. „Der Anteil der Betroffenen nicht-deutscher Herkunft beträgt 20 % aller gemeldeten Fälle“, teilt der Report mit. (S. 6) Das ist nun wirklich ein geradezu kabarettreifes Manöver, das dummerweise nach nunmehr fast zwanzig Jahren Antigewaltarbeit in Berlin erst recht die an Besessenheit grenzende Akribie von Maneo unterstreicht, zwischen arisch und nicht-arisch unterscheiden zu wollen. Indes nimmt Maneo bekanntlich seit Bestehen nur ungern Ratschläge seiner zahlreicher werdenden Kritiker an, weshalb der Quatsch wohl die nächsten zwanzig Jahre in den Berichten auftauchen dürfte. Das Lob dafür muß das Projekt sich indes bis auf weiteres selbst in seine Berichte schreiben: „Maneo hat sich nicht nur in Berlin, sondern auch in Deutschland, mittlerweile auch international einen hervorragenden Ruf als erfolgreiches Projekt verdient. Entsprechend nehmen Anfragen auch aus dem Ausland zu.“.