Do
you know?
Einfache Fragen
stellte die Europäische Kommission vor einem Jahr knapp 25.000 EuropäerInnen:
Kann sich mit HIV anstecken, wer jemandem die Hand gibt, der AIDS hat oder
HIV-positiv ist, wer ein von jemandem mit AIDS oder HIV zubereitetes Gericht
ißt, aus demselben Glas trinkt oder jemanden mit HIV auf den Mund küßt
oder einen AIDS-Kranken ist pflegt? Im Februar 2006 erschien die Umfrage als
Eurobarometer Spezial Nummer 240. Gewundert über eine Seuche,
die keine ist, hat sich Dirk Ruder
Eines der wesentlichen
Elemente der Prävention der HIV-Übertragung ist die Sensibilisierung
der Menschen für das Thema. Hierfür muß zunächst ermittelt
werden, was die Menschen über AIDS wissen. Die Europäische Kommission
hatte die Bürger der alten EU15-Mitgliedsstaaten bereits in der Vergangenheit
(im Jahr 2002 Gigi), befragen lassen, um öffentliche Bewußtsein
für HIV und AIDS zu messen, heißt es in der Einleitung. Erweitert
um die zehn neuen EU-Mitgliedsstaaten, die derzeitigen Beitritts- und Bewerberländer
sowie den nicht von der Regierung kontrollierten Teil Zyperns
(also die international nicht anerkannte Türkische Republik Zypern) gliedert
sich die Erhebung in drei Teile. Im ersten wurde in etwa zehn Fragen das allgemeine
Wissen um HIV-Infektionen und deren Vermeidung erfragt, etwa, ob man sich
mit HIV anstecken kann, wenn man Blut spendet.
Ein Beispiel: Betrachtet
man die Antworten auf die Frage, ob man sich infizieren kann, wenn man jemanden
auf den Mund küßt, scheint Europa gespalten. Bei der richtigen
Antwort wie auch bei vielen anderen schneiden vier der alten
EU15-Staaten (Frankreich, Dänemark, Niederlande und Belgien) am besten
ab, während sich wie auch bei vielen anderen die neuen
Mitgliedsstaaten zumeist am Ende der Rangliste (Eurobarometer)
wiederfinden, in diesem Fall Slowakei, (Nord-) Zypern und Tschechische Republik.
Immerhin fast die Hälfte der befragten Slowaken glaubt, man köne
sich durch Küssen mit dem HI-Virus infizieren. Ein erheblicher Teil der
europäischen Bürger stimmt zudem der Aussage zu, daß man AIDS
bekommen kann, wenn man aus einem Glas trinkt, das kurz zuvor von jemandem
benutzt wurde, der AIDS hat oder HIV-positiv ist. Die höchsten
Werte erreichen hierbei die Slowakei (29%), Litauen (28%) und Ungarn (25%).
Zudem sind Litauen und die Slowakei die einzigen zwei Länder, in denen
der Prozentsatz der richtigen Antworten auf die Frage, ob man AIDS durch das
Berühren von Gegenständen bekommen könne, unter 70 Prozent
ligt der EU-Durchschnitt liegt bei 83 Prozent. Fazit: Mit einem
Durchschnittswert von 43% richtiger Antworten sind die Bürger der EU15
... viel besser informiert als die Bürger der neuen Mitgliedsländer
(28%).
Möglicherweise spiegelt
die Umfrage hier und da auch sexualpolitische Verhältnisse im Hinblick
auf die Hauptbetroffenengruppen wider. Litauen beispielsweise bereitet gerade
ein Jugendschutzgesetz vor, das ähnlich wie in im Vereinigten
Königreich noch gültige berüchtigte Clause 28 jede angebliche
Werbung für Homosexualität unter Strafe stellen soll
und damit das Reden über Sexualität und Infektionsrisiken faktisch
erschwert. Im türkischen Teil Zyperns kann Homosexualität mit bis
zu 14 Jahren Gefängnis betraft werden das auf britisches Kolonialrecht
zurückgehende Gesetz soll allerdings demnächst abgeschafft werden.
Im zweiten Komplex wollten
die Forscher wissen, ob die Betroffenen angesichts der Krankheit ihr Verhalten
geändert hätten, ob sie etwa Vorsichtsmaßnahmen beim
Geschlechtsverkehr treffen, mehr Stabilität in der Partnerwahl
anstreben, ob sie in der Studie nicht näher bezeichnete
bestimmte Kreise oder Arten von Leuten meiden
(im Original avoiding certain company und types of people).
Ferner wurde erfragt, ob der oder die Betreffende wegen AIDS vorsichtiger
ist, bei Dingen, die man berührt und ob bestimmte Orte (Gegenden,
Lokale) meidet (avoiding certain places (areas\establishments),
womit, auch wenn dies nicht klar formuliert wird, Orte des Sexbizz und der
Schwulenszene gemeint sein dürften. Mit 48% erklären durchschnittlich
fast die Hälfte aller EU-BürgerInnen, daß sie beim Sex Vorsichtsmaßnahmen
ergreifen. Nur 38% streben, übrigens zum ausdrücklichen Bedauern
der Studienautoren, mehr Stabilität bei der Partnerwahl an. Durchschnittlich
17% geben an, sie mieden bestimmte Kreise. Insgesamt 14% meiden im EU-Durchschnitt
bestimmte Orte und Lokale in der Slowakei (30%) und auf Malta (29%)
sind es mehr als doppelt so viele. Auch in Italien (24%) und Österreich
(23%) sind die Werte auch im Vergleich zu Deutschland (12%) recht hoch.
Im dritten Teil wurde
gebeten, die Wirksamkeit der aktuellen Maßnahmen gegen HIV
und AIDS zu bewerten Informationskampagnen, therapeutische Maßnahmen
des Gesundheitswesens und die Finanzierung von Forschungsprojekten in den
jeweiligen Ländern. Ergebnis: Im Schnitt 68 Prozent der Befragten meinen,
die Behandlung und Pflege von AIDS-Kranken sei die wirksamste
Maßnahme in ihrem Land (Deutschland: 67%). Kampagnen zu gefährlichen
Verhaltensweisen (im Original hazardous behaviour, was als
exakter als riskantes Verhalten zu übersetzen wäre Gigi)
werden als ähnlich wichtig beurteilt, desgleichen die Behandlung
von Menschen, die HIV-positiv sind, um den Ausbruch der Krankheit zu verzögern.
Die meisten (60%) nannten Finanzhilfen für die Forschung
als wirksame Maßnahme gegen AIDS. Immerhin 54%, also durchschnittlich
mehr als die Hälfte der Befragten befürworten allerdings verstärkte
Bemühungen, die Menschen herauszufinden, die HIV-positiv oder AIDS-krank
sind. So harmlos klingt der Ruf nach Zwangsmaßnahmen, staatlicher
Erfassung und letztlich der Anwendung des Seuchengesetzes auf und die Internierung
von Menschen mit HIV und AIDS, wie sie etwa in den achtziger Jahren die CSU
bundesweit durchsetzen wollte.
Als regelrecht kritisch
wertet denn auch das Eurobarometer die ablehnenden Werte in drei osteuropäischen
Mitgliedsstaaten zur Wirksamkeit einer Behandlung und Pflege von AIDS-Kranken
im eigenen Land: Nur 38 Prozent der Befragten in Polen (Estland 26%, Lettland
25%) heben deren Bedeutung und Wirksamkeit hervor. Diese Ergebnisse
sollten weiter beobachtet werden, da sie entweder Versäumnisse im nationalen
AIDs-Aktionsplan oder unzureichende Kommunikation bzw. Information der Gesellschaft
durch die zuständigen Einrichtung widerspiegeln könnten. Derzeit
glauben 54% der Esten, die Finanzierung der Forschung nach einem AIDS-Impfstoff
sei unwirksam (Letten 50%, Polen 44%). Die drei genannten Länder
scheinen generell kritisch gegen die Behandlung des AIDS-Themas in ihrem Land
eingestellt zu sein, bilanziert Eurobarometer hilflos. Übrigens:
In Frankreich, Griechenland, Irland und Österreich liegt in der öffentlichen
Meinung die Ablehnung einer Finanzierung der AIDS-Forschung ebenfalls wieder
im Trend.
Bilanz des Eurobarometers:
Der Kenntnisstand zum Thema HIV/AIDS in den europäischen Ländern
sei hoch. Im Vergleich zur Erhebung von 2002 habe jedoch in
den alten Mitgliedsstaaten das Wissen in Italien, Spanien und dem Vereinigten
Königreich oft und regelmäßig abgenommen. Dagegen ist der
Kenntnisstand jetzt in Portugal und Deutschland merklich höher, in Frankreich
und Belgien manchmal besser ... Zu guter letzt bestätigen die Ergebnisse
dieser Umfrage eine überwältigende Zustimmung zur weiteren Zusammenarbeit
und Harmonisierung der Bemühungen innerhalb der Europäischen Union.
Etwas weniger enthusiastisch muß indes die Zustimmung zur recht ungenauen Übersetzung einer ansonsten methodisch sauberen Studie ausfallen. So heißt es in der deutschen Fassung beispielsweise gleich im zweiten Satz: In den letzen Jahren hat in die Sorge um einen erneuten Ausbruch der Seuche zugenommen. Erneuter Ausbruch? Seuche? Mit derlei Vokabeln hat zuletzt in den achtziger Jahren das Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel getitelt, als es, garniert mit weltuntergangskompatiblen Diagrammen zur Volksgesundheit, seitenlang über die homosexuelle Promiskuität als dem Motor der Seuche orakelte. Leider wird in der Eurobarometer-Untersuchung der englische Begriff epidemic durchweg mit Seuche übersetzt, was weder sprachlich noch sachlich richtig ist eine Seuche ist nämlich nicht das gleiche wie eine Infektionskrankheit. Epidemic wäre daher eher mit ansteckende Krankheit zu übersetzen gewesen gerade auch angesichts der vom Spiegel und anderen deutschsprachigen Klatschblättern forcierten und im Kern homophoben AIDS-Hysterie. Im Original lautet der oben zitierte Satz In recent years, concerns have been raised in the European Union about the threat of a new epidemic. Auf deutsch hätte es korrekt heißen müssen, in den letzten Jahren habe die Sorge um eine erneute Infektionswelle zugenommen. Und selbst das wäre noch gelogen. Die erneute Infektionswelle ist nämlich längst da.
Die Studie zum Download: http://ec.europa.eu/health/ph_publication/eb_aids_de.pdf