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nimm eselskoth und wegerich-wasser


Das „Geheimnis der kleinen Handtasche“ bescherte Deutschlands Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg ihr ganz intimes Wirtschaftswunder: Der mobilambulante Einsatz von Einwegbinden und Tampons linderte das Leid an der monatlichen Blutfront. Eine (un-)heimliche Geschichte der Menstruation – unlängst in 2. Auflage erschienen – wird vorgestellt von Lizzie Pricken

Bevor in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts die Diskussion um die Frage des sozialen Geschlechts im Vergleich mit dem biologischen entbrannte, reduzierte sich die Identität „Frau“ fast ausschließlich auf ihre Gebärfähigkeit. Solche, die keine Kinder bekommen konnten oder wollten, waren keine wirklichen Frauen, unverheiratete wurden noch im Greisenalter Fräulein genannt, während lesbische als „Mannweiber“ galten. Selbst jene biologisch weiblichen Wesen, die brav ihre Mutterpflichten für Volk und Vaterland erfüllten, galten noch lange als dem Manne (nicht nur) körperlich unterlegen, selbst als längst bekannt war, daß mitnichten der männliche Samen allein für die Fortpflanzung verantwortlich ist. Hatte doch ihr vermeintliches Defizit unabhängig vom Gebären eine viel grundsätzlichere Basis, die alle biologischen Frauen betraf: das monatliche Menstruieren.

Das Rätsel um die wiederkehrenden Blutungen ist bis heute das wohl größte Tabu der modernen Zivilgesellschaft. Die Gründe dafür suchen Sabine Hering und Gudrun Maierhof in ihrer Abhandlung „Die unpäßliche Frau“ im geschichtlichen Kontext zu erfassen, denn für sie deckt „die Beschäftigung mit den Mythen und Irrlehren über die Menstruation nicht nur einen Teil der Medizingeschichte auf, sondern läßt auch bedeutsame Aussagen über die Entwicklung des Frauenbildes zu“.

Das soziale Wesen der Frau wurde seit Anbeginn der überlieferten Geschichtsschreibung, egal ob im positiven oder negativen Sinne, praktisch ausschließlich im Kontext von „Blut und Boden“ – sprich, Mensis und Leibesfrucht definiert. Selbst als der Hamburger Arzt Dr. Alexander 1841 vergleichsweise nüchtern das Phänomen der Menstruation erstmals als reine Körperfunktion beschreibt und so das Zeitalter der modernen Gynäkologie einläutet, gibt es nicht nur im Volksglauben, sondern auch bei Wissenschaftlern noch genügend Vorurteile – vor allem bezüglich der Gefahren, die von einer Menstruierenden ausgehen. So wurden noch in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts Mitarbeiterinnen einer süddeutschen Fotofirma entlassen oder versetzt, da sich ihr Menstrualschweiß beim Entwickeln mit den Silbersalzen verbunden habe und dadurch schwarze Flecken auf den Bildern aufgetaucht seien. Dabei hatte bereits 1958 der Arzt Burger endgültig den Mythos vom hochgiftigen Menstrualblut entzaubert. Doch der jahrhundertalten Indoktrination durch Ärzte, Wissenschaftler und Philosophen war auch mit Logik nicht leicht beizukommen.

Seit der Antike hatten sich schließlich diverse „Fachmänner“ hervorgetan, die stetig neue Wahrheiten (er-) fanden und damit die Mär vom verderblichen Weib am Leben hielten. Etwa der berühmte Paracelsus, der noch im 16. Jahrhundert felsenfest behauptete: „Es gibt kein Gift in der Welt, das schädlicher ist als das menstruum.“ Schon viele vor ihm hatten gewaltig geirrt. Aristoteles hatte wohl gerade am Brunnen vor dem Tore gesessen, als er schrieb: „Wenn die Blutgefäße voll sind, wird ein Überfließen unumgänglich, und dieses Überfließen ist die Menstruation.“ Auch der Mathematiker Pythagoras sah, ähnlich wie die berühmtesten Ärzte der Antike, Hippokrates und Galen, darin eine „Entleerung überschüssigen Blutes“.

Es war der römische Denker Plinius (23-79 n. Chr.) der überhaupt erst den Mythos vom unreinen Blut aufbrachte, was in der Folgezeit nicht nur wie ein Fluch auf dem weiblichen Geschlecht lastete, sondern unter anderem dazu führte, die Schwangerschaft als einzig gesunden Zustand einer Frau anzusehen. In dieser frühen Periode gab es außerdem strenge Vorschriften, um jede Berührung mit einer Menstruierenden zu umgehen. Frauen mußten sich das Gesicht mit greller Farbe bestreichen, eine Maske oder besondere Kleidung tragen, und falls sich ihnen doch zufällig jemand näherte, „unrein, unrein“ rufen.

Die Kirche trug von Anfang an ihren Teil bei, den Aberglauben um die „Unreinheit“ von Frauen gegen sie zu verwenden. Eine wichtige Frage des frühen Mittelalters war, ob die Frau in diesem Zustand überhaupt eine Kirche betreten und die heilige Kommunion empfangen dürfe. Und obwohl aus dem Neuen Testament eindeutig hervorgeht, daß Jesus selbst keine Probleme mit der Nähe von Menstruierenden hatte, mußte erst der Papst, in diesem Fall Gregor im Jahre 735, seinen Segen geben: Die Periode sei nicht „Schuld der Frau, sondern verursacht von der Natur“. Selbst die kreative Äbtissin Hildegard von Bingen, die sich gut 350 Jahre später, genauer bis zu ihrem Tod im Jahre 1179, dem Thema widmete, beugte sich den Zwängen ihrer Zeit und konstatierte: „Als der Fluß der Begierde in Eva eingezogen war, wurden alle ihre Gefäße dem Blutstrom geöffnet. Daher erlebt jede Frau bei sich stürmische Vorgänge im Blute, so daß sie, ähnlich dem Ansichhalten und Ausfließen des Mondes, die Tropfen des Blutes bei sich behält und vergießt.“ Immerhin ist bei ihrer Auslegung das weibliche Wesen noch irgendwie selbst am Prozeß beteiligt, zumindest durch ihr Begehren, was bald darauf als Anlaß für die Verfolgung als „Hexe“ genügen konnte.

Die Ahnungslosigkeit hinsichtlich der tatsächlichen Vorgänge beim monatlichen Blutverlust besteht weiter. Nicht zuletzt deshalb wird grundsätzlich zwischen einer normalen, sprich starken, und einer krankhaften Blutung unterschieden, die sich nur schwach äußert oder gar ganz entfällt. Dann müssen natürlich sofort Gegenmaßnahmen getroffen werden, etwa die im 17. Jahrhundert üblichen „Dampfbäder und Blutegeln an die Schamlippen (...) und die Anwendung der Elektrizität“. Alternativ empfiehlt der Arzt Samuel Adam Jüncken 1744 folgenden „Heiltrank“: „Nimm esels-koth, vermische ihn mit heydelbeer-syrup und wegerich-wasser, und trink davon morgens etliche tage nacheinander.“

Fortsetzung in der Printausgabe