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Deutscher Widerstand


Das Datingportal GayRomeo ist mehr als „das schwule Einwohnermeldeamt“. Es widerspiegelt auch das, was gern als Gay Community mißdeutet wird, in seiner gesamten, jede Gemeinschaftsidee entblößenden Vielfalt. In tausenden Profilen findet der wache Geist alles Nötige, um schier zu verzweifeln: Bekenntnisse zu Dummheit, Unwissen, Bildungsunwillen und -resistenz, Arroganz und politische Naivität. Kurzum: Kernkomponenten konservativer bis rechter Haltungen.

Ein beredtes Beispiel erbrachte Mitte Juli der Hinweis des Autors an „Knuddelmuff“ (Profil Nr. 457961): „Unter einem Deiner Fotos verwendest Du das Wort ‘Intelligenzbestie’. Man sollte damit vorsichtig umgehen, denn es war ein Schimpfwort, das die Nazis erfanden (konkret Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels), um damit bei den ‘arischen Volksgenossen’ linke und jüdische Intellktuelle zu diffamieren und deren Mordinstinkte zu wecken.“ Der Profilinhaber antwortete am 20. Juli: „Ich bin mir über die Geschichte des 3. Reiches wohlbewußt, weigere mich aber, jedes Wort auf die Goldwaage legen zu müssen. ‘Schwul’ war einst auch ein Begriff, der als Schimpfwort verwendet wurde – mit der Zeit und durch den ständigen Gebrauch steht er jetzt für Selbstbewußtsein. Also ein bißchen mehr Toleranz und weniger Oberlehrer wären nicht schlecht.“

Die Replik verwies auf den Rat der Gesellschaft für deutsche Sprache, das Goebbels-Wort zu vermeiden, und gab zu bedenken: „Was Du da in jugendlichem Überschwang für tolerabel erklärst, war wesentlicher Teil des Massenmordkonzepts, ein Begriff aus dem Bereich des Verbrechens, der es legitimierte. Du forderst somit nichts anderes als: man solle tolerant sein gegenüber dem Hetzbegriff, den kein Geringerer als Joseph Goebbels erfand, der Mann also, der gemeinsam mit Adolf Hitler und Hermann Göring die personelle Führungsspitze des NS-Regimes bildete.“ Nach seiner Logik „müßte man jetzt auch tolerieren, wenn jemand mit nationalsozialistischen Ausrottungsbegriffen wie ‘Untermensch’ bezeichnet wird oder ‘Volksschädling’. Du aber verharmlost solche Begriffe mit dem Verweis auf das sehr viel ältere Wort ‘schwul’, das zwar diskriminierend, aber keineswegs der Sprache des ‘Dritten Reiches’ zuzuordnen war und nur deshalb von der Zweiten deutschen Schwulenbewegung ... als Selbstbezeichnung umgewertet werden konnte ...“

Der 22-Jährige wußte es besser. Er habe „zwei Jahre in der Gedenkstätte deutscher Widerstand gearbeitet und eine wissenschaftliche Abhandlung über den §175 von der Nazizeit bis 1994 geschrieben. Also nochmal: Ein bißchen weniger Oberleher gegenüber Menschen, von denen Du nichts, aber wirklich absolut nichts weißt, wäre angemessener! Nachdem wir nun unsere beiden Standpunkte klar gemacht haben – betrachte ich diese Diskussion als beendet.“ Einer entsetzensbekundenen letzten Nachricht folgte am 22. Juli als letzter Gruß dies: „Zieh Leine, Alter – ich halte Dich für einen ziemlichen Spinner, und mit sowas (!) wünsche ich einfach keinen Kontakt.“

Genau eine Woche später erklärte der Bundesgerichtshof die Parole „Ruhm und Ehre der Waffen-SS!“ für nicht strafbar..

Eike Stedefeldt