Die
radikalste aller Frauen
Im
September gibt es zu Ehren der Schriftstellerin, radikalen Frauenrechtlerin
und Pazifistin Hedwig Dohm eine Reihe von Veranstaltungen in Berlin: Auf einstimmigen
Beschluß der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg
wird am 21.iSeptember eine Straße am neuen Fernbahnhof Südkreuz
nach ihr benannt, tags darauf auf dem Schöneberger Alten St.-Matthäus-Kirchhof
ein Gedenkstein für sie enthüllt, den der Journalistinnenbund anfertigen
ließ, und im Rathaus Schöneberg unter der Schirmherrschaft des
Kultur- und Bildungsstadtrats sowie Stellvertretenden Bezirksbürgermeisters
Dieter Hapel in diversen Vorträgen ihre Bedeutung für die Emanzipation
und Gleichberechtigung der Frau gewürdigt. An Hedwig Dohm erinnert Reingard Jäkl
Im vergangenen Jahr wurde
Hedwig Dohms 175. Geburtstag begangen überregional gefeiert. In
ihrer Heimatstadt und Wirkungsstätte Berlin wäre dieses Jubiläum
an der Öffentlichkeit recht unbemerkt vorbeigezogen, wenn nicht der trafo-Verlag
als Geburtstagsgeschenk ein großes Vorhaben gestartet hätte: die
erste Gesamtausgabe der Werke Hedwig Dohms, herausgegeben von Nikola Müller
und Isabel Rohner. Pünktlich zur 175-Jahr-Feier erstellten sie einen
Vorausband ausgewählter Texte, die in den angesagtesten Zeitschriften,
die das politische und kulturelle Berlin zum Ende des 19. und dem beginnenden
20. Jahrhundert zu bieten hatte, erschienen sind.
Darunter sind so illustre wie Minna Cauers Die Frauenbewegung, das
Sprachrohr des linken, radikalen Flügels der Frauenbewegung, Maximilian
Hardens erfolgreiche Zeitschrift Die Zukunft, die das böse
Gewissen seiner Zeit genannt wurde. Oder Franz Pfemferts Die Aktion,
die eines der wichtigsten expressionistischen Blätter war und gegen den
nationalistischen, kapitalistischen und militaristischen wilhelminischen Obrigkeitsstaat
anschrieb. Hierin veröffentlichte Hedwig Dohm ihre pazifistischen Artikel.
Die Herausgeberinnen haben
eine Textauswahl vorgelegt, die eine verblüffende Aktualität aufzeigt,
wie zum Beispiel den im Jahre 1900 erschienenen Artikel Sind Berufstätigkeit
und Mutterpflichten vereinbar? Hedwig Dohm beantwortet die Frage mit
einem bedingungslosen Ja. Frauen auf Mutterschaft zu reduzieren
sei bequem für Ehemänner, die sich das Privileg, eine Hausfrau zu
haben, die sich um alles kümmert, erhalten wollen. Prompt wird ihr dann
unterstellt, sie fordere Mutterschaft und Berufsausübung als obligatorisch
für die Frauen. Kommt uns das nicht bekannt vor? Wer in den letzten
Monaten, die Tagespresse verfolgte, muß leider feststellen, daß
in dieser Frage heute immer noch mit ähnlichen Unterstellungen argumentiert
wird. Der Vorausband der Gesamtausgabe macht jedenfalls Appetit auf
die folgenden Bände.
Aufmerksamen BeobachterInnen
ist bereits die im Jahr 2000, ebenfalls bei trafo erschienene kommentierte
Bibliographie zu Hedwig Dohms Werk von Nikola Müller aufgefallen. In
diesem Band sind alle Werke verzeichnet: neben den politischen Monographien
auch die Beiträge in Sammelwerken, Zeitschriften und Zeitungen sowie
die zahlreichen Romane, Novellen und Theaterstücke. Hedwig Dohm war eine
anerkannte und erfolgreiche Autorin. Besonders spannend: die Texte von ZeitgenossInnen
über Dohm. Das Buch ist ein Schatzkästlein für alle, die sich
für Feminismus und seine Geschichte interessieren.
Zur Biographie
Hedwig Dohm wird als elftes
von 18 Kindern am 20. September 1831 geboren. Ihre Eltern heiraten, wahrscheinlich
aus Standesgründen, erst nach der Geburt des zehnten Kindes. Die Mutter,
Wilhelmine Henriette Jülich, ist selbst unehelich geboren worden und
wahrscheinlich die Tochter eines französischen Soldaten. Der Vater, Gustav
Adolph Gotthold Schlesinger, ein jüdischer Tabakfabrikant, der 1817 zum
Protestantismus konvertierte, läßt im Jahr 1851 seinen Namen in
Schleh ändern.
Hedwig Dohm bekommt so gut wie keine Schulausbildung. Wie alle Mädchen
jener Zeit hat sie viel Arbeit im Haushalt zu verrichten. Das Verhältnis
zu ihrer Mutter ist sehr schlecht und die zu verrichtenden Handarbeiten erfüllen
sie mit großer Langeweile. Bis dieses eintönige Leben jäh
unterbrochen wird. Im März 1848 erlebt Hedwig Dohm als 17-Jährige
die Bürgerliche Revolution vor der Haustür. Heimlich stiehlt sie
sich zu Versammlungen der Demokraten.
1852 heiratet sie mit
21 Jahren den zwölf Jahre älteren Ernst Dohm. Er ist, wie ihr Vater,
assimilierter Jude. Er arbeitet als Redakteur und Übersetzer und ist
einer der Herausgeber der satirischen Zeitschrift Kladderadatsch, des bürgerlichen
Sprachrohrs der Märzrevolution. Durch die Ehe bekommt Hedwig Zugang zu
völlig neuen gesellschaftlichen Kreisen. Im berühmten Salon der
Dohms treffen sich Künstler, Wissenschaftler und Politiker. Sie bekommt
hintereinander fünf Kinder: vier Töchter und einen Sohn, der jedoch
im Kindesalter stirbt. Die älteste Tochter Hedwig wird Alfred Pringsheim,
deren Tochter Katia Thomas Mann heiraten. Damit wird Hedwig Dohm zur Großmutter
von Katia und Thomas Mann.
Das Leben der Familie
ist zwar abwechslungsreich, aber in finanzieller Hinsicht eine Katastrophe.
1869 muß Ernst Dohm sogar vor der Schuldhaft nach Weimar fliehen. Die
prekäre Lage ändert sich im Jahr 1870. Ernst Dohm wird Teilhaber
am Kladderadatsch und damit seine Geldsorgen dauerhaft los.
Der Frauenbewegung
immer einen Schritt voraus
Die Literatur, auch die
feministische, vermittelt von Hedwig Dohm das Bild der zurückgezogenen
Frau, die zwar radikal in ihren Schriften war, aber scheu, was öffentliches
Engagement und öffentliche Auftritte betrifft. Dieses Bild entstand vor
allem dadurch, daß sie der Frauenbewegung immer einen Schritt voraus
war.
Ihre politischen Schriften stoßen in den 1870er Jahren bei einer sehr
auf Anerkennung bedachten bürgerlichen Frauenbewegung auf wenig Begeisterung.
Hedwig Dohm ist einfach zu radikal. Für sie wiederum bieten die gemäßigten
Forderungen dieser Frauenbewegung wenig Anlaß, sich in ihren Organisationen
zu engagieren.
So kommt gerade von Frauen heftigste Kritik, als sie im Jahre 1873 in dem
Buch Der Jesuitismus im Hausstande das Hausfrauenideal als Ideologie
entlarvt und die satte Selbstgefälligkeit der bürgerlichen Hausfrau
verspottet. In dieser Schrift fordert sie bereits das Stimmrecht für
Frauen. Niemand, weder eine Partei noch engagierte Frauen, hatte diese Forderung
bisher erhoben. Das Stimmrecht ist aber für Hedwig Dohm die Grundvoraussetzung
für die Emanzipation und Gleichstellung der Frau. Große Teile der
bürgerlichen Frauenbewegung sehen das gerade umgekehrt. Die Frauen müßten
sich zuerst Bildung aneignen und sich bewähren, dann würden sie
das Stimmrecht bekommen. Dohms Forderungen halten sie für völlig
überzogen.
Erst den Organisationen
des radikalen Flügels der Frauenbewegung in den späten 1880er Jahren
kann sich Hedwig Dohm anschließen. 1889 tritt sie in Minna Cauers radikalen
Verein Frauenwohl ein und übt drei Jahre lang das Amt der
Beisitzerin aus. 1905 schließt sie sich dem radikalsten Verein des radikalen
Flügels der Frauenbewegung an, Helene Stöckers Bund für
Mutterschutz und Sexualreform (BfMS). Der Verein richtet Heime für
unverheiratete Mütter sowie Ehe- und Sexualberatungsstellen ein. Er fordert
unter anderem die Gleichbehandlung lediger und verheirateter Mütter,
Sexualaufklärung, freien Zugang zu Verhütungsmitteln und die Abschaffung
des § 218. Seine praktische Arbeit gründet sich auf die von Stöcker
entwickelte sexualreformerische Bewegung Neue Ethik. In der Öffentlichkeit
steht der BfMS im Verdacht der Staatsgefährdung und wird
von der gemäßigten wie der konfessionellen Frauenbewegung angefeindet,
weil er angeblich die Unsittlichkeit fördere und die Heiligkeit
der Ehe angreife. Es darf allerdings nicht unerwähnt bleiben, daß
in Teilen des BfMS auch der Boden für rassenhygienische Theorien
bereitet wird.
Hedwig Dohm lebt seit
dem Tode ihres Mannes im Jahr 1883 im Haus der Familie ihrer zweitältesten
Tochter in der Berliner Tiergartenstraße. Dort hat sie eine eigene kleine
Wohnung im Dachgeschoß, die sie ihr Krähwinkel nennt.
Die technikbegeisterte Frau läßt sich einen Fahrstuhl einbauen
und veranstaltet regelmäßig einen jour, bei dem sich
die künstlerische und politische Elite der Stadt trifft. So bleibt sie
bis zu ihrem Tode aktiv. Ihr letzter Artikel Auf dem Sterbebett
erscheint sechs Tage nach ihrem Tod in der Vossischen Zeitung.
Am 4. Juni 1919 wird die Asche von Hedwig Dohm auf dem Friedhof der Matthäusgemeinde in Berlin-Schöneberg beigesetzt, dem heutigen Alten St.-Matthäus-Kirchhof.
Termine
Die feierliche Enthüllung des Gedenksteins für Hedwig Dohm findet
statt am 21. September um 13.30 Uhr auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof,
Großgörschenstraße 12-14, Berlin-Schöneberg. Weitere
Infos www.journalistinnenbund.de
Die Edition Hedwig Dohm erscheint im trafo verlag Berlin (www. trafoberlin.de). Die Herausgeberinnen der Gesamtausgabe, Nikola Müller und Isabel Rohner, werden bei der Gedenkveranstaltung am 22. September ab 15.30 Uhr im Rathaus Schöneberg (John-F.-Kennedy-Platz, Raum 1110) anwesend sein, ebenso eine Delegation der Berliner Hedwig-Dohm-Oberschule.