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Leave you wife and lift my legs


Die Schwulenballaden der kanadischen Band „The Hidden Cameras“ erfreuen seit Jahren ein unangepaßtes Publikum. Romantische Songs über glücklich verhinderte Homo-Ehen, über zu lange Nächte in Darkrooms und neugierige Finger in fremden Löchern haben der Gruppe mittlerweile zu Kultstatus in ganz Nordamerika verholfen: Mit Harfenklängen, Glockenspiel und sentimentalen Lyrics über altes Sperma kämpft die etwa 14köpfige Formation aus Toronto gegen Paarungszwang und Religion. Am 28. Mai gastierte die Band in Köln. Mit Joel Gibb, Gründer der Gruppe, sprach Dirk Ruder

Ihr bezeichnet Eure Musik als „gay church folk music“. Zum Konzertbeginn schreitet Ihr wie eine christliche Singegruppe musizierend auf die Bühne. Ihr wart doch wohl nicht beim Berliner Kirchentag?

Nein, wir touren gerade durch Europa und waren vor allem in England unterwegs. Daneben gab’s Konzerte in Frankreich, Irland und den Niederlanden. Im Kölner „Underground“ spielten wir vor knapp dreißig Leuten unser einziges Deutschland-Konzert.

Ein Konzert mit schmutzigen Balladen über schwule Happiness. In einem Song beschreibst du Homoglück als den seeligen Geruch von altem Sperma auf der Bettdecke. Und in der Anfang Juni für Deutschland ausgekoppelten Single „A Miracle“ reflektiert Ihr das Gerede religiöser Kreise über AIDS als Gottesstrafe für Homosexuelle auf sehr sentimentale Weise. Die „Süddeutsche Zeitung“ ist noch unentschieden, was das alles soll ...

„Gay“ kann im Englischen sowohl schwul als auch fröhlich bedeuten, und so ist es von uns auch gemeint. „Church“ bezieht sich nicht auf die Kirche, sondern auf die charakteristische Gospel-Tradition unserer Musik.

In Euren Songs pinkeln sich verliebte Männer schon mal unter der Dusche ins Gesicht oder vereiteln die eigene Homo-Hochzeit durch zu lange Nächte in dämmrigen Bumsschuppen. Ist das das Bild vom schwulen Mann, das unsere wackeren Homofunktionäre in der Öffentlichkeit propagiert sehen wollen?

Wohl kaum. Die Homo-Szene reagiert auf Kritik genauso empfindlich wie die Kirche. Diese sogenannte schwule Kultur ist ja sehr dem Mainstream und der Anpassung verpflichtet. Sie ist inhaltlich beschränkt und sie unterdrückt unangepaßte Lebensentwürfe ebenso wie die Mainstream-Kultur insgesamt es tut, deswegen ist sie zu kritisieren und abzulehnen. Homosexuelle Jugendliche sollten mehr Möglichkeiten haben, sich selbst zu finden, als den nur netten und adretten Homo aus der TV-Soap. Es gibt schließlich noch etwas anderes im Leben als Lifestyle und tolle Frisuren.

Der Bandname ist keine Anspielung auf die im Fernsehen nicht totzukriegenden Streiche mit der versteckten Kamera?

Keineswegs. Der Name kam mir beim Lesen eines Buches über staatliche Repressions- und Kontrollstrategien. Da gibt es ja eine ganze Menge, aber eine wichtige dieser Strategien ist die elektronische Überwachung, etwa durch versteckte Kameras an öffentlichen oder weniger öffentlichen Orten. Deshalb: The Hidden Cameras.

Wie reagiert die Szene auf Musik, die nicht nur gefallen und gefällig sein will?

Hm. In der Homo-Szene hört man Independent-Pop nicht so sehr, auch rockigere Sachen mit Gitarre sind dort nicht unbedingt angesagt. Insofern geht es darum, die Definition dessen auszuweiten, was „gay music“ ist oder sein könnte. Aber in erster Linie machen wir einfach Musik, und die muß nicht notwendigerweise als „gay“ konstruiert werden. Natürlich geht’s in den Texten vor allem ums Schwulsein, es gibt keinen Grund, das zu verstecken. Wir sind es nun mal.

Wer auf die Texte nicht achtet, fühlt sich unversehens weniger in eine Homo-Disco als in einen Jugendgottesdienst verirrt. Ein gerissener Versuch, junge Menschen mit flotter Musik vor den sexuell desaströsen Folgen kirchlicher Sommerlager zu bewahren?

Wenigstens ist das nicht unsere Hauptintention. Natürlich denke ich als Songschreiber darüber nach, was die Songs sollen. Die Musik klingt fröhlich, die Struktur ist einfach. Ja, es gibt bei meinen Liedern zwischen Form und Inhalt einen Gegensatz, aber der ist gerade das Spannende. Ich komme aus einer Baptistenfamilie und bin mit solcher Musik groß geworden, bei der man einfach mitsingen will. Die Texte nimmt man erst später wirklich wahr, und die fordern dann vielleicht zum Nachdenken heraus. Das ist durchaus okay.

Die im Februar vorab aus Eurem Album „The Smell of Your Own“ ausgekoppelte Hymne „Ban Marriage“ ist mehr als eine ironische Absage an die Homo-Ehe ...

Eigentlich bin ich Romantiker und da sollte es keine Ironie geben. Es gibt natürlich Songs, wie „Ban Marriage“, die ironisch sind. Auch bei uns in Kanada wird das Thema Homo-Ehe kräftig debattiert, auch in den landesweiten Medien. Es sind jedoch vor allem schwule Rechtsanwälte, die entsprechende Gesetze fordern: Die Homo-Ehe fördert eine und nutzt einer bestimmten gesellschaftlichen Klasse. Es geht diesen Leuten um Privilegien in diesem System und darauf reagiert das Lied mit ironischen Mitteln.

Das von Euch besungene Homopaar scheitert an der Kluft zwischen schwuler Ehe-Propaganda und gelebtem schwulen Alltag. Am Ende siegt die Vernunft und die Hochzeit fällt wohl aus ...

Ich meine, man sollte das Konzept der Ehe und die Strukturen der Ehe insgesamt hinterfragen und mal genauer hinsehen, was Ehe in der bestehenden Gesellschaft bedeutet. Bei den Gesetzen zur Einführung der Homo-Ehe geht es ja nicht um die Stärkung der Menschenrechte, obwohl das von bürgerlichen Homofunktionären immer gesagt wird. Der Song wendet sich aber auch gegen Paarbeziehungen allgemein. Ich meine damit nicht gegen Liebe oder gegen das Verliebtsein, sondern gegen die Idee, Kompromisse beim eigenen Ich zu machen, um mit jemand anderem eins zu werden. Es wendet sich gegen die komische Idee der Verschmelzung in der Partnerschaft und plädiert für Individualität.

Gibt es noch eine Schwulenbewegung in Kanada, die politisch zu nennen wäre?

Nein, nicht mehr. Das, was es gibt, ist angepaßt und unpolitisch. Deshalb mag ich die Schwulenbewegung der 60er und 70er Jahre so sehr, denn diese Bewegung hatte tatsächlich eine Bedeutung. Sie war politisch und sie war gefährlich. Die meisten glauben ja, so sei es immer noch, weil man schließlich in der Tradition dieser Bewegung stehe. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Es geht heute nur darum, Bier an schwule Männer zu verkaufen. Die weltweiten Schwulenparaden im Sommer sind keine Demonstrationen mehr, sondern PR-Kampagnen zur Bewerbung von Schönheitsprodukten, der Markt muß eben bedient werden. Deswegen interessiert mich dieser ganze bürgerliche Homo-Kram eigentlich nicht.