Mamis
Kleiner wählt "Plan G"
Im Juli 2009 hat der Oberste Gerichtshof in Neu Delhi Homosexualität entkriminalisiert. Als Trendsetter thematisiert die erfolgreiche Komödie Dostana männliche Homosexualität zum ersten Mal im großen Bollywood-Kino bereits seit November 2008: Zwei Machos in Miami fingieren eine gemeinsame schwule Liebesbeziehung, um das Herz ihrer neuen besten Freundin zu erobern. Den umgedrehten La Cage aux Folles im Hindi-Film genauer verfolgt hat Thomas K. Gugler
Der Streifen Dostana,
die etwas andere Liebesgeschichte aus Bollywood, ist der erste
Hindi-Film, der männliche Homosexualität ernst nimmt. Er ist auch
der erste komplett in Miami gedrehte indische Film. In nur 142 Minuten erzählt
die Komödie für indische Verhältnisse rasend schnell die Geschichte
zweier Machos, die eine schwule Beziehung vortäuschen, um den Zuschlag
für eine Luxus-WG zu erhalten. Rasch verlieben sich beide in ihre neue
Mitbewohnerin, eine permanent frustrierte, karriereorientierte Modejournalistin
und um ihr Herz zu gewinnen, inszenieren sie ihre gemeinsame kleine
Lüge mit zunehmender Größe und Dramatik.
Die beiden Non-Resident-Indians
Samir (Abhishek Bachchan) und Kunal (John Abraham) wachen nach einer durchzechten
Nacht mit ihren jeweiligen weiblichen Abendbekanntschaften in einer Penthousewohnung
in Miami auf und prahlen beim zweisamen Frühstück mit ihren nächtlichen
Erlebnissen. Abends treffen der Fotograf Kunal und der als Krankenschwester
arbeitende Samir beim Besichtigungstermin einer Luxuswohnung wieder aufeinander.
Die streng konservative Eigentümerin aber vermietet nicht an Männer
schließlich sei sie auf Sicherheit und Ehre (Urdu: izzat) bedacht.
Die Machos Samir und Kunal lieben das luxuriöse Leben Floridas mit vielen
wechselnden Partnerinnen leisten aber können sie es sich nicht.
Da beide dringend ein Zimmer benötigen, behaupten sie, ein schwules Paar
zu sein: Ein festes Paar wie sie werde keine weiteren potentiellen Partner
empfangen und als große, durchtrainierte Männer könnten sie
auch Sicherheit garantieren.
Samir und Kunal erfinden
eine detaillierte Liebesgeschichte, die drei Jahre früher in Venedig
beginnt, und bekommen die beiden Zimmer. Sie teilen die Wohnung mit der attraktiven
und karriereorientierten Modejournalistin Neha (Priyanka Chopra). Die drei
werden beste Freunde, so daß alle Lügen und alles Geschwätz
wahr erscheinen [Song: Jane kyo, dil cahta hai]. Aber was als kleine
Lüge beginnt, wächst sich tumorhaft stets exzessiver aus:
Beim Einwohnermeldeamt beantragen beide mit Nehas Begleitung als schwules
Paar die Aufenthaltserlaubnis auch weil die Warteschlange für
schwule Paare kürzer ist. Der Plan funktioniert, nur daß Samirs
Bewilligungsbescheid zu seiner streng traditionellen Mutter nach London geschickt
wird.
Von der schwulen Vorteilsmaximierung
läßt sich Neha rasch anstecken. Nehas schwuler Chef M.
sucht eine Neubesetzung für eine zentrale Führungsposition, und
Neha hofft mit ihren beiden schwulen Mitbewohnern ihre Chancen erhöhen
zu können. Als M. beim arrangierten Date seine Chancen bei Kunal und
Samir austestet, kommt ein schwuler Regierungsangestellter von der Einwanderungsbehörde
zur Surprise Inspection hinzu. Kunal und Sam sind gezwungen, ihre
schwule Rolle zu professionalisieren: Denk wie eine Frau! Fühl
wie ein Mann! Sag etwas Nettes über seine Schuhe. Das plötzliche
Auftauchen von Samirs Mutter, die ihren Sohn zurückholen möchte,
aktiviert das weibliche und schwule Supportnetzwerk der beiden, die nun Samir
bei seinem Coming out wider Willen in der Familie vorantreiben.
Liebe macht blind. versucht die verständnisvolle Neha Samirs
Mutter zu vermitteln. Aber nicht so blind, daß man den Unterschied
zwischen Mann und Frau nicht mehr erkennen kann! kontert die überpräsente
traditionelle Panjabi-Mami. Mamis Kleiner ist verloren ... O Mutter,
dein Ruf ist ruiniert [Ma da ladka ...] heißt der Panjabi-Song
zur Szene: Ein Paar von Jungs die Mädchen weinen: Niemand
braucht sie nicht.
Nachdem die Mutter mit
einem hinduistischen Exorzismus ihren Sohn nicht hat heilen können, akzeptiert
sie Samirs angebliches Liebesglück. Sie führt bei Kunal die Brautriten
durch: Wie in Kabhi Khushi Kabhi Gham tritt er den Reis in die Wohnung, sie
übergibt ihm ihre goldenen Armreife und spricht die traditionellen Segnungen:
Möget ihr lange leben und viele Kinder kriegen! Na ja, vergeßt
die Kinder. (Jite raho! Phulo! Phalo! Khair, choro!).
Samir und Kunal aber können
immer weniger verbergen, daß sie sich beide in Neha verliebt haben.
Beide Jungs beginnen sich gegenseitig vorzuführen um den anderen im verborgenen
Kampf um Neha zu übervorteilen. Die Intrigen eskalieren, werden handgreiflich
und sie spielen Neha eine ernste Beziehungskrise vor: Samir wirft Kunal vor,
permanent untreu zu sein Kunal kontert, daß Samir impotent sei.
Zur gleichen Zeit lernen
sich Neha und ihr neuer Chef Abhimanyu (Bobby Deol) näher kennen. Diese
neue Situation versöhnt Samir mit Kunal gegen den gemeinsamen Konkurrenten
Abhi. Als neue beste Freunde versuchen Samir und Kunal ihren Rivalen Abhimanyu
systematisch zu schädigen: Überraschungsparty in seiner Villa, falsche
Stilberatung, möglichst restlose Zerstörung seiner sekundären
Geschlechtsmerkmale angeblich, um seine Attraktivität zu erhöhen
und radikale Einschränkung seines guten Benehmens im Namen der
Geschlechter-Gleichberechtigung. Als die Intrigen auffliegen, vermutet Neha,
daß sich Kunal und Samir ebenfalls in Abhimanyu verliebt haben. Nun
greifen Kunal und Samir zu härteren Waffen und intrigieren gegen Abhimanyu
mit Hilfe seines fünfjährigen Sohnes Veer (Deine neue Mutter
verkauft dich ans Internat; dein Vater liebt jetzt Neha, nicht dich!).
Am Ende heiratet Abhimanyu Neha aber doch, und Samir und Kunal küssen
sich öffentlich auf dem Laufsteg einer Modenschau, um Nehas Verzeihung
zu erwirken. Happy Endings für alle!
Dostana (Hindi:
Freundschaft) wird als Echte Freunde auf Deutsch vertrieben. Es
ist der erste Bollywoodfilm mit schwuler Handlung. Regisseur Tarun
Mansukhani selbst verfaßte das Manuskript für seinen ersten Film.
Als Motivation gibt er an, seine Internatserfahrungen verarbeiten zu wollen
sowie die wunderbare Erkenntnis, daß echte Freundschaft wie Liebe
sei. Mit Karan Johar fand er einen berühmten schwulen Produzenten, und
die Zusammenarbeit verwundert nicht: Tarun war bereits bei Karans Filmen Kuch
Kuch Hota Hai (1998, Und ganz plötzlich ist es Liebe),
Kabhi Khushi Kabhi Gham (2001, In guten wie in schweren
Tagen) sowie Kabhi Alvida Na Kehna (2006, Bis daß
das Glück uns scheidet) Assistant Director. Oder wie Tarun es sagen
würde: Wir sind alle eine große Bollywoodfamilie. Karan
Johars Besetzungscouch ist übrigens so legendär in Indien, daß
sie ihm eine eigene Frühstückshow (Koffee with Karan)
einbrachte, damit er Gerüchte über Schauspieler und Stylisten besser
verbreiten und dementieren kann. Der 37jährige Jungstar Karan hat die
wohl berühmtesten und erfolgreichsten Bollywoodfilme produziert, aber
ihn wird es kaum verwundern, wenn Dostana nicht so ein Meilenstein
der Filmgeschichte wie KKHH, K3G oder KANK wird denn Karan glaubt an
Numerologie und daß für die Ewigkeit erfolgreiche Titel mit K beginnen
müssen und mindestens noch ein K an einem Wortanfang folgen muß.
Kritiker könnten
einwenden, daß der Film Homosexualität als westliches
Phänomen ins Ausland projiziert, in die obere Mittelschicht reicher Inder
der Diaspora. Manche Betrachter mögen ferner bemängeln, daß
der Streifen aus den Produktionsfabriken des Escapist Cinema wenig
sozialkritisch ist, männlich-weibliche Rollenbilder nicht dekonstruiert
oder weder Armut noch Prostitution noch HIV problematisiert. Die Bollywood-Komödie
ist aber dermaßen übertrieben klischeehaft, daß dies allein
bereits einer Dekonstruktion gleichkommt. Der Film ist ganz ohne Zeigefinger
ein sensibles Plädoyer für Vielfalt, Verständnis, Toleranz
und Akzeptanz. Er zeigt, daß Homosexualität auch für Machomänner
spielerisch normal und sogar der eigenen Mutter vermittelbar ist, selbst wenn
diese in hohem Maße traditionelle Wertvorstellungen verfolgt.
Dostana ist eine große Bollywood-Produktion und sehr erfolgreich angelaufen. In den ersten vier Wochen spielte er 18 Millionen US-Dollar ein. In Pakistan könnte er zum einflußreichsten Film 2009 werden. Er ist ohne Zweifel ein Zeichen der Zeit und ein Trendsetter. Hat doch der Oberste Gerichtshof in Neu Delhi am 2. und 20. Juli 2009 Homosexualität entkriminalisiert. Der seit 1861 geltende Paragraph 377 aus dem noch aus der britischen Kolonialzeit stammenden Strafgesetzbuch wurde damit endgültig als verfassungswidrig verworfen, weil er gegen den Grundsatz der Gleichheit verstößt. Beobachter gehen davon aus, daß nun ähnliche Urteile in Sri Lanka und möglicherweise Pakistan beziehungsweise nahöstlichen Ländern folgen könnten. Zum ersten Mal gibt es in Delhi nun die Möglichkeit, legal Events oder eigene Bars und Clubs für Schwule zu eröffnen.