Kolonialistische
Manier
Muslime unter dem Regenbogen, der einzige politische Frühjahrstitel des Querverlags, lag inhaltlich ganz in der Verantwortung des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland (LSVD). Ergänzend zur Kritik Sotadische Zonen (Gigi Nr. 31) dokumentieren wir eine Erklärung, die bedeutend mehr ist als eine bloße Stellungnahme zum Buch: eine Kampfansage der Gays & Lesbians aus der Türkei Berlin-Brandenburg e.V. (GLADT)
Immer
wieder hat der Lesben- und Schwulenverband im letzten Jahr Presseerklärungen
veröffentlicht, die sich den Themen Homosexualität/Homosexuelle,
Migration/Migranten, Homophobie und Integration widmeten. Immer wieder hat
unser Verein dabei den direkten oder wenig versteckten Unterton kritisiert,
der unterstellte, der Islam, die Moslems, Migranten
etc. seien aufgrund ihrer zugeschriebenen Zurückgebliebenheit homophober
als Mehrheitsdeutsche. Die Themen Homophobie bzw. Gewalt wurden dabei statt
als soziale immer wieder als ethnische bzw. auf die vermeintliche Religionszugehörigkeit
zurückzuführende Phänomene analysiert und benannt.
In kolonialistischer
Manier wurden dabei nicht nur die Migranten (damit sind in LSVD-Terminologie
nur diejenigen aus mehrheitlich mus-limischen Ländern gemeint) als homogener,
monolithischer Block gesehen, sondern auch ein Wir konstruiert,
das aus weißen, aufgeklärten, nicht-homophoben, nicht-sexistischen,
urbanen etc. Deutschen bestand. Damit wurden nicht nur die Unterschiede zwischen
Migrantinnen und Migranten aus verschiedenen Kulturen verwischt, sondern auch
eine gefährliche Wir-Gemeinschaft herbei homogenisiert, die es homophoben
Deutschen gestattete, welche von uns zu sein. Integration
wurde in diesem Zusammenhang zum Allheilmittel, das doch nur zum propagandistischen
Schlagwort gereicht. Nie wollte der LSVD wissen, ob Homophobie
(auch) ein mehrheitsdeutsches Phänomen ist. Aber als Kriterium für
eine gelungene oder mißlungene Integration sollte sie quasi
jedes Mal herhalten. In diesem Geist ist das Buch Muslime unter dem Regenbogen
konzipiert und verfaßt worden, in diesem Zusammenhang stehen alle Debatten,
die der LSVD über Islam und Homosexualität zu führen
wünscht.
Wir, türkische
Lesben, kurdische Schwule, persische Transsexuelle und arabische Bisexuelle,
wenden uns gegen eine Debatte unter solchen Prämissen. Wir wären
froh, sagen zu können: In unseren Communities gibt es keine Homophobie,
aber natürlich gibt es sie. Wir dürften die letzten sein, die dies
abstreiten. Allerdings sehen wir auch sehr genau, wie wenig die differenzierte
Struktur der migrantischen Communities bei den schwulen Männern im LSVD
wahrgenommen wird, die diese Debatte uns und der Öffentlichkeit in dieser
Form aufzwingen wollen.
Wir arbeiten
seit über einem Jahr mit Migrantinnen- und Migrantenorganisationen sehr
fruchtbar zusammen und haben bisher kein einziges Mal das Gefühl rabiater
Zurückweisung erfahren. Vielmehr haben wir große Unterstützung
und Zuspruch bekommen. Der Berliner Landesbeirat für Migrations- und
Integrationsfragen wurde auf Anregung der migrantischen Mitglieder
um ein Mitglied erweitert, das die Interessen der homo-, bi- und transsexuellen
Migrantinnen und Migranten vertritt. Im bundesweit ersten Dachverband migrantischer
Selbstorganisationen sitzt ein offen schwules Vorstandsmitglied, das alle
Mitgliedsorganisationen vertritt.
Die Lebenswelten von Migrantinnen und Migranten in Deutschland lassen sich
so wenig auf den Islam reduzieren wie auf andere Religionen!
Debatten, die auf der unterstellten Rückständigkeit einer Bevölkerungsgruppe
aufbauen, dienen nicht der Integration, sondern der Segregation
und verdienen es, aufs Schärfste verurteilt zu werden!
Statt leerer Schlagwörter (Integration), die niemand mit
Inhalt füllen kann, sollte der LSVD sich darum kümmern, wie er Emanzipation
und Partizipation von Teilen der Bevölkerung vorantreibt, die diskriminiert
werden, wenn er seine selbst gesetzte Aufgabe ernst nimmt!
Homophobie ist ein Geflecht aus vielen Phänomenen, die sich nicht ethnisieren
lassen es sei denn, man verfolgt andere Zwecke mit der Debatte.
So lange keine fundierten Kenntnisse vorliegen über Homophobie im allgemeinen,
sollte der LSVD sich hüten, aufgrund von Vorurteilen Unterstellungen
zu verbreiten, die wiederum an die Vorurteilsstrukturen bei Mehrheitsdeutschen
appellieren!
Wir wünschen
uns als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger dieses Landes,
daß wir sowohl in unserer sexuellenOrientierung oder Geschlechtsidentität
als auch mit allen Facetten unserer Herkunft akzeptiert werden. Mit seinen
Kampagnen, die gerade uns Mehrfachzugehörige verletzen, weil sie versuchen,
unsere sexuelle oder Geschlechtsidentität von unserer ethnischen Identität
zu trennen, kann der LSVD nicht unsere Interessen vertreten. Der LSVD behauptet,
eine Bürgerrechtsorganisation zu sein. Unsere Rechte vertritt
er nicht!
GLADT Berlin-Brandenburg e.V., Bülowstraße 106, 10783 Berlin. info@gladt.deLSVD Berlin-Brandenburge.V. (Hg.): Muslime unter dem Regenbogen. Homosexualität, Migration und Islam. Querverlag, Berlin 2004, 270 Seiten, 14,90 Euro