Start

Die Titten von Adorno


Die Zeitschrift für Utopie- und Busenforschung „Mammopolis“, vorgestellt von Lizzie Pricken

"Fighting for peace is like fucking for virginity“ lautete ein Spruch der linken Protestbewegung im letzten Quartal des vorigen Jahrhunderts. Er beschrieb die Unsinnigkeit, sich einer Gewaltherrschaft auf gewaltsamem Weg entledigen zu wollen. Unsinnig, weil die Macht bekanntlich nicht nur das Recht, sondern auch die besseren Waffen auf ihrer Seite hat. Passiver Widerstand wurde als Alternative zur militanten Revolte einst von Mahatma Gandhi propagiert. Doch Indien ist ferner denn je, und so beruft sich das Abendland – in diesem Fall in einer „Zeitschrift für Utopie- und Busenforschung“ – erneut auf eigene Werte.

Mammopolis heißt das gerade einmal 16 Seiten umfassende, seit dem Sommer 2006 halbjährlich erscheinende Periodikum aus dem Aschaffenburger Alibri Verlag. Folgerichtig ziert das Titelblatt das berühmte Gemälde „La liberté guidant le peuple“ von Eugène Delacroix, auf dem eine Frau, das Gewehr in der Hand, mit entblößten Brüsten das Volk auf die Barrikaden führt. Darunter ein Zitat von Theodor W. Adorno: „Die Brüste der Freiheit, die das Volk führt, sind nackt“ (kursiv im Original). Zum Geleit gibt der Chefredakteur und Herausgeber Marvin Chlada seinem Publikum mit auf den Weg: „In der Geschichte der Ikonographie repräsentiert die nackte Brust sowohl den verletzlichsten als auch den aggressivsten Teil des weiblichen Körpers. Ein nackter Busen ist gleichsam eine Allegorie des Friedens und der Versöhnung, wie die des Kampfes und der Revolte.“

Zweifelsohne waren die Studentinnen der 68er-Generation noch in der Lage, die Öffentlichkeit durch das Entblößen ihrer Oberkörper auf ihre politischen Forderungen aufmerksam zu machen, doch das war vor fast vierzig Jahren! Seitdem haben die Boulevardpresse, die Herrenmagazine und die privaten Fernsehsender den Job übernommen: Titten, wohin das Auge blickt. Der einzige kritische Frage, die da noch provoziert werden soll, ist: Wie war noch gleich meine Kreditkartennummer? Denn auch heutzutage verkauft sich ein Produkt am besten, wenn es explizit mit (vorwiegend weiblicher) Körperlichkeit in Verbindung gebracht wird. Das (nach wie vor männlich dominierte) Establishment hat die Macht des Busens nicht nur erkannt, sondern für sich vereinnahmt.

Das beeindruckt den Herausgeber Marvin Chlada wenig, der eben ein Buch über die „Dialektik des Dekolletés“ geschrieben hat, worin er laut Ankündigung dem Diktum Adornos folgt: „Das einzige Heilmittel gegen die Fetischisierung des Sexuellen ist der sexuelle Fetischismus.“ Als gäbe es keinen anderen Weg, sich der totalen Verkopfung der menschlichen Sexualität zu entziehen. Aber wie gesagt, Indien ist weiter denn je entfernt vom funktionalisierten Westen, und so bleibt im Grunde nichts weiter übrig als der Versuch einer Bestandsaufnahme, wie ihn Sarah Diehl unternimmt, Herausgeberin von „Brüste kriegen“, die hierzu von Chlada ausführlich interviewt wird. In ihrer 2004 erschienen Anthologie berichten Autorinnen wie Peggy Parnass und Ingrid Strobl über ihren Umgang mit körperlichen Veränderungen in der Pubertät.

Mammopolis – Zeitschrift für Utopie- und Busenforschung. Alibri Verlag, Postfach 100 361, 63703 Aschaffenburg, Einzelheft: 2,50 Euro zzgl. Porto
Marvin Chlada: Dialektik des Dekolletés. Alibri Verlag, Aschaffenburg 2006, 126 Seiten, 12,00 Euro

Sarah Diehl (Hg.): Brüste kriegen. Verbrecher Verlag, Berlin 2004, 208 Seiten, 13,00 Euro