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Dummchen in Uniform


„Zwischen Verpflichtung und Verlangen, zwischen der Realität und der Wahrheit liegt ein Geheimnis, das sie beide vereint. Die Liebe zueinander.“ Plüschig und stilistisch, nun ja, sagen wir: originell beginnt die Pressemappe mit der Kurzinhaltsangabe zum Lesben-Film „Loving Annabelle“, der im Mai zunächst in Hamburger und Berliner Kinos anläuft. Was zu halten ist vom „eindringlichen Bild einer Schülerin, die nicht anders will, einer Lehrerin, die nicht anders kann“, untersuchte Lizzie Pricken

Vom deutschen Filmverleih als moderne Version des Klassikers „Mädchen in Uniform“ präsentiert, sind die Erwartungen an „Loving Annabelle“ hoch, dem ersten Kino-Spielfilm der Regisseurin Katherine Brooks. Zumal die Liebe zwischen einer Lehrerin und einer Schülerin auch heutzutage nicht immer unkompliziert ist. Besagter Klassiker, 1931 mit Hertha Thiele und Dorothea Wieck in den Hauptrollen von Carl Froelich nach Christa Winsloes Stück „Gestern und heute“ inszeniert, besticht vor allem durch seine Atmosphäre, die seinerzeit gezwungenermaßen ohne Sexszenen auskommen mußte und dabei doch vor Sinnlichkeit geradezu knistert. Was das Werk mitnichten vor der Indizierung bewahrte. Auch in Géza von Radványis Fassung von 1958 spürt man eine unterschwellig stets vorhandene Spannung zwischen Romy Schneider und Lilli Palmer; eine andere Lehrerin gab seinerzeit übrigens die tatsächlich lesbische große Therese Giehse.

In „Loving Annabelle“ ist hingegen kaum nachvollziehbar, warum sich Lehrerin in Schülerin verliebt und umgekehrt. Erzählt wird ein Alltagsmärchen: Aus der königlichen Kutsche – in Gestalt einer achttürigen Limousine mitsamt Chauffeur – steigt die widerspenstige Prinzessin. Ihre Eltern bringen sie zur bösen Stiefmutter, die ihr unter Androhung von Strafen gutes Benehmen beibringen soll. Doch das aufmüpfige Kind verfällt stattdessen dem Zaubertrank, gar wundersamen Räucherwaren und dem gebeutelten Aschenputtel, das mehr oder weniger seit seiner Kindheit in den Gemäuern gefangen ist. Natürlich lassen sich die beiden Dummchen in flagranti erwischen. Aschenputtel, das die Regeln in dem verwunschenen Schloß an sich im Schlaf herbeten können müßte, stellt sich dermaßen dusselig an, daß die Bestrafung beinahe gerechtfertigt erscheint. Denn im Vergleich zum Märchen nimmt die Story kein gutes Ende.

Die Machart erinnert unweigerlich an die Beliebigkeit moderner Fernsehproduktionen mit ihrer komplett durchkonstruierten Szenerie. Die Schauspielerinnen in „Loving Annabelle“ wirken denn auch äußerst farblos, so, als handelte es sich um eine Staffel von „The L-Word“ oder irgendeine andere Serie. Verwundern kann das schwerlich: Erin Kelly, die Darstellerin von Annabelle, startete ihre Filmkarriere in der Werbung, und genau so blickt sie auch in die Kamera. „Kaufe diesen BH, kaufe diese Tafel Schokolade, kaufe diese Kaffeemaschine! Nimm mich endlich!“

Will man das? Ja, man will. Zumindest Simone Bradley, verkörpert von Diane Gaidry, will genau das. Was bleibt der Lehrerin auch anderes übrig. Nicht daß sie wirklich gerade eine Kaffeemaschine brauchen würde, und einen festen Freund, Michael, hat sie schließlich auch schon, aber: Sie will keine Schokolade, sie will lieber Annabelle! Gaidry, die zugleich Produzentin ist, hat immerhin noch ansatzweise die Mimik einer Schauspielerin und ihr Gesicht erinnert in einzelnen Einstellungen entfernt an das von Emma Thompson.

Stellenweise fühlt man sich in den Mitte der 90er Jahre gedrehten kanadischen Kassenschlager „When night is falling“ zurückversetzt, was insgesamt auf mangelnde Kreativität bei der Umsetzung des Sujets schließen läßt. Selbst die strenge Oberin „Mutter Emaculata“ überzeugt nur zum Schluß, nämlich als sie die Polizei ruft. Von Anfang an ist klar, daß sie selbst ein Auge auf die zart besaitete Lehrerin geworfen hat. Wie viele, so macht auch dieses Detail die gesamte Handlung vorhersehbar, was nicht eben die hohe Schule der Dramaturgie bezeugt und noch weniger für erotische Spannung sorgt. Selbst dem bemüht witzigen Pater Harris mißlingt es, den bis in die Dialoge hinein berechenbareren Plot (und damit das Publikum) von seiner Langweiligkeit zu erlösen. Dabei gibt den greisen Geistlichen ein, so die Presseinformation, „echter Haudegen alter Hollywoodschule“: Kevin McCarthy ist laut Verleih „bestens bekannt aus Filmen wie ‘Invasion der Körperfresser“ und spielte sich außer durch „The Addams Family“, „Dynasty“ („Der Denver-Clan“) und „Flamingo Road“ auch tapfer durch viele Hollywoodfilme und erlebt gerade, so boshaft können PR-Texte sein, „im Fernsehen eine Renaissance“. Das Drama nimmt trotzdem seinen Lauf; schon in Polanskis „Tanz der Vampire“ schützten überdimensionale Rosenkränze (dort bestehend aus Knoblauchzehen, hier Annabelles Oberin Mutter Emaculata zu verdanken) nicht vor (untoten) bösen Menschen, und so verpetzt eine eifersüchtige Mitschülerin das Liebespaar. Wer hätte das gedacht.

Als wichtigste Lehre, die uns Katherine Brooks erteilt, bleibt somit: Das klassische Erzählkino läßt sich kaum mit einigen dahingehauchten Rocksongs und gängigen Strickmustern aus der Hollywoods Drehbuchschule modernisieren. Allenfalls das Ende hält noch eine wichtige Mitteilung bereit. Trotz der demonstrativen Aufgeklärtheit der Schülerinnen, die offen über Sex und „Lesbischsein“ reden, scheitern sie an der Legislative des 21. Jahrhunderts. In den ach so demokratischen Vereinigten Staaten von Amerika wird die Lehrerin nach der ersten und letzten Liebesnacht mit ihrer fast volljährigen Schülerin ohne Umschweife verhaftet. Dazu reicht offenbar allein die Denunziation durch eine Vorgesetzte. Ob ihr das im wilhelminischen Preußen – das Original spielt im Jahre 1910 in einem Potsdamer Adels-Mädcheninternat – auch passiert wäre? Der Vergleich hätte eine gute Vorlage für ein leidenschaftliches Plädoyer für Gerechtigkeit liefern können. Doch in dem Moment, wo der Film „Loving Annabelle“ spannend wird, ist er plötzlich: aus.

„Loving Annabelle“, USA 2006, im Verleih von Pro-Fun Media, Kinostart am 24. Mai in Hamburg und Berlin