Es
gibt nichts, außer Wissen ist der Name einer Menschenrechtsgruppe
um die Aktivistin Rakieta Sawadogu-Poyga in Burkina Faso. Seit 1998 betreibt
sie Aufklärungsarbeit zum Thema weibliche Genitalverstümmelung (FGM)
mit zunehmendem Erfolg. Die Gruppe gehört zu einer wachsenden
Bewegung, die in ganz Afrika versucht, Frauen wie Männer zur Beendigung
dieses blutigen Rituals zu bewegen. Die Zahl verstümmelter Frauen auf
dem Kontinent liegt bei über 140 Millionen. FGM wird in 28 Ländern
praktiziert, vor allem in ostafrikanischen wie Ägypten, Dschibuti, Eritrea
und Somalia. Aber auch im westafrikanischen Mali und Guinea liegt der Anteil
der betroffenen Frauen bei fast 100 Prozent. Da die meisten schon im Kindesalter
mit der Beschneidung konfrontiert werden und immer noch zwei Drittel der Analphabeten
Frauen sind, setzt die Kampagne auf Bildung statt Beschneidung.
Es sind tragischerweise die Großmütter oder gar die Mütter
selbst, die ihre eigenen schmerzvollen Erfahrungen an ihre Töchter weitergeben.
Was auf den ersten Blick gerade auch für vermeintlich aufgeklärte
Europäer als befremdlich oder barbarisch erscheint, hat bei näherem
Hinsehen durchaus nachvollziehbare Gründe. Die ländlich geprägte
afrikanische Gesellschaft läßt wenig Raum für individuelle
Entscheidungen und Lebensweisen. So geht es bei der Beschneidung nicht zuletzt
um Zugehörigkeit, damit verbundene Chancen auf dem Heiratsmarkt und um
die Sicherung der Existenz als Frau.
Erstaunlich ist in dem Zusammenhang viel eher die Anzahl der zivilisierten
Frauen, die sich noch im 21. Jahrhundert freiwillig und wider besseres Wissen
der plastischen Chirugie bedienen, um über Fettabsaugen, Facelifting
und Silikonimplantate ihre Chancen auf dem Fleischmarkt zu erhöhen. Eine
afrikanische Aktivistin brachte es im Rahmen der Weltfrauenkonferenz auf den
Punkt: Wir beschneiden unsere Frauen nur. Ihr weidet sie aus,
womit sie sich auf die auch hierzulande enorme Zahl von Operationen an der
Gebärmutter bezog. Zwar zielt die afrikanische Aufklärungsarbeit
in erster Linie auf Frauen und Mädchen, doch werden auch traditionelle
und religiöse Autoritäten von Anfang an als Multiplikatoren einbezogen.
Eine andere wichtige Zielgruppe sind die Beschneiderinnen selbst, denen alternative
Tätigkeiten angeboten werden. Nicht zuletzt werden auch Männer aktiviert,
da sie schließlich in der Regel mit den beschnittenen Frauen zusammen
leben und oft unter deren körperlichen und seelischen Folgen mitleiden.
Manche haben diese Notwenigkeit bereits erkannt und unterstützen die
Gruppen. Wichtig ist vor allem, das Tabu des Schweigens zu brechen. Daß
die FGM neben lebenslangen Schmerzen auch große gesundheitliche Risiken
wie HIV-Ansteckungsgefahr durch unhygienische Operationen und Tod im Kindbett
nach sich zieht, ist ebenso ein Argumente für ihre Abschaffung. Nur sind
die Mittel zur Verbreitung von Informationen spärlich, und in abgelegenen
Gebieten fehlt es zudem an der dafür nötigen Infrastruktur.
Eine der Organisationen, die sich seit den 90er Jahren aktiv an der Aufklärung
beteiligt, ist Terre des Femmes in Tübingen. Dort gab man bereits 1999
ein Fachbuch mit Textsammlungen afrikanischer, deutscher und amerikanischer
Aktivistinnen und Aktivisten gegen die im Westen allgemein verbreitete Sensationsberichterstattung
heraus. Nun liegt es in aktualisierter Fassung vor: In 25 Artikeln aus zehn
Ländern kommen neben Daten und Fakten zur Genitalverstümmelung auch
und vor allem die Erfahrungen und Meinungen der zumeist afrikanischen Protagonistinnen
im Kampf um die Unversehrtheit des weiblichen Körpers zu Wort. Aktuelle
Berichte über Aktionen und Projekte vor Ort ergänzen das Bild. Neben
einer Liste von europaweiten Anlaufstellen für Afrikanerinnen wird näher
auf deren rechtliche Situation in Europa wie Afrika eingegangen. Ein Exkurs
in die europäische Medizingeschichte (siehe dazu nebenstehenden Beitrag)
rundet das Thema ab. Insgesamt ist der Band ein gelungenes Plädoyer,
weltweit gemeinsam für die Befreiung von körperlicher und seelischer
Begrenzung nicht nur von Frauen einzutreten.
Lizzie Pricken