Georgette
und ihre Freier
Nicht
nur der Erfolg dürfte ihr auf dem Höhepunkt ihrer Karriere vor gut
zehn Jahren zu Kopf gestiegen sein: Mystisch Klassisch
Muschjisch (1995): Das waren noch Zeiten, als Georgette Dee in Piano-Begleitung
Terry Trucks auf Kleinkunstbühnen eine Diseuse gab, die sich an den Rand
des Komas soff. Eines Tags sagte das Pommernkind dem Vernehmen oder der Legende
nach Metropole und Pianist adé. Doch selbst auf dem Lande fallen Lebenshaltungskosten
an. So kam es womöglich zu dem Versuch eines Comebacks.
Mehrere hundert kulturell
Ausgehungerte versumpften am 20. Mai gemeinsam mit einem Kontrabaß-
und einem Akkordeonspieler im geistigen Labyrhint der singenden Kampftrinkerin.
Ort des Geschehens: Das Tipi-Zelt am Kanzleramt. Thema: Wiederaufnahme des
Programms Neben mir: Ich wie nett! Dauer der Darbietung:
zu lang. Schon nach dem ersten Stück, der Marlene-Dietrich-Reminiszenz
Wenn ich mir was wünschen dürfte: Wortfindungsstörungen.
Und danach: drei Stunden verzweifeltes Ringen um klare Aphorismen. Das Publikum:
dankbar. Die Künstlerin auch: Eine nicht enden wollende Zugabe nicht
nur für ihre Busenfreundin aus besserem Hause, Waltraud,
sondern auch für Klaus. Nachname: Wowereit, quasi in persona
das am selben Tag verabschiedete Wahlprogramm der Hauptstadt-SPD für
die Abgeordnetenhauswahl im September an einem Tisch der höchsten Preiskategorie.
Kritische Texte der Dee brauchte Klaus nach diesem anstrengenden Tag nicht
zu fürchten. Und wenn er sich nicht um die Verwaltung der von seiner
Partei mit herbeigeführten Schulden-Milliarden kümmert, versucht
er sich nebenbei auch noch als ehrenwerte Figur des öffentlichen Lebens:
Als Schirmherr einer Anti-Sexarbeit-Kampagne von Ban Ying e.V., so die aktuelle
Ausgabe der Prostituierten-Zeitung La Muchacha, empfahl er sich ebenso als
verantwortlicher Freier, der auf Sex mit Zwangsprostituierten
verzichtet, wie seine Parteigenossen Harald Wolf (PDS-Frauensenator) und Ehrhart
Körting (SPD-Innensenator).
Alles in allem wars
wohl ein unterhaltsamer Abend: Mit Alkohol und Nikotin raffte sie das Publikum
dahin; eine gelungene Mischung aus Ernst und Komik. Auch ihre Patzer bekam
sie so gekonnt in den Griff, daß man denken konnte, sie seien gewollt
gewesen und gehörten dazu. Eine aus Sicht mancher Anwesender gelungene
Show mit gewissem Charme und Humor.
Ortwin Passon/Hans Sikora