Flirten
mit Gott
Vor drei Jahren stolperte der einflußreiche US-Prediger und George W. Bush-Freund Ted Haggard von der New Life Church über einen pikanten Homosex- und Drogenskandal. Der junge amerikanische Dramatiker Michael Yates Crowley machte daraus ein Ein-Personen-Stück, um daß sich die Bühnen der Welt bislang nicht gerade reißen sehr zu Unrecht. Nach der Uraufführung auf einer Off-Off-Broadway-Bühne erlebte das Stück in den letzten Wochen die weltweit bislang einzige weitere Inszenierung. Zur deutschen Premiere ins Schloßtheater Moers pilgerte Martin Lentzen
Sieht so Gottes Strafe
aus? Drohte früher für regelmäßigen Sex mit einem Priester
mindestens Verdammnis in einem der dafür vorgesehenen Höllenkreise,
winken heute als schlimmste Strafe ein Eintrag bei Wikipedia und Weltruhm
in der Schwulenszene: Mike Jones (geboren am 7. Mai 1975 in Colorado)
ist ein Autor, Fitnesstrainer, früherer Callboy und Masseur, der weltweite
Aufmerksamkeit erlangte, als er mit der Behauptung an die Öffentlichkeit
trat, eine dreijährige Affäre mit Ted Haggard gehabt zu haben, einem
amerikanischen Evangelikalenpriester und Gründer der New Life Church,
erläutert ein Eintrag im englischsprachigen Wiki. Als er durch einen
Fernsehbericht über Haggard erfuhr, der Mann, den er nur unter anderem
Namen kannte, sei eine bekannte Persönlichkeit im Kampf gegen die Einführung
der Homo-Ehe, habe er sich entschlossen, Haggards Heuchelei öffentlich
zu machen. Der Skandal war perfekt und die US-Comedians waren für Wochen
mit Stoff versorgt, um auf den erklärten Bush-Freund zu dreschen, dessen
New Life Church immerhin 30 Millionen Anhänger allein in den USA
haben soll. Aus den offenbar gewordenen sexuellen Neigungen des notorischen
Homofressers machte der TV-Komiker Bill Maher eine Knallerpointe: Jetzt
fragen sich viele: Ist das genetisch bedingt? Ich meine, kommt man schon so
auf die Welt als Hhh...euchler?
Im November 2006
gab Haggard seinen Chefposten bei der einflußreichen National Association
of Evangelicals auf, zwei Tage später erklärte er, sich auch aus
der New Life Church vollständig zurückziehen zu wollen. Am 6. November
bekannte er in einem Brief an seine Anhänger, daß er sich tatsächlich
der sexuellen Unmoral schuldig gemacht habe. Er bat sie, sich
mit Anschuldigungen gegenüber Mike Jones zurückzuhalten und dankte
diesem, seine, Haggards, Probleme öffentlich gemacht zu haben,
damit ihm geholfen werden kann.
Es war dieser Brief
und ein weiterer öffentlicher von seiner Frau an die Kirchengemeinde,
die mich fasziniert und zu meinem Stück inspiriert haben, sagt
Autor Michael Yates Crowley. Die Sprache in Ted Haggards Brief war voll
von Doppelbedeutungen. Was er da schrieb, konnte so oder anders verstanden
werden. Zudem steckte Teds Brief voller Phrasen, die auch der damalige Präsident
George W. Bush mit Vorliebe benutzte, dessen Berater Haggard war. Zur
deutschen Erstaufführung ist Crowley im März nach Deutschland an
den Niederrhein gekommen. Gemeinsam mit dem Inszenierungsteam vom Schloßtheater
in Moers hat der erst 24jährige New Yorker nach der Vorstellung auf der
fast leeren Bühne Platz genommen. Einziges Möbelrequisit der Inszenierung
ist ein ausgeleierter Schrank, der dem in acht, neun verschieden Rollen schlüpfenden
Darsteller Ekkehard Freye als Kanzel, Beichtstuhl, Fluchtburg und Sexobjekt
dient.
In fließendem Übergang
spielt Freye reale Figuren, deren Charaktere Crowley indes fiktiv gestaltet
hat: Haggard, dessen Frau, drei Söhne und des einen Freundin, zwei Prediger
und den Callboy. Sexualneurosen blühen in den schillernsten Farben. Einer
von Haggarts Söhnen fleht: Jesus nimm die Cheerleader weg von mir!
Ein anderer jammert. Mein Papa ist eine Schwuchtel. Was mich daran erschreckt:
Ich bin sein Sohn. Ich kann der nächste sein. Ich hab mich schon selbst
angefaßt. Am meisten leiden die Frauen. Des Sohnes Verlobte will
endlich Sex, aber dem ist kein Sex vor der Ehe erlaubt. Verlangen baut
sich auf wie Giftgas (...) Michael versteht es nicht, was es heißt,
achtzehn zu sein und heiß. In der Uraufführung hatte
der kahlköpfige Crowley sämtliche Rollen selbst gespielt. Die
Haggard-Monologe waren beim Schreiben nicht als Ein-Personen-Stück geplant,
aber das Off-Off-Theater in Harlem hatte so wenig Geld, daß es weder
Requisiten noch Kostüme anschaffen konnte. Für Schauspieler war
kein Geld da. Eigentlich sollte es nur eine Lesung geben, aber dann habe ich
die Rollen allesamt gespielt.
Die Außenspielstätte
des Schloßtheaters ist eine alte, fensterlose Kapelle, die wie eine
fette Büßerin im Park hinter der Stadtbücherei hockt. Wahrscheinlich
hat die Örtlichkeit nie ein passenderes Stück erlebt. Zweitausend
Jahre Christentum scheinen im Gebälk zu kleben. Die Luft steht, kaum
hundert Leute passen auf unbequemen Stühlen dicht gedrängt hinein.
Gottesdienste hier dürften keine besonders fröhliche Angelegenheit
gewesen sein. Crowley blickt sich um. Die Bühne in New York war
auch sehr klein, aber nicht so nett wie hier. Crowley kichert, als er
aus dem Publikum gefragt wird, wie die New Life Church seinerzeit auf die
peinlichen Enthüllungen über Haggard reagiert habe. Haggards
Vertreter erklärten sehr schnell, sie würden Haggards Homosexualität
kurieren, aber sie merkten bald, daß das keine wirklich
gute Idee war.
Innerhalb nur eines Monats
haben Regisseur Bastian Tebarth und Dramaturg Fabian Lettow inszeniert. Für
mich ist es ein Stück über das Sprechen in einer außergewöhnlichen
Situation, sagt Schauspieler Ekkehard Freye. Diese Verwirrung,
sich selbst zu finden, die Frage: Wer bin ich jetzt eigentlich? und die wahnsinnige
Verwirrung in der gesamten Familie des Kirchenführers sind das Spannende.
In der Süddeutschen Zeitung vom 14. November 2008 schrieb Mounia
Meiborg zustimmend, die Haggard-Monologe seien eine sprachgewaltige
und großartige Erzählung davon, wie eine Familie auf Doppelmoral
reagiere: mit Zweifeln am streng evangelikalen Glauben oder mit verstärktem
religiösen Fanatismus. Die Monologe zeigten die Versuche
jedes Einzelnen, die eigenen Ansichten im Gebet moralisch zu rechtfertigen.
Regisseur Bastian Tebarth sagt, die Monologe behandelten einen US-typischen
Skandal, der in Deutschland so nie passieren kann. Allerdings gingen
Christentum und Homosexualität auch diesseits des Atlantiks noch
nicht so richtig zusammen. Vom Nachholbedarf beim Publikum ganz zu schweigen:
Bei der Voraufführung der Moerser Inszenierung beim Bielefelder Theaterfestival
Voices from Undergroundzero im Oktober 2008 verließen viele
Leute die Vorstellung.
Dabei wartet diese keineswegs
mit Skandaleffekten auf. Das Grauen wird allein über das Wort erfahrbar.
So tritt ein Gottesmann aus dem Schrank und setzt zur Predigt an. Der Chef,
General in der Armee Gottes, sei da in eine dumme Sache hineingeraten,
die man mit Gottes Hilfe aber schnell wieder in den Griff kriegen werde. Gott
zu lieben könne hundert Prozent Spaß machen, ruft der Priester
im Stil US-amerikanischer Fernsehprediger. Und Amerika brauche Gott dringend,
denn die Welt stehe am Abgrund. Männer, die mit Tieren schlafen,
Frauen in der Armee, Erwachsene, die Kinder vergewaltigen. Für
Männer mit heimlichen Männerbekanntschaften hat der Prediger einen
guten Rat: Gott ist gnädig, aber nicht dumm. Du kannst nicht homosexuelle
Massagen bekommen und es Liebe nennen.
Mit Autor Crowley kam
es in Moers zu einer spannenden Schulstunde mit der Jahrgangstufe
eines örtlichen Gymnasiums. Die lokale Tageszeitung Rheinische Post
berichtete am 21. Februar, den Schülern habe sich eine Reise in
ein Wunderland kreativer Schreibe und des aktuellen New Yorker Underground-Theaters
eröffnet. New Yorks Theaterpublikum sei vorrangig ein Tummbelbecken aus
Studenten, Juden und Schwulen, erzählte Crowley bei der Gelegenheit.
Am 18. April war in Moers die letzte Vorstellung. Zeitgleich wurde in den
USA die Verfilmung der Monologe abgeschlossen mit Crowley als Darsteller.
Schrankschwule auf der Suche nach dem ultimativen Gottesbeweis demnächst
also auch im Kino.
Ted, du bist zurückgegangen zu deiner falschen Familie und zu deiner falschen Frau, sagt der in den Monologen eifersüchtige Callboy und erinnert den Anrufbeantworter seines Ex-Lovers an all die Schwänze westlich des Mississippi, die nun für immer Tabu für dich sind.