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Sodomiter, Urninge, Homosexuelle, Schwule

Zur Buchmesse 1991 startete die „Bibliothek rosa Winkel“ im namengebenden Verlag rosa Winkel in Berlin, zu dessen 25jährigem Bestehen im Jahre 2000 der 25. Band vorlag. Der Verlag ist inzwischen Geschichte; die Bibliothek aber erscheint weiter, jetzt im Verlag Männerschwarm in Hamburg. Im September 2009 erschien der 50. Band, und als Zeichen, daß es weitergeht, auch gleich Band 51. Rückschau auf eine beeindruckende, in dieser Form einzigartige Buchreihe hält ihr editorischer Vater Wolfram Setz

Der Jubiläumsband gilt Alessandro Cinuzzi, dem „schönsten aller Knaben“ im Rom des Jahres 1474, der im Alter von nicht einmal sechzehn Jahren starb. Noch zu Lebzeiten war er als musizierender Engel auf einem Fresko in der Kirche SS. Apostoli zu sehen; seinen Nachruhm und damit ein Stück Unsterblichkeit sicherten ihm Verehrer und Liebhaber durch eine Gedichtsammlung zu seinem Lobpreis und durch eine Porträtmedaille von ungewöhnlicher Größe, geschaffen von Hermes Flavius, dem „Jüngeren Lysipp“. Gedichte, Medaille und Fresko zusammen stellen ein nicht nur für das 15. Jahrhundert ungewöhnliches Zeugnis zum Lobpreis jugendlicher Schönheit dar.

Die 1991 formulierte Grundidee zur Bibliothek rosa Winkel gilt nach wie vor: Angesiedelt am Schnittpunkt von Geschichte und Literatur, versammelt sie Zeugnisse unterschiedlichster literarischer Ausprägung, in denen sich das Lebensgefühl, die Selbst- und Fremdeinschätzung von Sodomitern, Urningen, Homosexuellen und Schwulen in verschiedenen Ländern und Epochen ausdrücken oder gesellschaftliche Wirklichkeiten und Utopien gespiegelt werden.

Kernstück der Bibliothek sind grundlegende Werke zur schwulen Emanzipationsgeschichte: Karl Heinrich Ulrichs’ Forschungen über das Räthsel der mannmännlichen Liebe ebenso wie Heinrich Hössli’s Eros. Die Männerliebe der Griechen oder Karl Maria Kertbenys Schriften zur Homosexualitätsforschung. Insbesondere die Ulrichs-Ausgabe hat der Forschung neuen Auftrieb gegeben, in der Bibliothek dokumentiert durch einen Essay zu Ulrichs als „erstem Schwulen der Weltgeschichte“ von Volkmar Sigusch, die Ulrichs-Biographie von Hubert Kennedy (die inzwischen durch „Neue Funde“ ergänzt werden konnte), ein Lesebuch und eine Vortragsreihe zu Ulrichs’ symbolträchtigem 175. Geburtstag im Jahre 2000.

Thematisch weit gespannt, befassen sich Sachbücher etwa mit der Eulenburg-Affäre und dem Stummfilm „Anders als die Andern“, mit der Zeitschrift „Der Kreis“, mit dem Thema Pädophilie im öffentlichen Diskurs oder mit den Erfahrungen von Homosexuellen in der DDR. Biographische Erkundungen gelten Magnus Hirschfeld und John Henry Mackay ebenso wie etwa Federico García Lorca oder dem französischen Dichter und Dandy Jacques d’Adelswärd-Fersen. Unverstellte Zeugnisse ihrer Zeit sind die angeblichen Memoiren eines viktorianischen Strichers (Die Sünde von Sodom) oder der Lebensbericht eines jungen italienischen Adeligen (Der Roman eines Konträrsexuellen) aus den 1880er Jahren. Andere Texte sind eng mit der Biographie ihres Autors verbunden: Jacques d’Adelswärd-Fersens Roman Lord Lyllian, Xavier Maynes „psychologische Romanze“ Imre oder der Roman Ephebos des polnischen Komponisten Karol Szymanowski, von dem nur das zentrale Kapitel (Das Gastmahl) erhalten geblieben ist. Die Zeit des Nationalsozialismus ist eingefangen in den Romanen Zwei Welten von Frank Clare oder Die Geschichte des Hitlerjungen Adolf Goers von Hans Siemsen. Felix Rexhausen hat mit Berührungen nach der ersten Reform des § 175 im Jahre 1969 eine amüsante erotische Zeitreise durch die 1960er Jahre zu Papier gebracht.

In der „Romanecke“ der Bibliothek hat in den letzten Jahren vor allem die französische Abteilung Zuwachs erhalten mit Georges Eekhouds Escal-Vigor, Achille Essebacs Dédé und Binet-Valmer’s Lucien. Wieder zugänglich ist der Roman Anders als die Andern von Bill Forster (Hermann Breuer), der vor allem mit seinem Titel weitergewirkt hat, und mit der Erzählung Tim findet erstmals Howard O. Sturgis sein deutschsprachiges Publikum.

Die Bibliothek rosa Winkel ist ein großes Gemeinschaftswerk, an dem sich schon viele mit Anregungen, Studien und Nachworten beteiligt haben. Und solange es Ideen für den Ausbau der Bibliothek und helfende Geister gibt, wird die Bibliothek weiter ausgebaut werden.

Hinweis: Alle Bände sind weiterhin lieferbar; ausführliche Informationen stehen zur Verfügung unter www.maennerschwarm.de.