Indien, das Land mit der weltgrößten Filmproduktion, entdeckt
langsam andere Seiten des Lebens, wo es bisher bestenfalls zarteste Andeutungen
in den opulenten und klassischen musikalischen Bollywood-Streifen gab. Grund
genug für die 14. Lesbisch-schwulen Filmtage Hamburg, letzten Herbst
Filme vom Subkontinent zu präsentieren.
Mango
Soufflé von Mahesh Datani (44) ist eine Art Boys in the Band meet
Bollywood. Ein gut situierter Inder lädt zur Party: sein Ex-Freund, Freunde,
einen TV-Star (der nicht offen schwul ist), seine Schwester und deren Verlobten.
Auch wenn er über weite Strecken dem zugrunde liegenden Theaterstück
verhaftet bleibt und wenig filmische Qualitäten entwickelt, gibt der
Film einen interessanten Einblick in eine uns fremde (schwule) Kultur. Der
Regisseur, Dozent an der Portland State University: Ein Stück,
dem die meisten Regisseure mit Zurückhaltung begegnen. Wahrscheinlich,
weil wir immer noch zimperlich mit Sexualität sind, es wird nicht offen
darüber geredet, speziell über alternative Sexualität oder
schwule Beziehungen. Ich schreibe für meine Kreise, das städtische
Mittelschichts-Indien. Meine dramatischen Spannungen entwickeln sich in Personen,
die nach einer Feiheit von der Gesellschaft streben. Ich suche nichts Sensationelles,
bisher Ungesehenes. Aber es gibt einige wenig untersuchte Themen, die auch
Platz verdienen. Es bringt nichts, sie unter den Teppich zu kehren. Wir müssen
die Marginalisierten verstehen, einschließlich der Schwulen. Jeder fühlt
sich in bestimmten Zusammenhängen isoliert. Das macht uns zu Individuen.
In der Pause während der Premiere des Theaterstückes, hörte
ich den Mann eines älteren Ehepaares sagen: Weißt du, in
Europa erlauben sie Schwulen sogar zu heiraten, Männer heiraten Männer,
Frauen heiraten Frauen ... Sie antwortete: Ich habe davon gelesen.
Dinge ändern sich nun. Es ist alles offen. Da war kein Werturteil
in ihrer Unterhaltung, nur Erstaunen. Das hat mich sehr berührt.
Der Dokumentarfilm
Miss Manju Truck Driver ist das klischeefreie Porträt einer Truckerin
Big Daddy, die sich als halb Shiva/Mann, halb Shakti/Frau bezeichnet
und mit ihrem Geschäft auf eigenen Beinen steht, die mit anderen Truckern
abhängt und die Machorolle verinnerlicht hat, aber selber weder raucht
noch trinkt und abends zu ihrer Freundin nach Hause kommt. Die Regisseurin
Sherna Dastur, die ihren Film nur dank der Hilfe des profilierten Dokumentarfilmers
Sehjo Singh drehen konnte, der als Produzent fungierte: Manju ist sich
der Kamera und der verschiedenen Images, die sie kreiert, sehr bewußt.
Das ist es, was diesen Film besonders macht die Reflexion ihres Bedürfnisses,
sich ständig zu inszenieren. Das ist auch meine Hauptmotivation, ihr
bei der Konstruktion ihres eigenen Bildes zu helfen.
Flying with one wing von Asoka Handagama aus Sri Lanka zeigt das Leben
einer verheirateten Frau. Die lebt allerdings als Mann und kann so mit ihrer
Geliebten zusammen sein und als Automechaniker arbeiten. Ihr Doppelleben bleibt
jedoch nicht unentdeckt ihr Kollege denkt, sie sei schwul und der Arzt
erpreßt sie mit seinem Wissen. Der Film mit einem wenig schönen,
wenngleich nicht gänzlich hoffnungslosen Ende ist, wie auch Boys dont
cry, nichts für schwache Nerven. Der Regisseur, ein Ökonom im
mittleren Management der sri-lankischen Zentralbank: Die Frage der Geschlechterpolitik
in der männlich dominierten sri-lankischen Gesellschaft war Thema der
meisten meiner Werke. Aber ich habe etwas Neues zu sagen. Jedes Mädchen
begreift von Kindesebeinen an, daß seine Weiblichkeit eine
soziale Konstruktion ist. Sie begreift auch, daß Männlichkeit
als überlegen betrachtet wird. Entsprechend will jedes Mädchen nicht
nur eine Frau, sondern auch ein Mann sein, was sie beim Heranwachsen in ein
Dilemma führt. Nach und nach wird ihm klar, daß es innerhalb der
rituellen und traditionellen Mann-Frau-Beziehungen in der Gesellschaft das
Schicksal der meisten anderen Frauen teilt. Es hat keine Wahl als die Frau
eines ihr überlegenen Mannes zu werden. Es kommt nicht um die Unterdrückung
des Mannes in ihr herum und wird am Ende eine Frau, die in diese Gesellschaft
paßt. Allein männliche Kleidung und Verhalten bestimmen die Männlichkeit,
nicht unbedingt das biologische Geschlecht, solange es nicht eröffnet
wird. Und über den Prozeß des Filmemachens: Es ist
das erste Mal, daß in diesem Teil der Welt Geschlechterpolitik auf diese
Weise aufgegriffen wird. Das muß bei der Bestimmung des geeigneten Genres
in Betracht gezogen werden. Es hat Filme mit ähnlichen Charakteren im
Westen gegeben. Dieser Film unterscheidet sich sehr davon. Es ist das Porträt
eines im Kontext der Geschlechterpolitik fatalen Lebenskampfes. Daher würde
die Adaption solcher Genres hier die Tiefe zerstören. Mit einem eigenen
Weg der Präsentation muß experimentell werden. Dies geht über
die Vorstellung eines Drehbuches hinaus.
Ira Kormannshaus