Charlie's
Angels
Warum Darwin? Welche Bedeutung hat ein Naturforscher, der vor 150 Jahren ein Buch über Tiere veröffentlichte, für moderne Sexualitäten? Wer liest heutzutage noch vergilbte Schriften über die Entstehung der Arten oder die Abstammung des Menschen? Überlegungen zum Darwinismus und dem kreationistischen Rollback, angestellt von Florian Mildenberger
Viel eher, als mit Darwins
Lehre im Original, sieht man sich mit den zeitgenössischen antidarwinistischen
Kreationisten konfrontiert, die von einem Intelligent Design faseln
und über ihren Anhänger George W. Bush bereits segensreich in der
Welt verbreiten durften, was darunter zu verstehen sei. Sie sehen sich als
Vollstrecker eines göttlichen Willens und lehnen alle gesellschaftlich
fortschrittliche Entwicklungen ab, die sich seit der Antike so ergeben haben.
Nur bei Waffentechnologie ist man progressiver. Auch der republikanische Bewerber
um die US-Präsidentschaft Mike Huckabee sieht sich bei seinem Kreuzzug
gegen Abtreibung, Homosexualität und politische Gegner als neuer Prophet.
Dasselbe gilt für die europäischen Kreationisten, deren prominenteste
bislang meist im Gewand römischer Kardinäle oder polnischer Bildungsminister
auftraten. Das englische Schulsystem gestattet privaten Geldgebern,
die in notwendige Restaurierungsmaßnahmen staatlicher Schulen in wirtschaftsschwachen
Gebieten investieren, im Gegenzug die Unterrichtsinhalte mitzugestalten
berichtete Stefanie Schneider schon 2005 auf heise.de. So wurde das
Emmanuel College in Gateshead, Nordost-England (gegründet 1990), durch
den Autohändler, Millionär und christlichen Fundamentalisten Sir
Peter Vardy finanziert. Auch hier werden sowohl die Evolutionsbiologie als
auch der Kreationismus im naturwissenschaftlichen Schulunterricht gelehrt.
So können sich Schüler ganz in Shakespearescher Manier
ihre eigene Meinung bilden; wie es ihnen gefällt. Vardy hat indes eine
zweite Schule gegründet und die Gründung weiterer angekündigt.
Und als mittelbare Folge der Zerschlagung der atheistischen Bundesrepublik
Jugoslawien gelangte im September 2004 ein Vorstoß Serbiens an
die Öffentlichkeit, die Evolutionslehre gänzlich aus den Schulen
zu verbannen. Nach massivem Widerspruch seitens serbischer Wissenschaftler
und nicht zuletzt des Oberhaupts der serbisch-orthodoxen Kirche wurde das
Vorhaben wieder zurückgezogen, so Schneider weiter, die auch auf
die starke kreationistische Bewegung in der Türkei verweist,
die sich durch den Kontakt mit US-Kreationisten formiert hat. Seit 1999
werden türkische Professoren, die Evolutionsbiologie lehren, schikaniert
und bedroht. Es gibt keine öffentliche Opposition zum Kreationismus;
dem einzigen Lehrstoff in türkischen Schulbüchern. In anderen muslimischen
Ländern wie Pakistan wird die Evolutionslehre nicht mehr an Universitäten
gelehrt.
Doch auch konservative
Politiker hierzulande sind für Gedankengut anfällig, das ihnen eine
Rolle auf Augenhöhe mit etwas zubilligt, das sie Gott nennen.
So hatte die hessische Kultusministerin Karin Wolff (CDU) im Juli 2007 nicht
nur ein massenmediales Coming-out als Lesbe, sondern auch als Befürworterin
des Kreationismus. Damit wäre die pseudowissenschaftliche Blödelei
auch bei den deutschen Homos angekommen. Wobei bezweifelt werden darf, daß
Frau Wolff und ihre Artgenossen überhaupt eine auch nur periphere Ahnung
von Darwin und dem Darwinismus haben, so gern sie sich auch dieser und jener
Versatzstücke aus den Abgründen deutscher Darwin-Rezeption bedienen.
Darin sind sie sich mit den Befürwortern der Evolutionslehre durchaus
einig: Alle nutzen sie die gleichen Begriffe, ohne überhaupt zu wissen,
woher diese, mit Darwin gesprochen: stammen.
Das geschieht gerade dann,
wenn vom Gemeinwohl die Rede ist. Damit daraus nicht das Wohl der Gemeinen
wird, gibt es Selektion und für diejenigen, die nicht zu viele Blicke
für das Wohl Aller übrig haben, dient das Schlagwort der Eigenverantwortung.
Funktioniert die nicht, so ist es je nach politischer Grundhaltung das Milieu
oder die Herkunft schuld, also entweder Umwelt oder Gene. Das
eine, so glaubten die Familienplaner der UdSSR, ließe sich ändern,
und so würden die Kinder der Gestrauchelten schon als gute Kommunisten
zur Welt kommen. Die Gene hingegen liegen fest, da hilft dann nur noch Abschieben
(bei Ausländern) oder Wegsperren, am besten für immer
(bei deutschen Straftätern). Spielt die Sexualität die Hauptrolle,
wenn sich jemand nicht eigenverantwortlich für das Gemeinwohl unter Kontrolle
bekommen kann, darf gerne auch die Kastration diskutiert werden.
Aber es geht auch einfacher.
Zum Beispiel, indem externe Experten der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt
(SPD) raten, den Versicherungsschutz nur noch dann gelten zu lassen, wenn
die Beitragszahler die kostenintensiven Krankheiten nicht selbst verursachen.
Recht harmlos begann das mit den Tattoos, deren Entfernung jetzt privat zu
zahlen ist. Doch nun wird weiter diskutiert, über AIDS, das plötzlich
nur eine Geschlechtskrankheit sein soll, und die bösen Barebacker. Vor
etwa 90 Jahren hatten schon mal Ärzte geraten, Syphilitikern jede staatliche
Unterstützung zu entziehen. Sie seien ja selbst schuld an ihrem Schicksal,
gerade Arbeiterinnen, die knapp vorm Verhungern auf den Strich gegangen waren.
So werde außerdem der Selektion im Daseinskampf wieder zum Durchbruch
verholfen, die in der modernen Zivilgesellschaft durch unnötige Humanitätsduselei
unterbunden würde: Der Sozialdarwinismus war geboren. Diese Ärzte,
Biologen und Sozialforscher nannten sich Rassenhygieniker und bedienten sich
der Analogieschlüsse aus dem Tierreich. Alles war natürlich wissenschaftlich
abgesichert mittels viel Statistik. Die Sprache war distanziert, objektiv
und galt nur dem Wohl derjenigen, die sich gut verhielten, um die wertvollen
Deutschen nicht aussterben zu lassen. Die Begriffe haben sich verändert,
aber eine Konstante geblieben: Die Ressourcenverknappung war damals wie heute
die Triebfeder der politisch Verantwortlichen zur Strangulierung des Sozialstaates
und der gesellschaftlichen Freiheiten.
Um nicht in den Untergangsstrudel gerissen zu werden, gibt es heute zwei Möglichkeiten: Zum einen der nervenaufreibende und rufschädigende Kampf gegen diese Denkstrukturen, die so verankert sind, daß man sie gar nicht mehr benennt, zum anderen das Betteln um Anerkennung, auf daß man doch noch in die Volksgemeinschaft aufgenommen werde. Man bedient sich der Argumentationsweise der Gegner, um selbst auf Menschenjagd in der eigenen Gruppe zu gehen. Um bei den Stärkeren zu sein, setzt man auf Selektion und die Beseitigung derjenigen, die der eigenen Errettung im Wege zu stehen scheinen. Das ist der Schlüssel, um zu verstehen, warum Vertreter des LSVD gegen Barebacker agieren. Sie wollen die Homo-Ehe, weil Ehe für Monogamie steht und damit konsensfähig ist. Um auch noch direkt an der Evolution teilhaben zu können, möchte man das Adoptionsrecht modifizieren. Stets von der Hoffnung getrieben, so irgendwann Anerkennung und Aufnahme in die Selektionsgemeinschaft zu erreichen. Dafür schlägt ein schwuler Regierender Bürgermeister dann einen Endokrinologen, dessen Name für den Willen zur Ausrottung der Homosexualität steht, für den höchsten Orden der Republik vor und nimmt ein LSVD-Grüner in derselben Zeremonie ein Bundesverdienstkreuz widerspruchslos an. Hierfür biegt man die eigene Geschichte zurecht, verleugnet sich und das Leben seiner Sexualpartner. Das tragische Moment dabei ist, daß die selbst berufenen Sozialdarwinisten nicht einmal wissen, warum sie das tun. Sie wissen nicht, auf wessen Spuren sie sich bewegen, wen sie für sich interpretieren und wie das Ende aussieht. Ein Blick in das Werk Darwins könnte helfen. So waren für den englischen Naturforscher drei Aspekte elementar für die Evolution der Organismen: aktive und passive Umweltanpassung, Verschiedenheit statt Konformität, Individualbetrachtung statt Kollektivurteil. Das wären wohl die drei Engel für Charlie. Leider reden sie seit 1859 nur englisch, was die Verständigung erschwert. Hierzulande steht Darwin hingegen für Selektion, Recht des Stärkeren und Beseitigung derjenigen, die dem Daseinskampf nicht gewachsen seien.