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Kleine & große Tode

Eine solide Ausbildung, eine Prise Almodóvar, ein Schuß Fassbinder, dazu der Hang zu Farce und Realsatire. Spielt mal kein verführerischer Jungmann die Hauptrolle, dann die erste Garde der französischen Diven: die Deneuve, die Béart, die Huppert, die Ardant, die Moreau oder die Darrieux. Und soll es einen Hauch spröder, kühler, britischer sein, gern auch die Rampling. Wahres viel und viel Gelogenes, Hintergründiges, Unterschwelliges, mehr Tod als Leben und dazwischen reichlich Sex. Er hat in so manche menschlichen Abgründe geblickt und wird doch am 15. November erst vierzig Jahre alt. Eine Gratulation an François Ozon von Ingo Flothen

Ey, François, ich glaub es nicht. Hat doch letzthin so’n Cineastendurchblicker behauptet, Wong Kar-Wai sei besser als Du. Klar ist der besser als Du. Geschenkt. Das sind viele. Aber geht’s denn immer nur darum? Um diese Genie-Chose, um das Meistersyndrom? Muß ja nicht jeder mit fünfundzwanzig Citizen Kane dreh’n, um was zu sein, oder? Okay, das is gut gegangen bei dem. Aber mit fünfundzwanzig ’ne Blechtrommel schreiben – oh, Mann, das kann ganz schön beschissen ausgehn. Oder wer will so enden, als doppelter S-Autor? Du siehst, François, Meister ist nicht gleich Meister. Und überhaupt: Ist die kleine Form nicht die viel glücklichere?

Mann, wie haben wir uns gefreut, als es begann. Mit zwanzig schnappst Du Dir die Heimkamera Deines Alten, filmst Dein schniekes Brüderchen Guillaume beim Abmurksen der Familie und platzierst ihn dann freudestrahlend zwischen alle familiären Leichen. Ich glaube, Du liebst Deine Mischpoke.

Und dann erst dieses Familientotenbild in Sitcom, Deinem ersten Langfilm: Kein Chabrol der Welt hat den morbiden Yves-Saint-Laurent-Charme der Bourgeoisie gewitzter in Szene gesetzt. Und doch: Der Tod als Lachnummer, der Sensemann als Dummer August, das bleibt Spiel für Dich, Ablenkung. Viel mehr liegt Dir daran, dem Knochenmann die Larve zu entreißen: Verflucht, was soll das grelle Rot auf diesen Lippen? 1995 also die grausam-schöne Meditation La Petite Mort. Der kleine Tod, der Orgasmus, wird fotografiert, genauso wie der große, der leibhaftige. Eros und Thanatos beim Tête-à-tête, vereint im schmerzlichen Glück, im glücklichen Schmerz. Deiner Innigkeit mit Freund Hein verdankst Du schließlich die Idee von der „Trilogie der Trauer“. Unter dem Sand ist der Beginn: Eine Frau am Strand schläft ein, ihr Mann geht schwimmen – und kommt nie wieder. Das ist alles – außer einer grandiosen Charlotte Rampling, die das Verschwinden ihres Mannes nicht zuläßt. Den Tod nicht zu akzeptieren, ihn mit Illusionen narren zu wollen – glaub uns, wir leiden jeden Tag im Kino –, das ist selten so verzweifelt, so intim, derart seelenwund inszeniert worden. Aber auch Dir ist das an die Nieren gegangen, oder? Warum sonst solltest Du Dich gleich danach bei 8 Frauen erholen? Mann, François, das muß ein Spaß gewesen sein: die großen französischen Leinwanddiven so schrill vereint, so clever zwischen Krimi, Musical und Melodram, zwischen Kitsch und Glamour platziert, so camp abgedreht – Hollywood muß explodiert sein vor Neid. Kein Wunder, daß Du als Kind am liebsten mit Puppen gespielt hast.

Dann kam Die Zeit, die bleibt, der zweite Teil Deiner Trauer-Trilogie. „Schwerer ideologischer Kitsch“, dröhnt die linke Presse, „naiv-pathetisch“. Ja, ja, Gefühle sind verdächtig, so unpolitisch, kennen wir. Aber das soll Dir mal einer nachmachen, die Geschichte vom unheilbar Erkrankten so kühl und unaufgeregt zu erzählen. Okay, das Sterben im finalen Sonnenuntergang war vielleicht ’n bißchen dick aufgetragen. Aber immerhin, mit der Familie das Lied der Versöhnung dudeln, wie es Patrice Chéreau tat in Son Frère, das war bei Dir nicht drin. Stattdessen: Adieu, ihr Armleuchter, Bienvenue la mort. Und den Segen dazu gab eine knorrig-zärtliche Jeanne Moreau. Superbe!

Nein, nein, ich hab den Sex nicht vergessen, François, keine Sorge! Normalerweise servierst Du ihn uns in rüder Form – klar, das Leben eben –, aber auch immer wieder so verdammt unschuldig, unbefleckt, unfehlbar. Kinder beim Kuchenbacken fallen einem dann ein. Kein schönrer Arsch stieg je in Meeresfluten wie in Ein Sommerkleid, keinen leichteren Sex gab es im Wald und auf dem Küchentisch. Und, quel surprise, keiner fragt, wie die Geschlechter dabei heißen. Aber die schönste, die blasphemischste Unschuld hast Du Dir mit dreißig erlaubt: ein Blaskonzert der Marseillaise, intoniert mit vollem Frauenmund, darin eine Jünglingsmännlichkeit: „Allons enfants de la Patrie / Le jour de gloire est arrivé“. Le Trou Noir hieß das Kabinettstückchen. Weißt Du eigentlich, daß Dir John Cameron Mitchell zehn Jahre später in Shortbus diese Chose geklaut hat? Diesmal die amerikanische Hymne, gespielt von einem splitternackten Bubenterzett, des Knaben Wunderhorn ein Mikrofon, der Hintern eine Baßtuba: „Oh! Thus be it ever / When freemen shall stand“ – „So sei es für immer / Wo freie Männer stehn“. – Wow!

Vor kurzem dann kam Angel in die Kinos. Mein Gott, François, was haben wir gelitten. Das große Ding sollte es werden, Dein Geniestreich. Aber nur Hausfrauenpoesie war’s, rührseliger Schmonz. Das Meistersyndrom eben. Das richtige Melodram will literweise Tränen, Junge, und zwar von Frauen und Männern geplärrt im Duett, und alle Schloß- und Schoßhunde dazu. Nichts aber davon bei Angel. Trocken wie eine Lavawüste. Warum nur, warum?

Nein, François, die kleine Form, das Kammerspiel – als schrille Farce, als traurig-intimes Portrait –, das ist wohl eher Dein Ding. Hier lachen wir Tränen, hier heulen wir Heiterkeit. Und alles auch umgekehrt. Schenkst Du uns noch ein paar dieser kleinen großen Werke!? Die Krankenkassen in Deutschland übernehmen mittlerweile das Eintrittsgeld zu Deinen Filmen: Psychiaterprophylaxe, heißt es.

Du siehst, Junge, wir brauchen Deine Filme, wir brauchen Dich. – Alors, bonne anniversaire, p’tit maître.