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Waschen, schneiden. legen


Auch wenn es sich so las, es war keine Junk-Mail: „Friseure der Welt gegen AIDS“. Einladung zur Pressekonferenz in den Salon André Märtens am 15. November 2007. Sponsored by L’Oreal unter Mitwirkung von Vorständen der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) und der Deutschen AIDS-Stiftung (DAS). Aha.

Der Andrang an Journalisten hielt sich in Grenzen, haarschneidende Zwischenstufen füllten die Plätze. Vorn rätselte Kerstin Lehmann vom Kosmetikriesen L’Oreal, ob AIDS heilbar ist oder nicht, Ulrich Heide von der AIDS-Stiftung bewarb vor allem die eigene Arbeit. Es drohte Langeweile. Doch dann wurde es unversehens interessant, als Maya Czajka von der DAH mit rauher Stimme erläuterte, weshalb „Friseure der Welt gegen AIDS“ so wichtig seien: In der Öffentlichkeit werde das Thema Sexualität zu wenig und nur mit Vorbehalten thematisiert. So aber werde gar nicht oder nur verdruckst über AIDS geredet.

Im Friseursalon hingegen breiteten die Menschen ihr Innerstes aus und holten sich Rat beim Friseur ihres Vertrauens. Wenn das fleischgewordene Seelenklo nun die AIDS-Problematik bei allem Geplaudere über Sex korrekt anspreche, könne man Zehntausende von Menschen positiv beeinflussen.
Der Gastgeber, Andrè Märtens blickte etwas gequält, so als ob er sagen wollte: Wenn ich Haare schneide, rede ich nicht ständig vom Ficken. Aber dann blickte er in die Runde und in die treuen Augen seiner verständnisvoll lächelnden Angestellten – und hielt die Klappe.

Maya Czajka hatte nämlich ins Schwarze getroffen. Nirgendwo verlieren Gesellschaftsdamen und Herren von Welt so schnell alle Hemmungen wie im Friseursalon. Sie plaudern, möchten Verständnis und nehmen Ratschläge gerne entgegen, sofern sie kurz, prägnant und logisch erscheinen –mein derzeitiger Freund kann das aus eigener Berufserfahrung bestätigen. Hieran knüpfte Kerstin Lehmann wieder an und teilte mit, L’Oreal habe dazu einen Lehrfilm für alle interessierten Haardesigner dieser Welt konzipiert. Damit sie ihrer Kundschaft auch das Richtige erzählen! Einen zweiminütigen Trailer werde man nun ansehen. Schwupps, verwandelten sich die beiden häßlichen Plasmabildschirme in Kinoleinwände.

Die Gäste erlebten eine Reise über Lavendelfelder, Meeresstrände und Hochmoore und hörten dazu eine einschläfernd-hypnotische Frauenstimme, die von AIDS erzählte, als würde sie ein Märchen der Gebrüder Grimm am Kinderbettchen vortragen. Ich dachte mir: Ihr habt sie ja nicht mehr alle! Dann sah ich in die verklärten Augen der versammelten Schneidetruppe und wußte – L’Oreal versteht seine Kunden. Selbst beim Filmdreh. Dann säuselte Frau Lehmann noch von weiteren Programmen ihres Arbeitgebers, von Schminkseminaren für Krebskranke, über Wissenschaftsförderung von Frauen in Sachen Kosmetik etc. Von einer Tretmine zur nächsten eilte sie, aber es fiel niemandem mehr auf.

Kleiner Trost: Auch die UNESCO hat sich schon einlullen lassen. Bald schon werden 2,5 Millionen Friseursalons weltweit und 8000 in Deutschland das Wissen um AIDS auf der Erde verkünden. Alles wird gut. Denn was Friseure können, können nur Friseure. Gespannt warte ich nun darauf, wie mir mein lispelnder türkischer Barbier in Kürze erklärt, wie die Welt gerettet wird: „Ey krath alda, gibthzu gummi.“

Florian Mildenberger