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Ein geiler Terrorist


Eine neue Andreas-Baader-Biographie las Florian Mildenberger

Daß Intellektuelle häufig auf den letzten Blödsinn reinfallen, sofern er nur von einem Typen vorgetragen wird, der überzeugend und welterfahren genug wirkt, ist bekannt. Auch den im Elfenbeinturm der Wissenschaften sozialisierten Schülern der „Kritischen Theorie“ war diese Anfälligkeit für bodenständigen Irrsinn und scheinbar pragmatisch einfache endgültige „Bombenlösungen“ geläufig. Das hatten ihnen ihre Lehrer bis zum Exzeß beizubringen versucht. Und doch waren nicht wenige von Andreas Baader angetan. Wer er war, woher er kam und was er wollte, das mußte man bislang aus diversen Texten zusammensuchen, deren Autoren zumeist eines wollten: eigene Spuren verwischen.

Das haben Klaus Stern und Jörg Herrmann nicht nötig. Sie benennen klar die Mythen um Baader, die sich mehr oder weniger um dessen Sexualität ranken. War er schwul, stand er auf Männer wie Frauen, betörte er Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin? Das waren die Fragen der Zeitgenossen, die nach den ersten Explosionen begriffen, daß es Zeit war, sich vom Ort des Geschehens zu entfernen, zurück in den Schoß der BRD, zu den K-Gruppen, zu den Spontis oder vielleicht auf eine längere Haschpfeife in den Orient. Mancher ergraute Zeitzeuge ist von seinem Trip noch immer nicht zurück oder erleidet bei Nennung des Namens Baader einen Flashback (wie Joschka Fischer).

Die Autoren hingegen machen klar, daß Baader gern mit Menschen spielte – besonders auch mit schwulen Verehrern wie Herbert Tobias, welcher ihn (siehe Fotoausschnitt) 1965 für ein Homomagazin inszenierte –, der sich nicht einordnen ließ und Sexualität ebenso wie die hehren Begriffe der Horkheimer/Marcuse-Scholastiker oder die im Haschdunst gezeugten Programme der Kommune I für ziemlich belanglos hielt. Er bevorzugte die Selbstverwirklichung im realen Leben, die Wirklichkeit mußte den eigenen Vorstellungen nur angepaßt werden. Irgendwie. Er sprach nicht darüber, er tat es einfach. Wer im Weg stand, wurde weggepustet wie im Kino-Western. Diskussion war nicht seine Sache, eher kurzfristiges Handeln. Den Aktionismus versteckte Baader gern hinter Floskeln und langen marxistisch-leninistischen Sätzen – der Schulabbrecher wußte, was er seinen langzeitstudentischen Förderern schuldig war. Geschickt auch verbarg er seine Sozialisation, den prägenden Einfluß des Onkels aus dem Staatsballett enthüllten erst Stern und Herrmann.

Als Baader und seinen Getreuen aber keine planlosen Streifenpolizisten oder als Sozialfürsorger gescheiterte Heimleiter mehr gegenüberstanden, sondern die geballte Staatsmacht, war die revolutionäre Avantgarde am Ende. Schließlich, so zeigen die Autoren, war Baader bereit, sich vom Terror zu lösen, kapierte aber bis zum Schluß nicht, was er mit der RAF-Formierung losgetreten hatte. Er hatte gewagt, deutsche „Geistesarbeiter“ vor die Wahl zu stellen, nicht mehr über etwas zu reden, sondern zu handeln oder aber endlich offen zu sagen, daß sie alle nur gefällige Diener des Staates waren. So was läßt man sich hierzulande nicht bieten, schon gar nicht von einem ohne Abitur. Baader hielt bis zuletzt alles für ein Spiel, aus dem er sich dann verabschieden wollte. Was mit seinen „GenossInnen“ geschehen würde, war ihm völlig schnuppe, ob er mit ihnen gefickt hatte oder nicht. Umgekehrt ist es bis heute so.

Baader war ein mordendes Arschloch, dem jeder Realitätsbezug fehlte. Das fiel nur lange nicht auf, weil er bloß ein Phantast unter vielen war. Allerdings waren seine Fürze nachhaltiger und stinken bis heute, und so hat der Geruch einem der Zeitzeugen für das Buch das Oberstübchen etwas vernebelt: Horst Herold, ehemals oberster Terroristenjäger der alten BRD, erwirkte gerichtlich die Streichung einiger Passagen aus der ersten Auflage (S. 171-172 und eine Skizze). Wahrscheinlich war ihm beim Lesen dieser ersten wirklich guten Baader-Biographie aufgefallen, daß er sich mit seinen Einlassungen selbst als Volltrottel positioniert hatte: Baader sei ein „großer Gegner“ gewesen, den man gar nicht habe überschätzen können und den er (Herold) dank abgefangener Kassiber aus Stammheim genau gekannt habe. Der Chef des BKA stellt sich auf eine Ebene mit einem großspurigen Blender, der gerne Autos knackt, hübsche Frauen vögelt, ohne lange nachzudenken zur Knarre greift, Intellektuelle verarscht und schließlich sich mit den Worten „War alles nicht so gemeint“ in den verdienten Ruhestand gehen will. – Wunderbar!

Klaus Stern/Jörg Herrmann: Andreas Baader. Das Leben eines Staatsfeindes. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 2007, 359 Seiten, 15,00 Euro