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Dienstmädchenreport

Sie heißt nicht „Angie“, sondern La Muchacha. Sie kommt nicht aus dem provinziellen Templin, sondern aus der Bankenmetropole am Main. Sie ist zweisprachig aufgewachsen und beherrscht außer Deutsch nicht Russisch, sondern Spanisch. Wie die Kanzlerin trägt auch sie täglich die eigene Haut zu Markte: „La Muchacha ist eine Zeitung, die für die in der Prostitution arbeitenden Frauen – unabhängig von ihrer Nationalität – Partei ergreift. Sie will den Frauen wichtige Informationen zugänglich machen, ihren Zusammenhalt fördern und ihnen eine Stimme geben, damit sie in der Öffentlichkeit Gehör finden“, steht in der 1999 erschienenen Erstausgabe.

Genau das leistet die vom staatsfernen Verein Doña Carmen e.V. für soziale und politische Rechte von Prostituierten edierte Publikation: La Muchacha räumt mit dem Mythos auf, SexarbeiterInnen seien durchweg Opfer sexueller Ausbeutung oder des Menschenhandels, kritisiert Organisationen wie „agisra“ für ihre Kollaboration mit Repressionsorganen (kriminalisierende Razzien und Abschiebungen als faktische Berufsverbote), gibt im Frauenknast Frankfurt-Preungesheim weggeschlossenen Nutten ebenso eine Stimme wie politisch denkenden Bordellbetreibern (1999). Die Quittung dafür ist nicht selten die politische Ausgrenzung von Doña Carmen innerhalb der einst aufmüpfigen, inzwischen überwiegend im Mainstream angekommenen Hurenbewegung.

Mit der Frage, warum es „konjunkturbedingt“ am „Standort Deutschland“ zeitweise Zuwanderungserleichterungen für indische Computerexperten, nicht jedoch für ausländische Huren gab, brachte die zweite Ausgabe manche Gedanken zum Tanzen: Illegalisierung und existentielle Bedrohung – „so geht man nicht mit Menschen um, deren Dienste man ansonsten gerne in Anspruch nimmt“, steht in einem darin veröffentlichten, von „208 Frauen aus 14 Ländern“ unterzeichneten „Aufruf an die politisch Verantwortlichen der Bundesrepublik Deutschland“ zur „Erteilung einer Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis an uns ausländische Frauen, die hier in der Prostitution arbeiten!“ Pikant auch ein Gastkommentar des seinerzeitigen MdB Christina Schenk vom Juni 2001: „Die PDS unterstützt die Huren und Stricher seit langem in ihrer Forderung nach beruflicher Anerkennung. Die Annahme unseres Gesetzentwurfs würde die berufliche Diskriminierung der sexuell Dienstleistenden vollständig beseitigen.“ Kurz darauf übten sich die Sozialisten bekanntlich in politischem Opportunismus beim „Prostituiertengesetz“.

Gerade im Vorfeld von dessen Evaluation ist die aktuelle Ausgabe Nr. 5/2005 der allein aus Spenden finanzierten La Muchacha zu empfehlen, die allemal lesenswert auch für Frauen und Männer außerhalb dieses Berufsbildes ist: Hier werden brisante Teilaspekte eines tabuisierten Themas zum Preis von nur 1 Euro fachlich fundiert und in hoher Qualität aufbereitet. Und: Wo sonst, außer in der klassischen, anerkannten bürgerlichen Literatur, kommen grundlegende Texte zweisprachig daher? La Muchacha fördert so, ganz nebenbei, Sprachkompetenz und Fachterminologie in Deutsch und Spanisch.

Ortwin Passon

Bezug: Doña Carmen e.V., Elbestr. 41, 60329 Frankfurt; Tel./Fax: 069/76752880; DonaCarmen@t-online.de