Start

Heiße Schokolade

Während antifeministische Männerrechtsorganisationen die hohe Herrenquote in den Knästen der männerfeindlichen Justiz anlasten, geht die Konkurrenz, konkret: das feministisch-linksradikale Frauenbündnis re.ACTion, einen Schritt weiter: „Antisexismus_reloaded. Zum Umgang mit sexualisierter Gewalt – ein Handbuch für die antisexistische Praxis“ heißt die Publikation, in der kreative Strategien vorgeschlagen werden, wie man männliche Sexualdelinquenten aktiv vor dem Apparat des Rechtsstaates bewahrt. Von Olaf Apel

Frauen „aus den verschiedenen Bereichen radikal linker Politik“ – so die Selbstidentifikation der Autorinnen – haben es offenbar schwer: Sie werden von Männern unterdrückt und manchmal auch vergewaltigt, können aber nicht zur Polizei gehen, die ja Teil des repressiven Staatsapparates ist. Das ist natürlich dumm, denn die Klienten der Justiz sind in der Tat zumeist Männer. Folglich dient der Rechtsapparat in erste Linie der Kontrolle männlichen Verhaltens, ist also im Regelfall das Instrument der Wahl, um allzusehr über die Stränge schlagende männliche Dissozialität im Zaum zu halten.

In erster Linie geht es dem Autorinnenkollektiv allerdings nicht um die Männer, sondern um die Definitionsmacht der Frauen: Berichtet eine Frau, daß sie vergewaltigt oder sexuell belästigt wurde, so ist ihre Schilderung des Geschehens als allein gültige Version zu akzeptieren und ihr unbedingt zu glauben, um sich zum einen nicht patriarchalen Täterschutzes schuldig zu machen und zum anderen das Opfer durch etwaigen Zweifel oder gar Unglauben nicht zu retraumatisieren. Auch entsprechende Sanktionen gegen den Täter können vom Opfer ausgesprochen werden. Dazu kann gehören, daß dem Täter verboten wird, sich an bestimmten Orten aufzuhalten oder seine Täterschaft öffentlich gemacht wird, der Täter als „Vergewaltiger geoutet [sic]“ wird.

Das, was die Autorinnengruppe mit leicht innovativem Touch in Handbuchform präsentiert, stammt, wie man sich denken kann, aus der Mottenkiste des Anti-Sex-Feminismus, nach dessen Doktrin sensu Dworkin, McKinnon & Co. die Grenzen zwischen Sex und Vergewaltigung so unscharf umrissen sind, daß letzten Endes beides im Grunde identisch ist. Unterdessen sind auch die Unterschiede zwischen der herrschenden Politik und der in dem Buch vorgeschlagenen Mikropolitik im linksradikalen Ghetto geringer, als es den Autorinnen vielleicht lieb wäre.

Im wesentlichen schlagen die Autorinnen tatsächlich nicht viel anderes vor als von Vater Staat bekannt ist. Von Kontrolle, Sanktion und Sicherheit vor Übergriffen ist da die Rede. Es gehe indessen „nicht um die Kontrolle des Täters als Gesamtperson, sondern nur im Zusammenhang mit seiner Tat“, wird man schlau gemacht und fühlt sich sehr erinnert an die „Maßregeln zur Besserung und Sicherung“, die der Gesetzgeber jenseits des Strafens für gefährliche Straftäter bereithält. Es sei „wichtig, dafür Sorge zu tragen, daß keine weiteren Grenzverletzungen durch den Täter verübt werden – sowohl der Betroffenen, als auch potentiellen weiteren Betroffenen gegenüber“. (Werden auch Gutachten zur Gefährlichkeitsprognose erstellt?)

Damit liegt das Autorinnenkollektiv trotz allen Links-Geunkes ganz im Trend der gegenwärtigen politischen Großwetterlage, die beispielsweise immer neue Gesetze zur Verschärfung der Sicherungsverwahrung zur Folge hat, so daß mittlerweile auch Jugendliche im Extremfall auf Dauer weggesperrt werden können. Daneben kommt auch in Analogie die psychiatrische Maßregelung der Täter nicht zu kurz: Eine mögliche Forderung an den Täter kann sein, „eine Therapie zu beginnen“. Freilich wird dieser ambulante Maßregelvollzug nur in Betracht gezogen, wenn die betroffene Frau es anordnet – und in praxi sicherlich nur dann, wenn sich ein Therapeut oder eine Therapeutin findet, die unfreiwillige Klienten zu schätzen weiß. Auch für die Opfer gibt es gegebenenfalls eine Therapie: „Eine professionelle Therapie ist oft ... sinnvoll, um mit dem Geschehenen umzugehen.“ Man könnte einwenden: Vielleicht ist es für das Opfer eines Gewaltverbrechens sinnvoll zu wissen, daß der Täter zur Rechenschaft gezogen wird. Eine Psychologisierung der Opferrolle ist dann eher unangebracht.

Auch der Begriff der Definitionsmacht ist in dem Pamphlet suspekt und mutet recht totalitär an. Es geht um bedingungslose Solidarität mit dem Opfer. Alte Rechtsgrundsätze, namentlich das bewährte audiatur et altera pars, wonach auch die andere Seite zur Sprache kommen soll, wird als eine Art gefühlsduseliges Streben nach Gerechtigkeit abgekanzelt: Daß zuweilen „die Definitionsmacht der Frau nicht akzeptiert wird“, führen die Autorinnen darauf zurück, daß es „in den Köpfen ein Ideal von einer ‘gerechten Rechts[!]sprechung‘ gibt“. „Von daher widerstrebt ihnen [den Köpfen] eine unangezweifelte Parteilichkeit mit den Betroffenen.“ Der leiseste Zweifel ist unangebracht, denn „Objektivität ist NIE möglich“.

Mit dem Überbordwerfen der Objektivität verschwindet indessen auch das Verbrechen als soziale und gesellschaftliche Realität. Objektivierung könnte in diesem Zusammenhang bedeuten, daß aufgrund der möglichst weitgehenden transparenten Darlegung des Tatgeschehens, dessen Unrecht auch Unbeteiligten gegenüber klar wird durch Einsicht in die Struktur der Interaktion von Täter und Opfer – und nicht etwa durch einen unreflektierten bedingungslosen Gehorsam gegenüber einer der beiden Parteien. Die Bedeutung der sozialen Verurteilung eines geschehenen Unrechts wird durch alleinige Festlegung auf die subjektive Sichtweise des Opfers nicht vergrößert, sondern geschmälert und könnte gegenüber Dritten etwa zur Folge haben, daß die Vergewaltigung im Extremfall nur als Phantasie der Frau abgetan wird. Eine Möglichkeit der Objektivierung der Subjektivität muß in der besagten Denkart jedoch ausbleiben, da per definitionem je bereits die schiere Existenz von Objektivität ausgeschlossen wird. Vergewaltigung wird, wenn man den Ansatz konsequent weiterdenkt, zu einer rein subjektiven Kategorie.

Der Rückzug auf das Subjektive zieht ferner eine besondere Schwammigkeit der Gewaltdefinition nach sich: „Auch bedeutet Vergewaltigung nicht zwangsweise, daß physische Gewalt ausgeübt wurde. Mögliche Benennungen wären: Vergewaltigung, Belästigung (auch verbal durch Beschimpfungen oder zudringliches, indiskretes Ausfragen), Begrapschen, versuchte Vergewaltigung“ etc. Sind Männer also auch dann Vergewaltiger oder Quasi-Vergewaltiger, wenn sie nicht vorsätzlich handeln oder schlichtweg die Regeln der Etikette nicht einhalten? Derartige Unschärfen erscheinen, als müßten Frauen wie unmündige Kinder behandelt werden, die in jedem Fall vor negativen Einflüssen bewahrt werden müssen. Bereits auf dem Titelbild entblödet sich re.ACTion nicht, Frauen zu infantilisieren. Dort findet sich der programmatische Spruch „Mein Körper gehört mir“, der eigentlich aus der Kindesmißbrauchsprävention stammt und dessen Wahrheit bei erwachsenen Männern wie Frauen ohnehin nicht in Frage steht.

Zum Schmunzeln kommt man auch bei den Vorschlägen, wie man sich gesprächsführungstechnisch mit dem Opfer am besten auseinandersetzt. Ein unschätzbar wertvoller Tip: „Entspannungsübungen, heiße Schokolade oder Fragen zu den jeweils emotionalen Befindlichkeiten können helfen, das Ganze zu einem Abschluß zu bringen“.

In den Gesprächen mit dem Täter wird indessen kein Gebäck gereicht: Einerseits soll dieser zwar „möglichst offen sprechen können und sollte sich nicht bedroht fühlen“. Andererseits wird von vornherein klargestellt, daß er prinzipiell nichts zu sagen hat, und das Ganze mehr eine Art Schauprozeß mit Beichtstuhlatmosphäre zu sein hat: „Deutlich werden sollte, daß ein Gespräch nicht darum geführt wird, damit er seine Version der Tat genauer darlegen kann, um sich dadurch zu rechtfertigen.“ Nicht gerade eine unbedrohliche Situation.

Mystifizierend und nahezu bar aller psychologischen Sachkenntnis wird auch über das Verhältnis von Traumatisierung, posttraumatischen Belastungen, „Triggern“ und Flashbacks gesprochen. Es wird eindringlich gewarnt, im Zustand labiler Emotionalität die im Anhang genannte Literatur durchzuarbeiten, denn diese könne „Auslöser, sogenannte Trigger enthalten“, welche unangenehme Erinnerungen an das Delikt wachrufen und so zu schweren Retraumatisierungen führen können.

Summa summarum greift hier die Kritik der britischen Juristin Sara Hinchcliffe, die Professorin an der University of Sussex ist und Vorsitzende von Feminists for Justice. Hinchcliffes Kritik richtet sich eigentlich gegen verbrechensparanoide Umstrukturierungen des Rechtswesens in Großbritannien, trifft aber trotz ihres anarchistischen Anspruchs auch bei den Ideen des Autorinnenkollektivs ins Schwarze: „Die steigende Anzahl von Spezialmaßnahmen, die angewandt werden, um Vergewaltigungsverbrechen zu verfolgen, unterstützt die Sichtweise, daß Vergewaltigung ein ganz besonderes Verbrechen sei und Vergewaltigungsopfer das Trauma und die Schande niemals überwinden können.“

Man kann schließen mit einem Satz aus dem Buch: „Sexualisierte Gewalt ist ein Thema, das häufig von Mythen und falschen Vorstellungen begleitet ist.“

 

re.ACTion, Readergruppe für emanzipatorische Aktion: Antisexismus_reloaded. UNRAST-Verlag, Münster 2007. 80 Seiten, 5,00 Euro