Da wieder mal das christliche Abend- mit dem islamischen
Morgenland im scheinbaren Gegensatz um kulturelle Werte kämpft, vermag
ein Lesben-Roman in diesem Kontext durchaus aufklärerische Impulse zu
setzen aber auch zu verwirren.
Der Pressetext
zum Roman mit dem harmlos klingenden Titel Die Briefträgerin
annonciert lediglich eine poetische Liebesgeschichte zweier junger
Frauen in einem libanesischen Dorf, erzählt aus der Sicht Saras, deren
deutsche Mutter, eine Journalistin, den libanesischen Vater auf einer Wüstenfahrt
kennenlernt. Das Mädchen wächst zunächst in Deutschland auf
und folgt dann den Eltern an jenen Ort, wo der Vater das Amt des Bürgermeisters
bekleidet.
Anhand
der dramaturgischen Entwicklung wird wiederholt die angebliche Unvereinbarkeit
von arabischer und europäischer Kultur dargestellt, vor allem aber die
daraus folgende Persönlichkeitsspaltung der Protagonistin. Dies geschieht
leider weder analytisch noch sonstwie konstruktiv: Kaum sind die ersten Seiten
überschlagen, springen die Leserschaft, geballt und unverdaut, die schlimmsten
Albträume aus dem vermeintlich lyrischen Rahmen an. Für differenziertere
Charaktere, feinsinnige Dialoge, fließende Handlungsstränge oder
gar distanzierte Reflexionen bleibt kein Raum; die arabisch-deutsche Autorin
taucht blindlings hinab in den Seelennebel ihres literarischen Ichs. Dabei
kreisen alle Gedanken allein um ihre Gefangenschaft, denn Sara befindet sich,
nach dem frühen Tod der sie beschützenden Mutter, beim tyrannischen
Vater unter Hausarrest.
Saras
Isolation findet ein vorläufiges Ende, als die Tochter des Briefträgers
auftaucht. Hamida studiert heimlich Kunst und Photographie in Paris. Die Eingesperrte
wird nun zusätzlich zur Gefangenen von Lust und Leidenschaft und gerät
in derartige Abhängigkeit, daß sie völlig verzweifelt, als
die Liaison auffliegt und die Verführerin aus ihrem Leben
verschwindet. Sara flüchtet vollends in Tagträume, die trotz schillernder
Metaphern ihr tiefes Trauma nicht verbergen können. Doch weder ihren
Großeltern, die sie später vor der Autorität des Vaters retten
und mit nach Deutschland bringen, noch ihrem kurzzeitigen deutschen Freund
fällt auf, daß sie nicht wirklich in der alten Heimat ankommt.
Selbst
Saras Begegnung mit anderen binationalen Lesben bringt keine Auflösung
ihres Dilemmas; im Gegenteil wirken die beschriebenen Personen und
das ist das eigentlich Tragische der Geschichte im angeblich emanzipierten
Land ebenfalls wie Gefangene. Zu groß scheint die Kluft zwischen kulturellen
Eigenheiten, Geschlechtern, Erfahrungen auch innerhalb der lesbischen Community,
als daß sich die Polarität überwinden ließe. Die Sehnsucht
nach Aufhebung der eigenen inneren Widersprüche muß für Sara
unerfüllt bleiben, solange die blonde Frau ein unerreichbares
Phantom bleibt. Sie war blond, und zwar so blond, daß ich bei
ihrem Anblick aufstoßen mußte. Wasserstoffblond und am Haaransatz
die düstere Asche der Wahrheit. So beschreibt das Roman-Ich die
Begegnung mit der falschen Blondine, einer Phantasiegestalt ihrer
verschollenen Freundin Hamida. Auch die kleine Blonde aus dem
Supermarkt, mit deren Ausschnitt Sara liebäugelt, ist nur Repräsentantin
der einheimischen Lesben, zu deren Gespött sie zu werden
sich fürchtet. Und doch dienen blonde Frauen einem Zweck, besonders in
Bezug auf ihre neue Freundin Houda: Blonde Mädchen schön und
gut, dies waren doch alles nur Ausflüge in das Reich der Phantasie, die
Freiheit wollte ich mir nicht nehmen lassen, und beflügelten diese nicht
sogar auch unsere gemeinsamen Sinnesfreuden? Während Houda in Paris
weilt, stillt Sara auf einer Party ihren Appetit auf die kleine Blonde.
Doch wieder führen alle Wege zu Hamida, ihrer ersten großen Liebe,
die sie so ein Zufall! in dem Bild überm Bett ihres One-night-stands
erkennt. Immerhin schafft selbiger, sie zum reden zu bringen, denn sie
war mir einfach fremd genug, daß ich ihr die ganze Geschichte erzählen
konnte.
Spätestens ab da liest sich der Roman wie eine einzige Rechtfertigung in Briefform vor ihren beiden arabischen Geliebten, wobei sie stets beteuert, alle Seitensprünge dienten nur dazu, ihnen noch näher zu kommen. Abermals gefangen im eigenen bipolaren Weltbild, läßt die Autorin am Ende sogar Hamida wieder auftauchen und ganz der inneren Logik folgend eine erotische Begegnung mit Houda erleben. Alles bleibt also in der Familie, quasi als Bund für die Ewigkeit. Da die Suche nach ethnischer Identität inzwischen auch bei sexuellen Minderheiten geradezu zwanghafte Ausmaße angenommen hat, erstaunt es kaum, daß sich auch Lesben mit Migrationshintergrund zunehmend abgrenzen für ein zumindest zeitweiliges emotionales Überleben.
Lizzie Pricken
Andrea Karimé: Die Briefträgerin. Konkursbuchverlag, Tübingen 2004, 224 Seiten, 10,00 Euro