Der Name ist mehr als
nur dumm, geklaut und politisch mainstreamkompatibel: Queer Nations
(QN) nennt sich eine Initiative zur Wiedererrichtung des 1933 von den Nazis
zerstörten Hirschfeldschen Instituts für Sexualwissenschaft, die
recht weit von dessen Ansatz entfernt ist. Hatte der Sanitätsrat sein
Haus der Gesamtheit menschlicher Sexualitäten gewidmet, planen die Queer
Nationals ein unabhängiges, internationales Institut der Homosexualitätenforschung.
Natürlich schließe, so beteuerte Vorstandsfrau Tatjana Eggeling
am 26. Januar bei der Pressevorstellung, jenes Queer Trans-
und Intersexuelle ein. Solche einander wie auch der beanspruchten Tradition
widersprechende Aussagen über Ausrichtung und Ziele des Projekts bei
zugleich höchst präzisen Vorstellungen über Lage und Größe
der Immobilie, über Mitarbeiterzahl, Summe und Quelle des nötigen
Kapitals sowie ein Blick aufs Personal schürten ganz erhebliche Zweifel
bei Eike Stedefeldt
Gewiß hätte
der Verein anders geheißen, wäre der Organisationsname, den man
weltweit mit Magnus Hirschfelds Berliner Institut für Sexualwissenschaft
assoziiert, nicht am 26. Oktober 1998 im klaren Bewußtsein des damals
Absehbaren und nun Stattfindenden aus den Gefilden bürgerlichen Anpassungsdrangs
befreit worden: Queer Nations: Ein modernes Wissenschaftlich-humanitäres
Komitee?, fragt also das Kuratoriumsmitglied Gunter
Schmidt in der aufwendig gestalteten QN-Broschüre. Eine Vereinigung,
die sich für eine intimate citizenship engagiert, für
eine radikalpluralistische und radikalliberale Gesellschaft, in der Individuen
ihre Version von Sex, Geschlecht und Familie selbstbestimmt, aber die Grenzen
anderer achtend, leben können? Und das jenseits von Schwulen-, Lesben-
und Queerbewegungen? Das hoffe ich, und deshalb bin ich dabei.
Im trauten Kreis allenfalls radikal neoliberalen Personals, das nicht davor
zurückschreckte, eine der übelsten Parolen des forcierten Sozialabbaus
in unserem Namen in sein Motto einzufügen: Dieses zwischen
Forschen und Erinnern drapierte Fördern und Fordern ist ein
Tritt in die Weichteile aller von Hartz-IV Betroffenen unter ihnen
Tausende Schwule und Lesben, denen damit die materielle Basis für eine
halbwegs frei gelebte Sexualität unter den Füßen weggezogen
wird. Insofern muß dem Psychotherapeuten und 2003 emeritierten Professor
am Hamburger Institut für Sexualforschung in den letzten fünfzehn
Jahren einiges an politischen Prozessen und sozialer Wirklichkeit am unteren
Ende der Kontrollgruppe entgangen sein. Das Sein bestimmt eben immer
noch zuverlässig das Bewußtsein. Endgültig passé scheint
somit die Zeit, da Sexualität als etwas von ökonomischen Verhältnissen
Determiniertes, zugleich gesellschaftlich Subversives aufgefaßt und
Sexualforschung selbstbewußt als etwas Hochpolitisches betrieben wurde.
Heutzutage benötigt
man sie wieder zur Rechtfertigung vorm politischen Gegner, damit der einen
nicht gleich totschlägt. Was die Schauspielerin Maren Kroymann anekdotisch
belegt: Im Mai 1994, kurz nach ihrem Outing, sagt sie konsequenterweise
den falschen Terminus gebrauchend, denn von Coming out kann keine Rede sein
angesichts dessen, was folgt habe sie im kabarettistischen Nachschlag
zu den Tagesthemen die Streichung des §175 behandeln wollen, das sei
aber als ganz unpassend eingestuft worden mit der Begründung,
sie mißbrauche ihren Sendeplatz, um für ihr Anliegen zu werben.
Da hätte ihr die Existenz eines solchen Instituts emotional und
ideel geholfen, weil es belegbar macht, weil es wahrnehmbar macht.
Den Göttern der ARD wären wohl mit Recht die Tränen gekommen,
und zwar aus purem Mitleid ob soviel homosexueller Demut: Aufwachen, Nachtschwester
Kroymann!
Ich bin für
dieses Projekt, weil mein Wunsch ist, daß der Respekt gegenüber
Homosexuellen zur Allgemeinbildung gehören soll. Wer begreift,
wie dämlich Kroymanns auf der Pressekonferenz gesagter Satz ist
erhebt er doch das Naturgegebene zum Erziehungsthema und verdreht damit das
Problem ins Gegenteil: daß Homophobie gerade nicht naturgegeben, sondern
anerzogen ist , wird schmunzeln beim Wort Hundeschule in
der QN-Broschüre. Gut, den Tieren wird es nicht schaden, Respekt auch
vor Homosexuellen zu lernen, besonders von einer, die das innige Sehnen ins
Kuratorium zog, daß Unterschiede Unterschiede bleiben können
ohne Unterschiede zu machen. Mach Platz, Hasso! Mach Unterschied,
Bello! Mach schreib-schreib, Mirjam! Schließlich bist Du nicht nur selbständige
Wauwau-Trainerin, sondern begnadete Schriftstellerin und bekam Dein Verursacher
(und zugleich der von millionenfacher Arbeitslosigkeit) soeben die Kompaßnadel
des Schwulen Netzwerks NRW dafür, daß er Dich gezeugt und sich
nicht von dem lesbischen Wurf distanziert hat. Das verpflichtet. Ebenso schön
ist es, aus einer Werbeschrift für ein wissenschaftliches Institut von
angestrebter Weltgeltung zu erfahren, daß Du, Mirjam Müntefering,
mit Deiner Lebensgefährtin und ihren Cockerspaniel-Hunden in Hattingen
lebst. Gern hätte man deren Namen erfahren. Da ist der Geschäftsführer
von Queer Nations offener. Jörg Litwinschuh lebt seit zwölf
Jahren mit seinem Lebenspartner Torsten in Hannover und Köln, seit 1999
in Berlin. Bis 2005 Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbandes
in Deutschland (LSVD) Berlin-Brandenburg, wurde er von diesem laut verläßlicher
Quelle außerordentlich gekündigt, als seine queere
Initiative ruchbar wurde. Zwar unterlag der LSVD vorm Arbeitsgericht, konnte
ihm als Kleinbetrieb aber auch ordentlich kündigen.
Wer wird Millionär?
Seither schlägt der
Medienprofi kräftig Schaum und mailte am 1. Dezember 2005 zu dem, was
er Think Tank nennt, an Gigi: Ich habe fast alle
namhaften europäischen Soziologen für das Kuratorium gewinnen können.
Im QN-Reader tauchen derer exakt drei auf: die Professoren Henning Blech (Kopenhagen),
Rüdiger Lautmann (Bremen) und Martin Dannecker (Frankfurt am Main). Europa
ist, soziologisch gesehen, offenbar ein sehr kleiner, sehr männlicher
und sehr (west-) deutscher Kontinent. Denn es war sehr, sehr schwierig,
Männer und vor allem Frauen zu gewinnen, die in der DDR sozialisiert
worden sind, so Litwinschuh auf Nachfrage, weil es nur wenige
offen lesbische und schwule Persönlichkeiten (!) gibt. Man habe
sich redlich bemüht und zumindest ein sehr prominentes
Kuratoriumsmitglied gewonnen, nämlich Jaecki Schwarz. Noch so ein
Volltreffer, denn laut QN-Heft gehörte Hauptkommissar Herbert
Schmücke im Polizeiruf 110 vom MDR 23 Jahre
nicht zur DDR-Schwulenbewegung, sondern zum Berliner Ensemble.
Für das Kuratorium qualifizierte den 59-Jährigen eine Art Coming-out,
das Anfang August 2004 ins Quasi-Outing durch Bild am Sonntag
und daselbst in eines dieser erschütternden Habt-mich-doch-liebs mündete:
Ich habe das nie versteckt. Aber mir ist auch nicht in den Sinn gekommen,
mir ein Schild umzuhängen, auf dem steht: Hallöchen, ich bin schwul!
Den letzten Stand dieses Homophilen-Schicksals entnehmen Sie dem BamS-Aufmacher
vom 29. Januar 2006.
Eine weitere vertrauliche
Information Litwinschuhs darf hier veröffentlicht werden, weil
sie zentral ist und eine deftige Lüge enthielt: Das geplante Institut
habe nichts, aber auch gar nichts, mit der vom LSVD damals vorangetriebenen
Magnus-Hirschfeld-Stiftung zu tun und will diese auch nicht wieder aufleben
lassen, schrieb er am 1. Dezember 2005 an Gigi. Was aber
meint dann der Herr Feddersen, mit dem gemeinsam er dieses Projekt ausgeheckt
hat, als er der Presse erzählt: Damals, bei dieser Stiftung, waren
15 Millionen Euro ausgelobt. Das hat der Bundestag auch mit den Stimmen
der Union bereits verabschiedet, und das, wie erwähnt, scheiterte im
Bundesrat. Wir möchten diese 15 Millionen für uns gewinnen.
Genau diese Summe. Nicht einen Cent mehr, nicht einen Cent weniger.
Mitsamt den in diesen 15 Millionen enthaltenen paar Cents zur individuellen
Entschädigung noch lebender NS-Opfer also, die bei Queer Nations aber
nicht vorkommen.
Patrioten im Patriarchat
Zuvor hörte man vom
QN-Vorständler: Vor mittlerweile knapp vier Jahren hat der Bundesrat
die damalige Magnus-Hirschfeld-Stiftung, ein rot-grünes Projekt, verhindert.
Ich hab damals als taz-Redakteur extrem schlecht darauf reagiert, ich
habe gesagt: Klassisch: Union Homophobie. Ich habe erst
viel zu spät bemerkt, daß diese Ablehnung im Bundesrat selbstverständlich
durch die Unions-Mehrheit passierte, möglicherweise auch aus homophoben
Gründen, aber vor allem waren fast alle schwulen und lesbischen WissenschaftlerInnen
im Boot, die wollten diese Stiftung verhindern, weil in ihr eigentlich keine
Wissenschaftlichkeit geplant war. Ich glaube, das muß man in dieser
Deutlichkeit einfach mal sagen, weil das seinerzeit in dieser Deutlichkeit
nur whk und Gigi sagten. Das war damals eine Allianz, eine ganz
unerwartete. Das heißt, insofern sind wir daran interessiert, diese
Stiftung vollkommen frei von verbandlichen oder bürgerrechtsorganisationellen
Interessen zu machen ... unser Ziel könnte sein, eine Bundesstiftung
zu initiieren und zum leben zu bringen, und da möchten wir selbstverständlich
auch, daß die Parteien da entsprechend ihrer Stärke in entsprechenden
Ausschüssen und Gremien vertreten sind, aber nicht mehr zugunsten
ich sage das mal ganz andeutungsweise einer Partei. Was Feddersen
da andeutet, formulierte Hamburgs Justizsenator Roger Kusch am 27. September
2002 im Bundesrat so: Mit diesem Stiftungsgesetz soll nicht Magnus Hirschfeld
ein Denkmal gesetzt werden, sondern dem Grünen-Politiker Volker Beck.
Dessen eifrigster Propagandist und Wahlhelfer wer war? Genau: Jan Feddersen.
Bekannt als intellektuell
nicht eben gesegneter rechter Rand und Mann fürs Grobe der taz,
trommelt JAF seit 23. November 2005 auch für die nationale
Berliner CSDeutschland-Parole Einigkeit und Recht und Freiheit,
ausgegeben vom Berliner CSD e.V., dessen Pressesprecher oops!
Jörg Litwinschuh heißt. Es gibt nirgendwo eine Stätte,
so JAF passend dazu, wo komplett, das heißt soziologisch, politologisch,
historisch, geforscht werden kann in unserem Namen ... Wir wollen das tatsächlich
erreichen, daß die Bundesrepublik für diese Akademie Verantwortung
übernimmt und sie mitträgt und sie unterstützt. Diese
Denkfabrik zu gründen wäre laut QN-Heft ein patriotisches
Unterfangen. Darum möge sie in einem Staatsakt vom Bundespräsidenten
eröffnet werden. Einem, der aufgepaßt, queere
Historiker! sein Amt dem Votum eines für Todesurteile fünf
nach zwölf bekannten NS-Marinerichters und CDU-Ehrenvorsitzenden verdankt?
Die Ursachen für moralische Dekadenz dieser Sorte zu ergründen,
wäre ein sinniges Forschungsprojekt in unserem Namen, aber kaum für
einen, dessen so treu der Wissenschaftlichkeit ergebene Vereinsfreunde ungerührt
Relativierungen hinnehmen wie Die Nazis hatten im Grunde genommen neben
vielen anderen terroristischen Ambitionen vor allem dieses Institut zu zerstören,
sein Wissen, seine Bestände, seine Bibliothek, seine Archivalien, überhaupt
das Bewußtsein davon, daß Sexualität mehr ist als Fortpflanzung
oder Man muß natürlich in diesem Zusammenhang sagen, daß
der Nationalsozialismus für Homosexuelle als Homosexuelle erst 1969 aufhörte.
Doch weder beim Kurator Professor Andreas Meyer-Hanno, Sohn einer von den
Nazis verfolgten jüdischen Familie (und Fördermitglied des realen
whk), weckt der Hang zum patriotischen Akt Fluchtreflexe, noch
bei der Kuratorin Professor Claudia Liebrand. Für sie sind Queer Studies
der momentan spannendste und innovativste Teil von Gender Studies,
vaterländische Töne auf einer queeren Pressekonferenz
aber kein Grund zur Beunruhigung. Den Dreiklang aus Queer, Nation
und Vaterland stört anscheinend nicht einmal der Gedanke,
daß auch jene Massenmörder-Partei, die das ISW in einem patriotischen
Akt schleifen ließ, die Nation im Namen führte.
Ohne Juden geht es nicht
Statt dessen begegnet man denn auf Seite 16 des QN-Readers erneut jenem Reflex, der seit Wiedererweckung der Selbstbewußten Nation in der bürgerlichen Homo-Szene zum unbedingten wurde ...
Die restlichen 50 Prozent des Essays lesen Sie bitte in der Printausgabe.