Comedy,
nur nackt
Einer aktuellen Filmdokumentation des Medienprojekts Wuppertal e.V. Jugendvideoproduktion- und -vertrieb ist es zu verdanken, daß Jugendliche zum Thema Pornographie endlich einmal selbst zu Wort kommen, anstatt wie üblich von Müttern, Medien und Ministern zu unmündigen Opfern degradiert zu werden. Ihre Sachkunde und Offenheit überraschten Lizzie Pricken
SUm den abgründigen
Verkehr durch angeblich eine halbe Milliarde (!) pornographische Seiten besser
zu kontrollieren, hat Ursula von der Leyen (CDU) pünktlich zur Bundestagswahl
fünf großen deutschen Providern einen Vertrag aufgenötigt,
um gewisse Teile des Datensumpfes mit virtuellen Warnschildern auszutrocknen.
Ein rotes Stopp soll fortan No-Go-Areas markieren; ob sich dahinter
wirklich Kinderpornographie verbirgt oder, schlimmer noch: die Online-Ausgabe
des Kommunistischen Manifests, kann kein Surfer überprüfen. Daß
sie damit automatisch andere Pornoseiten in den grünen Bereich legitimiert,
fällt Frau Ministerin offenbar ebenso wenig auf, wie der Umstand, daß
sich kaum ein überzeugter User davon abhalten läßt, diese
laut von der Leyen rote Ampel zu überfahren,
auch wenn sie Konsequenzen androht. Prompt wurde ihr dafür
aus oppositionellen Kreisen purer Aktionismus vorgeworfen. Wahrscheinlich
weiß man dort mehr als die Vielfachmutter über die klägliche
Wirkung von Strafandrohungen und darüber, daß Verbote erst recht
Neugier wecken.
Apropos Kinder: Wie gehen
sie eigentlich mit dem Überangebot an Porno-Websites um? Klicken sie
wirklich auf Leave, wenn bei YouPorn als Voraussetzung für
die Enter-Taste das vollendete achtzehnte Lebensjahr verlangt
wird? Das Filmprojekt der Medienwerkstatt Wuppertal beleuchtet dieses Tabu,
das Kinder und Jugendliche bislang nur als Dargestellte und Darsteller, nicht
aber als Konsumenten betrachtet. Dabei hatte die englische Feministin Susanne
Kappeler lange vor Einzug des Internets in die Schlafzimmer in ihrer 1986
erschienenen Analyse Pornographie. Die Macht der Darstellung vorhergesehen,
daß Pornographen weltweit versuchen würden, ihren Industriezweig
flächendeckend auszubreiten. Daß ihnen dies in den vergangenen
drei Dekaden gelungen ist, beweisen Aussagen der im Film von Jugendlichen
portraitierten Jugendlichen, die erstaunlich offen ihre Erfahrungen schildern.
Seinen ersten Pornofilm hat beispielsweise der 19jährige Schüler
Bruno mit 14 Jahren geguckt, die 18jährige Schülerin
Jana erinnert sich, es war mit 15, 16 so beim Surfen im Internet.
Auch die 20jährige Studentin Tebessa war gerade 14 oder so. Halt
bei irgendwelchen Kumpels damals, wenn wir zu Hause waren. Die hatten natürlich
den ganzen PC voll. Und dann bei einer kleinen Houseparty hab ich ... oder
haben wir Mädels natürlich mal den PC durchsucht. Bei dem
18jährigen Schüler Joschi begann die Aufklärung
noch früher: Das erste, was ich so gesehen hab, war so ein Pornoheftchen.
Das habe ich so im Schrank gefunden von meinem Onkel. Und meinen ersten Pornofilm
habe ich, glaube ich, mit neun oder zehn Jahren gesehen.
Meistens würden sie durch Ältere in den Konsum eingeführt,
erklärt der 21jährige Student Sascha: Meinen ersten Porno
habe ich bei Sch. auf dem Geburtstag gesehen, da waren wir 14. Der Bruder
ist gerade 18 geworden und hat als Geburtstagsgeschenk für Sch. zwei
Pornos ausgeliehen. Einer hieß: Der Fotzen-Doc. Dabei
schwankt die Betrachtungsweise von Kindern und Jugendlichen zwischen Neugier
und Erstaunen. Dazu Sascha: Pornos finde ich in erster Linie unglaublich
lustig. Es gibt wenige Comedyfilme, die an manche Pornos rankommen. Natürlich
gibt es da Szenen, wo man denkt: Wow, die sieht super aus. Mit der könnte
ich mir auch vorstellen, Sex zu haben. Vor allem bei Mädchen und
jungen Frauen schlägt der Unterhaltungsfaktor mitunter in Ekel um, berichtet
die 20jährige Auszubildende Juliana: Die Situation, in der ich
mir einen Porno angucke, also das ist eher so zur Belustigung. Das ist dann
eher auf irgendeiner Party, da schiebt dann ein Freund einen Porno rein und
am besten dann noch irgendeinen 70er-Jahre-Porno: behaart ohne Ende, die ganzen
Leute. Und dann guckt man und denkt: Boah, wie ekelhaft! Wie Susanne
Kappeler treffend bemerkte, kommt es bei der Betrachtung von Pornographie
mitnichten auf Moral oder Ästhetik an, da diese Faktoren sich im Laufe
der Zeit ändern, sondern vielmehr um den Blick des Betrachters auf das
Objekt der Begierde. Dabei habe sich im Laufe der Zeit der überlegene
männliche Blick auf die Sichtweise von Frauen übertragen, die diesen
dann einmal verinnerlicht unbewußt auf ihren eigenen Körper
und den anderer Frauen (und Männer) übertragen. Kappeler zitiert
John Berger aus seinem Buch Sehen, daß 1981 in Berlin erschien:
Männer schauen Frauen an. Frauen schauen zu, wie sie betrachtet
werden. Dies bestimmt nicht nur die meisten Beziehungen zwischen Männern
und Frauen, sondern auch die Beziehung von Frauen zu sich selbst. Der Begutachter
von Frauen in der Frau selbst ist männlich: Die Begutachtete ist weiblich.
In dieser Weise macht sie sich selbst zum Objekt und im besonderen
zum Sehobjekt: zu einem Anblick. Einige Frauen glauben, den Spieß
umdrehen zu können, wie die Verlegerin Gloria Leonard, die Anfang der
80er in den USA ein Softcore-Heft mit dem bezeichnenden Titel High Society
mit der Behauptung herausbrachte, daß sie sehr viel für den Feminismus
tue, denn ich zeige Frauen, und auch Männern, daß es ganz
in Ordnung ist, ein Sex-Objekt zu sein. Um ein vollständiger Mensch zu
sein, gehört das dazu. Und je früher ein Mensch dies begreift,
umso besser ist es für die Industrie!
Einstiegsdrogen gibt es
längst an jeder Ecke. Bruno, 19, Schüler: Das fing an mit
Heftchen an der Tankstelle, die billigen ... Bald lockt härterer
Stoff, wie bei Joschi: Heftchen nicht mehr, das war damals, wo ich 14,
15 war. Jetzt eigentlich nur noch Internet. Ich mein, da kommste manchmal
auf Seiten, da denkste: Nee, übertreib nicht! Wenn die auf dem Boden
liegt und 20 Männer spritzen drauf und du siehst die gar nicht mehr,
weil alles weiß ist ... Nee, nee! Zusätzlich sorgen Netzwerke
für den internen Vertrieb: Man bekommt von irgendwelchen Freunden
Videos oder tauscht sie aus; oder du brauchst einfach bei Google eintippen
und da hast du sofort tausend Treffer und findest da irgendwas, erläutert
der 22jährige Student Victor. Die Pornographieschwemme bedeutet indes
mitnichten, daß junge Menschen keine eigenen Phantasien entwickeln möchten
sie werden ihnen jedoch weitestgehend vorenthalten, auch dadurch, daß
es nach den radikalen Strafrechtsverschärfungen der letzten Jahre schon
rein juristisch unmöglich wäre, in der Schule eine Diskussion um
Sexualität zu führen oder gar Pornographie unter Begleitung qualifizierten
Lehrpersonals gemeinsam zu analysieren. So müssen sich Heranwachsende
ihre Informationen eben woanders besorgen.
Dabei wünschen sich
viele von ihnen durchaus Alternativen zu den herrschenden Bildern. Wie Juliana:
Ich brauch da eigentlich keinen Porno zu. Ich denke dann einfach an
irgendeine schöne Situation oder so an private Dinge, die mich irgendwie
viel mehr berühren, als so fremde Leute anzugucken, wie die es miteinander
treiben. Oder Tebessa: Ich glaube sowieso, daß Frauen sich
nicht wirklich Pornos angucken, um irgendwie geil zu werden. Das sind schon
eher Männer, die Pornos gucken; bei denen hat das auf jeden Fall so ne
Wirkung, daß die dann schon mehr ran wollen. Das wird indirekt
von den jungen männlichen Betrachtern bestätigt. Auf die Frage,
was sie sich am liebsten angucken, antwortet Joschi: Da kommt noch so
ein Extrareiz dazu, wenn du siehst, daß das Mädchen Schmerzen hat.
Ich weiß nicht, das ist komisch. Die konsumierten Bilder bleiben
im Kopf und führen bei realen Begegnungen unwillkürlich zu Diskrepanzen,
wie Sascha erlebte: Männer kriegen halt schnell diese Gedanken,
daß Frauen leicht zu haben sind. Und diese Erfahrung habe ich bisher
noch nie gemacht. Mitunter wird auch der angebliche Spaßfaktor
schnell zur Lustbremse, vor allem, wenn die Inszenierung nicht professionell
genug ist. Jana: Mir persönlich gefallen Amateurvideos weniger,
ich muß dann immer lachen. Das trifft genau meinen Humor, und wenn ich
dann dasitze und lache, bin ich natürlich nicht mehr geil. Dann brauche
ich auch keinen Sex. Das hört sich jetzt oberflächlich an, aber
ich möchte auch gern, wenn ich mir einen Porno angucke, Leute haben,
die halbwegs gut aussehen. Vor allem unten rum. Und wenn man dann irgendwie
ne 60jährige Dame hat, die irgendwie ... Wenn man sich das anguckt,
möchte man das gar nicht haben und dann klickt man das weg, aber das
bleibt natürlich trotzdem irgendwie im Kopf drin.
Daß vermeintliche
Wirklichkeitsnähe stören kann, findet auch Tebessa: Bei der
normalen Pornographie, da ist die Idealfrau wahrscheinlich 90/69/90, lange
blonde Haare, aufgespritzte Lippen. Der Mann ist einfach so ein Muskelpaket
mit einem Riesenteil. Und das ist einfach nicht realistisch und das ist, denke
ich, der Reiz daran.
Vielleicht werden Pornos deshalb nicht nur als Wichsvorlage, sondern im Zweifelsfall
als Stärkung des Selbstbewußtseins erlebt, zumindest von jungen
Männern. So meint Bruno: Pornos haben meine Sexualität insofern
verändert, daß ich ein guter Ficker geworden bin. Es hat mir die
Angst genommen, was Falsches zu machen. Das ist immer dabei, aber ich war
mir schon ein bißchen sicherer in meiner Sache. Wenn ich eine Freundin
habe, dann habe ich eh jeden Tag Sex. Deswegen brauche ich dann nicht zu masturbieren.
In der Regel werden normale Pornos bevorzugt, erklärt Joschi,
als wenn die sich gegenseitig in die Fresse kacken oder so. Ich meine,
hallo? Was hat denn das mit Sex zu tun? Pinkelspielchen sind manchmal cool,
aber nicht bei so ekeligen, oder so Oma-Pornos. Boah Jungs. Krass. Das kann
man sich ja nicht geben.
Insgesamt scheint sich
der gemeinsame Pornokonsum mit der Partnerin bei Mädchen wie Jungen eher
in Grenzen zu halten. Joschi: Zu der Zeit, wo ich ne Freundin
hatte, habe ich nie Pornos geguckt. Ich habe mir mal, das war sogar das Lustige
daran, mit meiner Freundin einen Porno angeguckt und dann fand ich das abstoßend
und vor allem, was guckst du einen Porno, wenn du voll die geile Sau neben
dir hast! Jana meint: Mit meinem Freund zusammen würde ich
niemals im Leben einen Porno angucken. Nicht aus dem Grund, daß mich
das stört, sondern weil ich da viel zu eifersüchtig für wäre.
Wenn ich merke, daß ihn da irgendwas erregt, würden da für
mich alle Schranken runtergehen. (...) Natürlich hat man vor allem als
Frau immer im Hinterkopf, daß der Freund Pornos guckt und daß
man selber diesem Ideal da entsprechen muß und diesen Schuh ziehe ich
mir gar nicht erst an, weil ich weiß, daß ich da sowieso nicht
gegen ankommen kann.
Eltern kommen übrigens
als Ansprechpartner ebenso wenig in Frage wie Lehrer, zumeist akzeptieren
sie stillschweigend die Entwicklung ihrer Kinder im Rahmen der dargebotenen
Möglichkeiten, die nun einmal bis auf die Verbotszonen
zur postmodernen Medienlandschaft dazu zu gehören scheinen. Manche Kinder
klären sie sogar auf, wie Joschi: Ich glaube, durch mich ist meine
Mutter damit lockerer geworden. Ich bin ja nur mit meiner Mutter aufgewachsen.
Jana hat da hingegen ihre Zweifel: Ich weiß, daß meine Mutter
Pornos fürchterlich abstoßend und frauenverachtend findet und ich
habe dann kurz überlegt, ob ich vielleicht auch so denke. Teilweise sind
Pornos frauenverachtend, aber es gibt auch männerverachtende Pornos,
und außerdem spielen beide Charaktere da freiwillig drin mit. Frauenverachtend
wäre, wenn die Frau keinen Spaß dran hätte. Wenn Frauen eher
die untergeordnete, also die devote Rolle spielen, dann ist direkt Zeter und
Mordio und alle kriegen eine Krise, weil das ja ach so unsachgemäß
ist. Und bei Männern ist das dann so: Ja, das muß ja auch mal so
sein, weil Frauen müssen ja auch mal ihre Rechte ausleben ... Das finde
ich einfach albern. Entweder man guckt Pornos oder man guckt keine, aber wenn
man sie nicht guckt, sollte man nicht darüber herziehen.
Womit wir wieder bei Frau
Ministerin von der Leyen wären, der es möglicherweise ohnehin weniger
um Inhalte als um das Image einer vermeintlich handlungsfähigen Regierung
gegen die laut BKA organisierte Kriminalität geht. Besser
spät als nie, möchte man denken. Die US-amerikanische Theoretikerin
Deirde English bezeichnete in ihrer Abhandlung The Politics of Porn
aus dem Jahr 1980 (!) die Multimillarden-Dollar-(Porno-)Industrie bereits
als teilweise kriminell organisiert. Ob vermeintliche Bußgelder,
die eine zukünftige Internetpolizei den Über-Rot-Fahrern
verpaßt, allerdings Kinder- und Jugendeinrichtungen zugute kommen
dazu hat Frau Ministerin bisher nichts verlautbar gemacht.
Geiler Scheiß. Ein Film über Jugendliche und Pornographie. DVD, 45 Minuten. Medienprojekt Wuppertal e.V. (Hofaue 59, 42103 Wuppertal), 2008. Kauf: 30,00 Euro, Ausleihe: 10,00 Euro