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Mist-Consulting


Im Zuge des Wandels von offener Repression zu repressiver Toleranz in den Industriestaaten geriet in den letzten Dekaden das Profitpotential von Schwulen und Lesben ins Blickfeld zunächst des Klein-, zunehmend aber des Großkapitals. Nachdem die Regierungen die politischen Voraussetzungen dafür geschaffen haben, suchten und fanden Konzerne betriebswirtschaftliche Tricks, um eklige Perverse zu willigen Kunden mutieren zu lassen. Gay Marketing heißt das hübsche Konzept, das die per Diversity Management in der Sphäre der Produktion optimierte Ausbeutung in jene von Distribution, Zirkulation und Konsumtion verlängert. Eine Bibel für heterosexuelle BWLer zum Thema Abzocken von Homos las Eike Stedefeldt

Schon zu Beginn wird klar“, erkennt Peter Stepanek in den Lambda Nachrichten (2/2003) ganz richtig, „daß dieses Fachbuch vorrangig nicht für Schwule und Lesben selbst geschrieben worden ist“, um dann zu offenbaren, daß ihm das Wesentliche entgangen ist: „sondern daß man sich bemüht hat, die Thematik auch heterosexuellen Marketingverantwortlichen näherzubringen.“ Denn genau für letztere haben Michael Stuber und Andrea Iltgen ihr Buch „Gay Marketing“ verfaßt, dessen Untertitel „Von der neuen Offenheit profitieren“ doppelt in die Irre führt: Profitieren sollen von einer fragwürdigen „neuen Offenheit“ gegenüber alternativen Lebensformen keinesfalls jene, die das Autorenduo unter „gay“ subsummiert. Das Werk ist erkennbar auf die kommerziellen Bedürfnisse von Großunternehmen zugeschnitten – und auf die Auftragsakquise der Kölner Firma mi.st [ consulting. Deren Inhaber ist Michael (mi) Stuber (st) persönlich, und das selbstreferentielle Buch – Stuber/Iltgen zitieren permanent eigene Studien – somit eine Werbeschrift pro domo.

Schon der Agenturname und seine Schreibweise signalisieren zweifelhafte Seriosität: Popkultureller Trash soll für gewöhnlich Modernität suggerieren, tarnt hier aber nur eine erstaunliche betriebswirtschaftliche Beschränktheit, zu der eine penetrante Flut von Gay-Konstrukten paßt wie Gay-Events, gay-friendly, Gay-Kommunikation, Gay-Markt, Gay-Medien, Gay-Projekt, Gay-Segment, Gay-Szene, Gay-Symbol, Gay-Vertrieb, Gay-Zielgruppe. Daß die Verfasser von wirtschaftswissenschaftlichen Kategorien unbeleckt sind, erst recht von Politischer Ökonomie – u.a. wird der Terminus „Mehrwert“ durchweg mit „Gebrauchswert“ verwechselt und im Sinne von „erhöhter Nutzen“ eingesetzt –, kann ein idiotischer Anglizismenschwall schwerlich übertünchen. Da wird „below the line“ kommuniziert, agieren „First Mover“ und „Early Adopters“, erreichen „Big Player“ den „Break Even“ oder registrieren „Cashflows“; da weisen „Power Brands“ ein „positives Brand-Attribut“ auf, macht man am POS („Point Of Sale“) kein Geschäft, sondern ein „Trade-off“ mit Produkten, die statt Gebrauchseigenschaften „Features“ aufweisen, und erlangt Kundenzugang nicht über die Erkenntnis ihrer Aktivitäten, Interessen, Meinungen und Werte, sondern nutzt den „AIOV-Approach (activities, interests, opinions, values)“, um nicht die Reaktion des Kunden abzuwarten, sondern dessen „Response“.

Das Geklingel setzt sich fort in dem, was die Autoren für Deutsch halten. So muß der „Kosten-Nutzen-Effekt“, betr.: Wirtschaftlichkeit, „nur noch im Einzelfall operationalisiert werden”, während sich „Benefits“ (gemeint sind Vorteile bzw. Privilegien) nicht ergeben, gewährt oder eingeräumt werden, sondern „generiert“. Vielfältige Gruppen der Gesellschaft sind zu umwerben, jedoch „nicht sensationalistisch“, wozu man der Zielgruppe etwas „kommunizieren“ statt bloß vermitteln muß, zum Beispiel, indem man auf Zielgruppenplattformen eine Marke emotionalisiert. Wie eng Stuber/Iltgens Homo-Horizont ist, erweist sich nicht zuletzt am Umgang mit Vokabeln, die sensible Gay-Marketing-Experten tunlichst vermeiden sollten, um nicht an die Mordsgeschichte exakt jener Konzerne zu erinnern, für die sie Homosexuelle jetzt nicht als Zwangsarbeiter, sondern als Kunden einfangen sollen: „Durch die Wahl des schwul-lesbischen Kontextes wird sichergestellt, daß sich die Zielgruppe selbst selektiert“ oder „Da die meisten Print-Medien vor allem über die Infrastruktur der schwul-lesbischen Szene oder im Abonnement vertrieben werden, selektiert sich die Leserschaft selbst. So entstehen für Inserenten praktisch keine Streuverluste.“

Nun könnte man das Buch getrost zur Seite legen, illustrierte es nicht wunderbar das Umkippen eines sozialen und politischen Emanzipationsprozesses ins Reaktionäre: in die Optimierung von Ausbeutung unter kundiger Anleitung und Mithilfe der Auszubeutenden, die in ihrer Masse zugleich über das Wesen von Ausbeutern, Eigentums- und Machtverhältnissen getäuscht werden. Dazu schafft sich das Kapital in der Regel eine Aristokratie in der jeweiligen Gruppe. Michael Stuber ist so ein Vertreter.

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